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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-04/0004
Albert Schweitzer:

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Blicke ich auf meine Jugend zurück, so bin
ich vom Gedanken bewegt, wie vielen Menschen
ich für das, was sie mir gaben und was sie mir
waren, zu danken habe. Zugleich aber stellt sich
das niederdrückende Bewußtsein ein, wie wenig
ich jenen Menschen in meiner Jugend von diesem
Danke wirklich erstattet habe. Wie viele von
ihnen sind aus dem Leben geschieden, ohne daß
ich ihnen ausgedrückt habe, was die Güte oder
die Nachsicht, die ich von ihnen empfing, für
mich bedeutete! Erschüttert habe ich manchmal
auf Gräbern leise die Worte für mich gesagt, die
mein Mund einst dem Lebenden hätte aussprechen
sollen.

Dabei glaube ich sagen zu können, daß ich
nicht undankbar war. Bei Zeiten bin ich aus der
jugendlichen Gedankenlosigkeit erwacht, das,
was ich an Güte und Nachsicht von Menschen
erfuhr, als etwas Selbstverständliches hinzunehmen
. Ich meine darüber so früh nachdenklich
geworden zu sein, wie über das Weh in der
Welt. Aber bis zu meinem zwanzigsten Jahr,
und noch darüber hinaus, habe ich mich zu wenig
dazu angehalten, die Dankbarkeit, die in mir
war, auch zu bekunden. Ich ermaß zu wenig, was
es für Menschen bedeutet, Dankbarkeit tatsächlich
zu empfangen. Oft auch ließ ich mich durch
Schüchternheit zurückhalten, Dankbarkeit auszusprechen
.

Weil ich dies an mir erlebt habe, meine ich
nicht, daß so viel Undankbarkeit in der Welt ist,
wie man gewöhnlich behauptet. Nie habe ich die
Geschichte von den zehn Aussätzigen so auslegen
können, als ob nur einer dankbar gewesen sei.
Ich glaube, daß alle zehn dankbar waren. Aber
neun von ihnen begaben sich zuerst nach Hause,
schnell die Ihrigen zu begrüßen und nach ihren
Angelegenheiten zu sehen, und nahmen sich vor,
nachher sogleich zu Jesus zu gehen und ihm
ihren Dank zu erstatten. Nur kam es nicht dazu.
Sie wurden zu Hause länger festgehalten als sie
dachten und unterdessen starb Jesus. Einer aber
besaß die Gabe, seinem unmittelbaren Empfinden
zu folgen. Dieser suchte den, der ihm geholfen
hatte, alsbald auf und erquickte ihn durch
Dankbarkeit.

So müssen wir alle uns anhalten, unmittelbar
zu sein und die unausgesprochene Dankbarkeit
zur ausgesprochenen werden zu lassen. Dann gibt
es in der Welt mehr Sonne und mehr Kraft zum
Guten. Für sich aber muß sich ein jeder von uns
dagegen wehren, die bitteren Sprüche von der
Undankbarkeit der Welt in seine Weltanschauung
aufzunehmen. Es flutet viel Wasser unter dem
Erdboden, das nicht als Quelle herausbricht. Dessen
dürfen wir uns getrösten. Selber aber sollen
wir Wasser sein, das den Weg findet Quelle zu
werden, an der Menschen den Durst nach Dankbarkeit
stillen können.

Noch ein anderes bewegt mich, wenn ich an
meine Jugend zurückdenke: die Tatsache, daß so
viele Menschen mir etwas gaben oder etwas
waren, ohne daß sie es wußten. Solche, mit

denen ich nie ein Wort gewechselt habe, ja auch
solche, von denen ich nur erzählen hörte, haben
einen bestimmten Einfluß auf mich ausgeübt.
Sie sind in mein Leben eingetreten und Kräfte
in mir geworden. Gar manches, was ich sonst
nicht so klar empfunden und so entschieden
getan hätte, empfinde und tue ich so, weil ich
unter dem Zwang jener Menschen stehe. Darum
kommt es mir immer vor, als ob wir alle geistig
von dem lebten, was uns Menschen in bedeutungsvollen
Stunden unseres Lebens gegeben
haben. Diese bedeutungsvollen Stunden kündigen
sich nicht an, sondern kommen unerwartet.
Auch nehmen sie sich nicht großartig aus, sondern
unscheinbar. Ja, manchmal bekommen sie
ihre Bedeutung für uns erst in der Erinnerung,
wie uns die Schönheit einer Musik oder einer
Landschaft manchmal erst in der Erinnerung
aufgeht. Vieles, was an Sanftmut, Gütigkeit,
Kraft zum Verzeihen, Wahrhaftigkeit, Treue,
Ergebung in Leid unser geworden ist, verdanken
wir Menschen, an denen wir solches erlebt haben,
einmal in einem großen, einmal in einem kleinen
Begebnis. Ein Leben gewordener Gedanke sprang
wie ein Funke in uns hinein und zündete.

Ich glaube nicht, daß man in einen Menschen
Gedanken hineinbringen kann, die nicht in ihm
sind. Gewöhnlich sind in den Menschen alle
guten Gedanken als Brennstoffe vorhanden. Aber
vieles von diesem Brennstoff entzündet sich erst
oder erst recht, wenn eine Flamme oder ein
Flämmchen von draußen, von einem anderen
Menschen her, in ihn hineinschlägt. Manchmal
auch will unser Licht erlöschen und wird durch
ein Erlebnis an einem Menschen wieder neu angefacht
.

So hat jeder von uns in tiefem Danke derer
zu gedenken, die Flammen in ihm entzündet
haben. Hätten wir sie vor uns, die uns zum
Segen geworden sind, und könnten es ihnen erzählen
, wodurch sie es geworden sind, sie würden
staunen über das, was aus ihrem Leben in
unseres übergriff.

*) Albert Schweitzer: „Aus meiner Kindheit und Jugendzeit
". Biederstein - Verlag, München, 1949.

2lm öfteumorgen

Frühregen sprühte zwischen Traum und Tag;
Doch als die Sonne goldrot auferstand,
Verwich die Wolkentrübnis — vor dir lag
Im lichten Lenzgrün das bekränzte Land.

Noch mahnten Wälder, schwarz und schlafesschwer,
Daß jüngst der Tod das Leben überwand:
Dein kaum erwachtes Auge sah umher,
Bis es die ersten Weidenkätzchen fand.

Und raunend rieselten vom Bergeshang
Lebendige Quellen durch die Frühlingsau;
Vom Tale her scholl Osterglockenklang,
Und Lerchen jubel schwang im Himmelsblau.

Du standest, windumhaucht und lichtumflossen,
Entronnen dumpfem Winternachtverliese —
Zu deinen Füßen Kind und Lamm genossen
Ihr junges Dasein auf beblühter Wiese.

Ernst Sander

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