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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1956-09/0005
lange vergaß, was „Erd-Kunden" über ihr Werden
und Sein berichten.

Du wußtest: das Bildhafte dauert.

Seit jener Stunde — ich zählte zehn Jahre,
als der Lehrer sie uns bereitete — bin ich Dir
dankbar verpflichtet.

Es dauerte lange, bis ich nach dem „Kannit-
verstan" Deine anderen Dichtungen erfuhr und
lieben lernte: die Jugend, das Wachsen trieben
mich auch irrige Wege. Man lief dem hohlen
Lärm des Jahrhunderts nach, nannte groß, was
sich spreizte, was Worte wob, den rhetorischen
Schwung liebte, in Stimmungen schwelgte und
wildes Geschehen pries. Wie die Häuser der Zeit
falschen Putz und Geschnörkel wiesen, so sank
auch das Schrifttum ins leere Gerede.

Doch ob ihr Getue auch lockte und manchmal
besseres Einsehen besiegte: immer tauchte die
Stunde ins Suchen und Wirren, die mir den
Herrn Kannitverstan geschenkt hatte. Ich weiß
nicht, wie oft ich die Dichtung aus dem alten
Schulbuche las, das ich ihretwegen meinem
Bücherreichtum gesellte, und wenn ich es tat,
war ich gesund.

Schließlich fand ich das „Schatzkästlein" selber
und liebte es bald. Was wollen vor ihm die
Kriege der Zeit, was auch die Wandlungen, welche
das Geldwesen bringt, der Banken und Börsen
unheimliches Wirken? Was sind vor ewigen
Werten schon ,,Moden", die heute kommen, morgen
gehen? Wer füllt und erfüllt denn die Seele?

In Deinem Schatzkästlein lebst Du als Meister
des Wortes.

Die Sätze blitzen wie saubergeputztes Silberund
Zinnwerk. Blut rinnt durch ihr feines Ge-
äder, und überall atmet, bei hoher Kunst, lebendiges
Wesen. Gedanken werden zum Bilde, und
Deine Gestalten — Könige, Kaiser, Bauern und
Städte, Herren und Knechte, Frauen und Mädchen
, Kauze, Diebe und Schelme — „bilden" sich
ein in die lauschende Seele: sie wachsen aus
Deinem Herzen! Man fühlt seinen Pulsschlag,
Wärme, Liebe und Treue, erfreut sich des Schalkes
, der in ihm wohnt und spürt das Heimweh,
das Deinen Alltag umwob: das große Heimweh
der Schauenden.

Vom ersten bis zum letzten Worte bannt uns
der Blick Deiner Augen: Du schreibst nicht — Du
sprichst, hältst Deine Lauscher im Bann und
führst sie den Weg Deiner Handlung, kurz zwar,
doch stets bedachtsam und sicher. Kein ausgeleiertes
Wort, kein Füllsel stört den ruhigen, oft
auch kurzweiligen Gang, nicht eine müde, erdachte
Wendung die kernige Frische. Sinnenfroh
sprichst Du ünd warst doch weise, als wären nur
„Älterväter" Deine Lehrer gewesen. Du prägst
Dein Wort nach strengem Gesetz, und immer
hörst Du den Takt der Schöpfung, Ebbe und Flut
im kosmischen Sein.

Ob Du von Kriegen und Schelmen, von Mädchen
, Müttern und Bräuten erzählst, von Richtern
und Räubern, von Unheil, Gefahr oder
Glück: stets erfüllt uns, wenn auch auf engem
Räume, die Welt!

Ja: Du erzählst, zählst auf und bist doch
„Musik", und jedes Wort „sitzt". Franz Anton

Egetmeier, der Schneidermeister, gebürtig aus
Bretten im Neckarkreis, steht da — unvergeßlich
—1812 auf dem Markte der russischen Stadt
Pensa und fragt den Zug der Kriegsgefangenen
entlang nach Landsleuten. Er steht und lebt —
auch nach den Erschütterungen Europas unserer
Zeit. Wissenschaft zeigt Gründe und löst das
Staunen. Du aber, Meister, weckst die Begabung
zum Staunen stets neu: des Ewigen höchstes
Geschenk an den Menschen! Du weckst es; denn
Du bist wahrhaft Dichter, bist in Deinem Schatzkästlein
Epiker hohen Ranges, der das Geschehen
unmittelbar aus der Umwelt hervorgehen läßt;
Du weißt um die epische Haltung: ihr ist die
Welt, die Schöpfung das Überlegene, das vor dem
Menschen da ist und ihn überdauert. Für sie gibt
es Leben, weil Welt da ist, in der Leben sich
regt.

Und deshalb — tröstest Du.

Wie aber klingen Deine alemannischen Gedichte
— auch dem, der die Mundart Deiner
Mutter nicht spricht: Du Sohn der alemannischen
Mutter, des rheinischen Vaters!

Man lobte mir die Gedichte in den Stunden
der „Literatur". Doch nie kamen sie selber zum
Klingen. Erst ein Jahrzehnt nach der „Lern-Zeit"
spielte der Zufall sie mir ins Ohr und der Wille
sie in die Hand. Zunächst war ich in „Not". Bald
überwand ich das Fremde des Sprechens, und
dann erlebte ich aufs neue ein Wunder.

Das Landleben, dem ich mich damals aus
innerem Drängen verband, wuchs hier als froher
Mythos. Wiesen und Felder, der Wald und sein
Bach, die Bauern mit ihren Nöten und Freuden,
Blumen und Sterne, auch das Geringste des
Alltags atmet blühendes Leben, wird taufrisch
zum Bilde des gütigen Gottes.

Sprache ist das Nächstliegende, das Sinnlichste
.

Nicht allegorisch: nein wirklich steht und
spricht, schafft, lacht und weint es im Ringe der
heiligen Schöpfung, der göttlichen Erde.

Wer könnte Verse vergessen wie die aus Deinem
Idyll von der „Wiese", dem Bächlein, der
lieblichen Tochter des Feldbergs.. .

„ ... No nie henn menschlichi Auge

Güggelet un gseh, wie schön my Maideli do lyt

Im christalene Ghalt un in der silberne Wagle;

Un kai menschlich Ohr het no sy Otmen erlustret

Oder sy Stimmli ghört, sy heimli Lächlen un Briegge.."

Und wenn das Bächlein dann den Gang ins
Freie gewagt hat, wie siehst Du es laufen...

„Nai, se lueg me doch, wie cha my Maideli springe!
.Chunnsch mi über?4 sait's un lacht, ,un witt mi, se hol
Allewiil en andere Weg un anderi JSprüngli! [mi!4
Kei mer nit seil Rainli ab! — Do tiemmer's, i sags jo —
Han i's denn nit gsait? Doch pürzlisch wyters un wyters,
Groblisch uf alle vieren un stellseh di wieder uf d'Bainli,
Schlieffsch in d'Hürst — jetz suech mer's als! — Dort
güggelet's uuse!" ...

Wer wird vergessen, wie Du die Sonntagsfrühe
schaust, wie Samstag und Sonntag lebendige
Wesen werden, wenn Du sie als Dichtung
erweckst. . .

„Der Samstig het zuem Sunntig gsait:
Jetz han i alli schloofe gleit;
Si sinn vom Schaffe her un hi
Gar sölli müed un schlöfrig gsi;
Un 's goht mer schier gar selber so,
I cha fast uf ke Bai me stoh" . . .

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