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darüber hinaus noch Burschen geben, die es nach
Vätersitte ihrem Schatz übelnehmen, wenn die
ihm verehrte Brezel vor Dreikönig angeschnitten
wird. Wie aber steht es mit den grünen Tannenzweigen
des Sebastian Brant? Auch sie sind in
das Brauchtum des Weihnachtstages abgewandert
, obwohl gerade sie in das reichhaltige Zauberarsenal
der Jahreswende gehören. Bei den
alten Römern, die etwa IV2 Jahrhunderte vor
Christi Geburt den Jahresanfang am 1. Januar
zu feiern begannen, kannte man das Schmücken
des Hauses mit Grün bereits; die Zweige bedeuteten
die Lebensrute, deren berührender Schlag
alles beleben und fruchtbar machen sollte.
Es gehört noch manch anderes in die Rüstkammer
der glückzaubernden und schadenwehrenden
Dinge. Denn die Mächte des Bösen
und das Heer der wilden Geister, die alle um
diese Zeit ihr Wesen in den Lüften treiben, sind
stark und man braucht vieles, will man ihnen
wirksam begegnen: Das Haus sicherte man im
Innern durch frommes Räuchern und brennende
Lichter; vor den Türen suchte man die bösen
Mächte durch Peitschenknall und Schießen zu
verscheuchen, — trieb aber unverdrossen selbst
ein spukhaftes Wesen, indem man dem Nachbarn
einen Mistwagen — kunstgerecht beladen, versteht
sich — aufs Dach setzte, oder die Hoftore
aus den Angeln hob. Auch die Kirchenglocken,
deren Hall man zu einer Zeit, die weder Bombenexplosion
noch Motorendröhnen kannte, noch
ungleich größere bannende Kraft zuschrieb,
stimmten in das spukwehrende Lärmen ein —
mit dem heidnischen Teil ihres ehernen Herzens
wenigstens, — der andere läutete gläubig und
vertrauend dem neuen Jahre entgegen.
Mit dem Vertrauen in die Zukunft muß es
bei unseren Vorfahren auch nicht besser gestanden
haben als bei uns: Es war ihr Bestreben,
sicher zu gehen und genau zu erfahren, was das
neue Jahr bringen würde. Burchard, ein Bischof
von Worms zu Beginn des 11. Jahrhunderts, hat
uns überliefert, daß seine — zu seinem Ver-
drusse — hexen- und zaubergläubigen Schäflein
es für besonders günstig hielten, ihre neujahrsnächtliche
Zukunftsschau auf dem Dachfirst oder
an Wegkreuzungen vorzunehmen. Käme der
eifrige Seelenhirte heute wieder, könnte er erfahren
, daß solche „ritus Paganorum", solche
heidnischen Gebräuche, wie er sie nennt, auch
heute noch im Schwange sind: Auch heute ist ja
in der Neujahrsnacht des Guckens in den Schornstein
, des Horchens am Kreuzweg, des Spähens
durch das Schlüsselloch der Kirche, des Schuhwerfens
und Bibelstechens immer noch kein
Ende. Gießen wir nicht selbst auch, nach
außen natürlich überlegen über den Hokuspokus
lächelnd, im Innern aber doch gespannt und
zaubergläubig, in der Silvesternacht flüssiges
Blei ins Wasser, um aus der Gestalt des erstarrten
Bleitropfens etwas über das nächste Jahr zu
erfahren? Sollen wir es da den Mädchen übelnehmen
, wenn sie beim Klang der Neujahrs-
glocken am Kreuzweg den zukünftigen Freier
sehen wollen? — Die Schwarzwälder Bäuerin
wiederum hat andere Fragen an das neue Jahr:
Sie stellt am Silvesterabend zwölf Zwiebelblätter
, jedes mit einer Prise Salz gefüllt, aufs Fensterbrett
; am nächsten Morgen sind die Zwiebeln
mehr oder weniger feucht geworden und zeigen
so das Wetter der einzelnen Monate an. — Der
Immenvater wird am Neujahrsmorgen genau zusehen
, ob auch die Sonne auf den Altar oder dem
Pfarrer auf die Kanzel scheint und ihm so ein
gutes Honig jähr verspricht. Ängstliche Gemüter
werden in der Neujahrsnacht erst recht den
Friedhof, meiden, um sich dort nicht im Reigen
mit anderen Todeskandidaten nach der in diesem
Jahre fälligen Grabstätte suchen zu sehen, —
werden auch nicht auf den Hausboden gehen: es
könnte gerade dort poltern — ein Anzeichen für
eine kömmende Krankheit. Sie werden auch kein
Licht ganz zu Ende brennen lassen, um drohendem
Unheil die Möglichkeit zu nehmen, sich so
anzuzeigen.
Schade ist nur, daß sich diese und andere
Zukunftsspezialisten der Neujahrsnacht alle nicht
recht über die strikte Bedeutung der verschiedenen
Anzeichen einigen können. Was den Bewohnern
der einen Landschaft als gute Prophezeiung
erscheint, bedeutet für die Leute anderer Himmelsstriche
etwas Schlechtes und umgekehrt; in
vielen Gegenden hält man es, um nur ein Beispiel
zu nennen, für unglückkündend, wenn in
der Silvesternacht etwas zerbricht, — im Emmental
andererseits ist es gerade ein Zeichen bevorstehenden
Glückes, wenn es Scherben gibt. Es
wird also mit den anderen Vorzeichen nicht
gerade so schlimm sein und man müßte erst
in jedem Falle nachprüfen, ob nicht aus der
„Krone" oder dem „Hirschen" oder sonst einem
Ort gleicher Bestimmung herkam, wer in der
Neujahrsnacht Geister gesehen haben will.
Besonders mit dem Kreuzweg scheint es nicht
so ernst zu sein, denn dort erscheint auch der
zukünftige Bräutigam — was natürlich auch
ernst werden kann. Es bleibe dahingestellt, ob
der besagte Bräutigam nicht in persona von der
Braut an den Kreuzweg beordert und die Mär
von der Erscheinung der Toten nicht zur Verschleierung
des Stelldicheins ausgedacht wurde?
Wollen wir noch einmal Sebastian Brant zu
allem hören? Im gleichen Kapitel wie dem eingangs
zitierten sagt er am Ende:
Denn es ist ein leichtfertigkeit /
Wo man von solchen Dingen seit /
Als ob man Gott wollt zwingen mit /
das es müst seyn vnd anders nit.
Gottes lieb verloschen ist vnd Gunst /
des sucht man jetzt des Teuffeis kunst.
Es mag der Wissenschaft überlassen bleiben
zu ergründen, ob es der Braut mit so schwerem
Geschütz ernst war oder ob der Schalk sie trieb.
Bleiben wir immerhin für die Neujahrsnacht bei
dem bewährten Mittel, die Wogen der Zukunft
wie der Vergangenheit zu glätten: Holen wir aus
dem Keller ein paar der staubigsten Flaschen
und bleiben wir bei ihnen sitzen, bis der Spektakel
der Neujahrsnacht vorbei ist: Wir werden
von ihren freundlichen Geistern nicht verlassen
sein. In einer guten Spätlese müssen sich die
schlimmsten Geister milde spiegeln, und die
dennoch weiter drohen, laden wir zum Mithalten
ein und trinken sie unter den Tisch.
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