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Vor hundert Jahren im Markgräflerland (6)
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Seit September 1856 war Neuenburg (in der
Schweiz) und der dortige Royalistenputsch in
aller Mund. Die oberbadischen Landschaften vor
allem, nachbarlich mit der Schweiz lebend und
daher an den politischen Ereignissen in der Eidgenossenschaft
stets interessiert, beobachteten die
Vorgänge in Neuenburg genau. Und dies besonders
, als der Konflikt um die Jahreswende 1856/57
in ein akutes Stadium trat. Die oberbadischen
Zeitungen spiegeln dieses Interesse an dem
Neuenburger Streit, der schließlich im sogenannten
„Neuenburger Handel" beigelegt wurde, getreulich
wieder und berichten bis ins Einzelne
über die Vorgänge und ihre Hintergründe.
Was war in Neuenburg vorgegangen? — Im
Jahre 1707 hatten die drei Neuenburger Landstände
aus den erbberechtigten Anwärtern auf
das durch den Tod der Herzogin Maria von
Nemours freigewordene Fürstentum Neuenburg
den König von Preußen als neuen Souverän ausgewählt
; zweifellos deshalb, weil von dem weit
entfernten Preußen am wenigsten Einmischung
in die Neuenburger Verhältnisse zu erwarten
war. Das Fürstentum sollte dem König von Preußen
als „unabhängiges, unveräußerliches und
unteilbares" Land gehören — und tat es auch
lange Zeit. Im Jahre 1815 wurde es als 21. Kanton
in den schweizerischen Staatenbund aufgenommen
, die Regierung aber beibehalten. In der
Folge kam es in 1 Neuenburg zu Auseinandersetzungen
zwischen den Royalisten und liberalen
Republikanern, die 1831 im Zusammenhang mit
der französischen Julirevolution einen ersten
Aufstand machten, der aber mißlang. 1848 brachte
ein neuer Aufstand das Fürstentum in die Gewalt
der Republikaner, die nun eine republikanische
Verfassung einführten. Für die zweifellos
vorhandenen Rechte des Königs von Preußen
erhob sich im September 1856 Graf Pourtales
mit seinen Anhängern; sein Putsch wurde jedoch
von eidgenössischen Truppen und republikanischen
Freischaren niedergeschlagen. Die Roya-
listenführer wurden gefangen und sollten in der
Schweiz wegen Hochverrat vor Gericht gestellt
werden. Preußen verwahrte sich dagegen, verlangte
die Freilassung der Gefangenen und hielt
seinen Anspruch auf Neuenburg aufrecht. Andere
europäische Mächte, besonders Frankreich, griffen
ein und suchten zu vermitteln. Da die Schweiz
nicht nachgab, drohte Preußen ihr mit Krieg und
Verhandelte mit den entsprechenden deutschen
Staaten wegen des Durchmarsches. Die Schweiz
machte mobil und schickte Truppen an ihre
Nordgrenze. Vom badischen Oberland aus gesehen
, nahm sich das so aus:
Am 1. Januar 1857 berichtete der „Oberländer
Bote" (Nr. 1) aus Konstanz:
„Konstanz, 24. Dez. (1856). Heute sind in dem benachbarten
Kreuzlingen Scharfschützen und Artillerie
der Division Ziegler, deren Hauptquartier in Frauenfeld
etabliert ist, eingerückt. Um den unter solchen
Verhältnissen angezeigten erhöhten Sicherungsdienst
in hiesiger Garnison ohne allzu große Belästigung
der Mannschaft handhaben zu können, soll, wie wir
hören, das hier liegende Infanterieregiment, welches
sich gegenwärtig auf dem Winter-Dienststand befindet
, eine entsprechende Verstärkung durch Einberufung
von Beurlaubten erhalten".
Auf der badischen Seite des Sees blieb man auch
nicht untätig. Schon am 25. 12. 56 wird aus Konstanz
berichtet:
„Der preußisch - schweizerische Konflikt hat uns
plötzlich in eine sehr unangenehme Lage versetzt,
denn seit gestern werden bereits Anstalten getroffen,
um gegen die Schweizerseite hin zur Verteidigung
der Stadt Schanzen auf zuwerfen. Das Militär hat in
Erwartung größerer Zusendungen aus Karlsruhe von
den städtischen Behörden alle Schaufeln und Handwerkszeuge
entlehnt, um mit der Arbeit ungesäumt
zu beginnen. Der Wachtposten ist vom Kreuzlinger
Tor zurückgezogen und in die Stadt zum Schnetztor
verlegt und verstärkt. Feldpatrouillen schreiten an
der Grenze auf und ab; die Soldaten sind in vollkommener
Kriegsrüstung. Andererseits ist in Kreuzlingen
und Emishofen, also angesichts der Stadt
Konstanz, bereits ein Schweizerkorps eingetroffen.
Die Bewohner unserer Stadt könnten leicht in eine
fatale Lage kommen. Die Vermöglicheren sinnen
bereits auf Maßregeln, um ihre Habe anderswohin
in Sicherheit zu bringen. Auch vernimmt man, daß
sämtliche sechs Schweizer Dampfschiffe die Weisung
haben, sich zu militärischen Zwecken und zur
Sicherung der schweizerischen Seeseite bereit zu
halten. In den nächsten Tagen soll badische Artillerie
dahier ankommen, und in Kreuzlingen sollen
Züricher Geschütze eintreffen. — Wie wir hören,
wird das Schloß Arenenberg, bekanntlich Eigentum
des Kaisers der Franzosen, von eidgenössischen
Truppen bewacht, um jede etwaige boshafte Beschädigung
zu verhüten. Der Verkehr an unserer Grenze
besteht unverändert fort". \
(„Oberl. Bote" Nr. 1 vom 1.1.1857.)
Ein Korrespondent aus Lindau endlich begnügte
sich nicht damit, den Aufmarsch der Schweizer
Truppen vom deutschen Ufer aus zu beobachten,
sondern informierte sich durch Augenschein in
der Schweiz selbst:
„Ein Besuch in dem benachbarten schweizerischen
Kanton gab uns Gelegenheit, die entschlossene, ernste
kriegerische Haltung der Bevölkerung beobachten zu
können. Alles ist bereit, zum Schutze des Vaterlandes
dde Waffen zu ergreifen, und bei einer stattgehabten
Musterung sah man alt und jung, teils in
den zum Abmarsch an die Rheingrenze beorderten
Bataillonen, teils in den gebildeten Reserve-Kompagnien
, unter den Fahnen. Wenige Tage haben ein
friedliches Handels- und Arbeitervolk in ein Kriegsheer
umgewandelt; die in letzter Zeit äußerst belebten
und tätigen Fabriken sind zum Sammelplatz
bewaffneter Truppen geworden, und die Straßen
von St. Gallen bilden ein wohlgeschütztes Lager. An
der Rheingrenze und nach den Orten Stein und
Schaffhausen sind bereits einige Bataillone abgegangen
", (ebd.)
Nicht viel anders sah es am Rheinknie, der Markgrafschaft
gegenüber, aus:
„Basel. — Der eidgenössische Stabsoffizier, Hr. Dela-
rageaz aus Lausanne, Oberst der Artillerie, ist hier
eingetroffen; derselbe soll im Auftrag des schweizerischen
Militärdepartements die hiesigen Befestigungsarbeiten
leiten. Dem Vernehmen nach sollen
von Kleinhüningen bis gegen Grenzach Feldschanzen
errichtet werden", (ebd.)
Inzwischen hatte Preußen ein erstes Einlenken
gezeigt, indem es die Mobilmachung verschob.
Aus Berlin hörte man am Oberrhein:
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