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Hermanb Burte, der am 15. Februar seinen
78. Geburtstag rüstig und geistesfrisch feiern
konnte, erhielt zu diesem Tage die Jean - Paul -
Medaille der gleichnamigen Gesellschaft (Bayreuth
) verliehen, und gleichzeitig erschien bei
Burda in Offenburg sein neuester Gedichtband
„Stirn unter Sternen".•
, In Funk und Presse geisterte in den letzten
Wochen das von Walter Muschg (Basel) beschworene
Wort „Die Zerstörung der deutschen Literatur
", und so wird mancher Leser das neue
Werk Burtes unter diesem bösen Aspekt besonders
kritisch betrachten. Muschg kennzeichnet
als besonderes Merkmal des von ihm beobachteten
Niedergang und Verfall den „Ästhetizismus",
und mit freudigem Erstaunen wird der ehrliche
Leser Burtes nun bezeugen müssen, daß diese
Diagnose auf unseren Dichter nicht zutrifft. Hier
spricht nicht die Schizophrenie der Abnormität,
auch kein aus Komplexen gemixter Dämon, sondern
gesunde Natur, wie es ergötzlich in der
Satire „Genieprüfung" klar ausgesprochen wird.
Es ist, als ob der gute Geist der Deutschen dieses
Buch lachend in die Waagschale geworfen habe,
und wir sehen beglückt, wie damit unsere so tief
gesunkene Plusseite wieder emporsteigt!
Das für einen Mann von 78 Jahren kraftvoll
und lebendig wirkende Buch ist in drei Teile
gegliedert: I „Stirn unter Sternen" umfaßt Gedichte
, die man als „Ringen der Leidenschaft"
kennzeichnen könnte; III „Stirn über Sternen"
vereint Gedichte, die als „Singen der Verklärung
" anmuten; und II „Stirn ohne Sterne" ist
der Mittelteil „Über Eck", er zeigt uns den
schwindelfreien Tänzer auf dem zwischen den
Polen gespannten Seil im artistischen Übermut
des geistreich gekonnten Spiels mit der Sprache.
Alles in allem: kein ausgeklügelt Buch, sondern
ein Mensch mit seinem Widerspruch, aber zuletzt
alle Dissonanzen in ewig gültige Harmonie verklärend
!
Aus der unendlichen Fülle der Bilder, Gleichnisse
und Gedanken greifen wir zunächst eines
heraus; „Robert Burns", weil es uns der erste
Wegweiser zum Verständnis des Mannes ist, dem
wir in diesem Gedichtband begegnen. In kongenialer
Weise zeichnet Burte hier Burns als den
Artverwandten und Geistesbruder, der mit all
seinen Fehlern und Lastern als begnadeter Poet
der Liebling des schottischen Volkes geworden
ist, und wir haben in diesen Versen wohl das
Wunschbild, wie Burte einmal bei uns in der
alemannischen Landschaft fortleben möchte und
sollte. Nun hat das badische Land schon in Hebel
eihen poetischen Schutzpatron, mit dem dies
konträre Bild nicht ganz übereinstimmt, und
ohne namentlich auf die Kluft mit dem Finger
gewiesen worden zu sein, wird dem Leser das
Anderssein als Gewalt von Eros und Dämon in
dem Gedicht „Liebe und Leidenschaft" elementar
vor Augen geführt. Es sind zwei Pole, der milde
Prälat und der wilde Burns: — Burte* hat sie
überwölbt!
Uberwölbt? Ja! Da ist ein erregendes Gedicht
in I: „Strophen an den Fernsten"; es wird künftig
zu den wesentlichsten Poemen der menschlichen
Literatur zu zählen sein. Aus dem Rhythmus
dieser Reime und der Sprachmagie dieser
Verse weht uns Größe überwältigend und hinreißend
an. Der Dichter stellt darin die ungeheure
Antithese auf: „Du sollst den Fernsten
lieben wie dich selbst!" Der aus der Unbewährt-
heit seiner christlichen Grundmaxime aufgeschreckte
Abendländer sucht seinen Wesenspol
im Antipoden. Der Dichter tastet mit dem Finger
auf dem Globus und findet symbolisch dort das
Kap Pegasus, und in der Tat, was rationalen
Gedankengängen nie gelingen würde, Poesie
schafft die magischen Bezüge zur religiösen
Weisheit dieser Fernstenliebe, die schließlich mit
ins eigene Ich mündet und dort mit der Liebe
zum Nächsten einen mystischen Bund eingeht:
„Mein Fernster und mein Nächster, die beiden,
das bin ich!"
Das Erleben des Fernsten im Gedicht entspricht
einem inneren Bedürfnis in der Situation
unserer Zeit, und es mutet den Betrachter seltsam
an, wenn er bemerkt, daß der Historiker
Arnold Toynbee in seinem jüngst erschienenen
Werk „An Historian's Approach to Religion"
einen Vorstoß in die gleiche Richtung unternimmt
: nach einer einzigen Weltreligion des
Menschlichen, welche die zeitlosen Merkmale der
„sieben höheren Religionen" in sich vereinigt.
Was aber in den logischen Deduktionen des
Historikers mitunter zur Kritik reizt, das überflügelt
kühn die Phantasie des Dichters. Hier ist
ein Weg gewiesen vom „Untergehland" ins „Auferstehland
" künftiger Menschwerdung, und wenn
auch viele zaghaft noch kopfschüttelnd das Wagnis
bedenken werden, der Anruf ist geschehen,
und die Tat wird folgen.
Man hört heute oft in Funk und Presse die
Klage, die Jugend hätte den Glauben an gültige
Werte vollkommen verloren. Ich verneine das!
Wenn gesunde Jugend das Wesenhafte schaut
und erkennt, wird sie sich begeistert entflammen
lassen. Hier in I stehen Strophen „Von der
Kunst des Denkens in der Welt", sie sind von
Burte für seinen Neffen bestimmt gewesen, aber
damit sind sie der deutschen Jugend schlechthin
gewidmet. Ohne etwas über den Inhalt auszusagen
, sei damit nur der Anspruch vermerkt, den
das Buch erhebt: von der Jugend in einer Zeit
scheinbarer Ausweglosigkeit gelesen und befolgt
zu werden!
So hoch aber die Reime fliegen, so tief die
Gedanken schürfen, nie verliert Hermann Burts
jene klare Plastik der Aussage, die auch dem einfachen
Mann verständlich ist. Ja, er spricht ihn
geradezu an in einem eigenen Gedicht „Der
rechte Mann": — „er mag ein Bauer sein am
Pflug, ein Hauer in der Grube, ein Bremser auf
dem Güterzug, ein Schreiber auf der Stube". Er
malt damit ein Bild des ewigen Deutschen:
„Gott und Gewissen in der Brust,
So bleibt er stets der gleiche
Und baut im Dienen unbewußt
Am künftigen Gottesreiche".
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