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Erzählung von Ernst Sander
„Also heute abend sagst du es ihm?"
„Ja, Fritz".
„Bestimmt?"
Sie zögerte mit der Antwort. Sie fuhr mit
der Hand an die Schläfe, über das dunkle Haar
mit dem Krönchen; sie sah ratlos an seinen for-
derndnen Augen vorbei.
„Ja", sagte sie leise.
„Ist es denn so schwer, Annele?"
„Nicht schwer, du — aber es ist schwer, wehtun
zu müssen".
Die sinkende Sonne tauchte unter dem Gewölk
auf, das in streifigem Schiefergrau langsam
dahinzog, vor einem lichtblauen Spätnachmittagshimmel
. Ihr Schein lag voll und rötlich
gelb auf den Hauswänden, den Dächern Badenweilers
, dem sich verfärbenden, gelichteten Laubwerk
der Bäume, den Herbstblumen in den Gärten
. Die Burgruine im Kurpark leuchtete graugelb
.
„Und ich sehe dich heute abend nicht mehr?"
Sie sah ihn an, sah seine Augen, die stark
und jung waren, seinen Mund mit der ein wenig
zu kurzen Oberlippe und sein kräftiges Kinn.
Sie lächelte zag und schüttelte ganz leicht den
Kopf.
„Nein, bitte nicht. — Hol mich morgen früh
ab"
Er nickte und bot ihr die Hand. Sie reichte
ihm ruhig die ihrige. Er ging. Sie sah ihm nach,
bis er um eine Ecke bog.
Er hat sich nicht noch einmal umgeschaut,
dachte Annele. Aber das braucht er auch nicht.
Denn morgen .. .
Eine Tannengruppe stand schwarz gezackt
vor der tiefer und tiefer sinkenden Sonne. Ein
Krähenschwarm ruderte, klagend und gierig
schreiend, in wirrem Gehäuf durch das Abendblau
.
Annele ging nach Haus, zog die Wolljacke an,
bedachte sich und ging dann durch die immer
stärker einfallende Dämmerung, in den Kurpark.
Die Restaurationsräume waren schon erhellt. Die
streng duftenden Eiben mit den winzigen roten
Früchten, die alten, fremdartigen Koniferen
schatteten blaugrün. Aus der umdunsteten Ebene
blinkten die ersten Lichter auf. Die Luft roch
nach Erde, Moder und Nüssen.
Vorn, an der rotsteinernen Einfriedigung der
bastionartigen Plattform beim Denkmal des
Großherzogs, stand ein Mann, barhäuptig, einsam
und abgesondert. Die Bänke waren um diese
Abendstunde leer. Der Nußbaum reckte sein
erkahlendes Geäst. Annele wußte, wer dort
stand, obwohl der Zeitpunkt der Verabredung
noch nicht gekommen war. Stets war er vor ihr
am Treffpunkt gewesen.
Sie blieb stehen. Sie dachte an den Mann, der
dort stand, und sie dachte an Fritz. Sie wußte:
ihr Herz hatte längst entschieden. Daß sie der
stürmischen Werbung des Fremden überhaupt
Gehör geschenkt hatte — lieber Gott: sie war
achtzehn und hatte in freundlicher Enge gelebt;
und er war gekommen, reif, wohlhabend, erfahren
, umwittert von Ferne und gelebtem Leben,
dabei gütig und fest. Fritz hatte ihr bei seiner
Rückkunft keine Vorwürfe gemacht; er hatte
nichts getan, als ihr knapp und klar die Wahl zu
stellen, als sie von dem Fremden erzählt hatte.
Hatte sie gezögert oder auch nur geschwankt?
Sie hatte sich nichts zu vergeben. Nur, daß sie
den Fremden ohne Widerspruch angehört, daß
sie Hoffnungen erweckt, obwohl sie gewußt
hatte, daß sie sie niemals würde erfüllen können
, und daß sie ihn nun fortschicken mußte,
den Alternden, der, wie sie fühlte, sich an ihr
Jungsein klammerte, als wolle er in ihr all das
Leben halten, das an ihm vorübergerauscht war,
unwiederbringlich — das freilich war eine Schuld.
Sie versuchte nicht, sich zu rechtfertigen. Sie
überdachte nur, wie sie sich von ihm lösen
könne, ohne ihm wehzutun.
Annele ging auf ihn zu. Er stand reglos, den
Hut in der Hand, und schaute hinunter auf die
dunstverdämmernde Ebene, nach den blauenden
Umrissen der Vogesenkette hin. Die Sonne
tauchte hinter einer Wolkenschicht auf, deren
unterer Rand wie glühendes Metall war. Ein
Schwall orangeroten Lichtes ergoß sich. Der
Mann wandte sich um, als sei er geblendet von
so viel Glanz. Er sah Annele. Er kam ihr entgegen
.
„Da bist du, Kind", sagte er ruhig, nahm
ihren Arm und führte sie vorwärts, zu dem
Platze, wo er zuvor allein gestanden hatte.
Sie wußte, daß sie auf der Stelle anfangen
müsse zu sprechen, oder daß sie niemals die Entschlußkraft
aufbringen würde. Aber der Mann
war so sehr dem Anblick des leuchtenden Landes
hingegeben, daß er nicht acht auf ihre ersten
wirren Worte gab.
Die Sonne rührte an den Gebirgskamm, der
sich jetzt scharf umrissen vor der roten Scheibe
abhob, die rasch tiefer glitt. Das Gewölk darüber
prunkte in schweren, grau violetten Tönen; ganz
oben schwebte ein rosenfarbener Kranz und verlor
sich lautlos.
Der Mann hielt Anneies Arm; sie empfand
ein leichtes Schwindelgefühl und lehnte sich,
widerstrebend, an ihn. Er streichelte behutsam
ihre Hand. Zwischen zwei fernen Bergkuppen
strahlte ein letztes Leuchten auf und verlosch.
Das Land lag grau. Die Lichter in der Ebene
funkelten stärker und spitziger. Ein Zug verließ
den Müllheimer Bahnhof.
Er gab ihren Arm frei.
„Ich habe heute Nachricht aus Hamburg bekommen
, Annele", sagte er dunkel.
Sie blickte scheu zu ihm auf.
„Ja", sagte er, „morgen früh muß ich abreisen
".
Sie hielt seinem Blick nicht stand; in ihr
schwoll es warm und leicht auf.
„Soll ich wiederkommen?" fragte er leise und
suchte ihre Augen.
Sie schüttelte kaum merklich den Kopf.
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