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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-04/0014
wollen; wer auf Hoffnung jagt, fängt Nebel ein.

Stets wird es dem Siebenundfünf zig jährigen
schwerer als dem Zweiundz wanzig jährigen sein,
revolutionär zu denken, selbst wenn ersterer ein
flotter Student war. Der Zweiundzwanzigjährige
aber, dem ein Gottfried Kinkel, im Professor ein
Dichter begegnet, berufen, Jünglinge ins Feuer
seines Glaubens zu reißen, muß tollkühn werden
— und das war der Karl Schurz.

Gott drücke die Idee der Menschheit in den
verschiedenen Völkern, innerhalb eines Volkes in
seinen sozialen Schichten aus; nichts sei verderblich
wie ein Staat der Gewalt, der nur auf Geld
und Soldaten stehen wolle: er verwirke sein
Leben; ein Nationalstaat, den er ersehen, müsse
sein Gefüge mit den geistigen und moralischen
Kräften der Volkheit durchtränken; sobald es
geschehe, sei er mündig, verantwortungswillig im
menschheitlichen Sinne; dann löse er die ihm
gestellte Aufgabe und führe ein um seine Selbstverwirklichung
bemühtes Volk dahin, daß es
Staats Volkpersönlichkeit werde; der Staat verfalle
, wenn er nur eine Tendenz fördere; er blühe,
sobald er die tragende Harmonie der nur polaren
Gegensätze erstrebe, den Treuebund des Einklanges
!

So führte der Schurz einem Kreise von Bonner
Studenten Gedanken aus, die er seinem
Lehrer — das betonte er wiederholt — dalnke.

Auch der Schnezler mochte den Polizeistaat
nicht, der seiner Ansicht nach eingerichtet sei,
Fürsten- gegen Volksrecht zu schützen. Er hatte
von Köndringen aus eindeutig beobachten können
, wie während der letzten Jahrzehnte dem
Großbürgertum der vierte Stand gegenübergetreten
war. Die Spannungen, so erkannte er, steigerten
sich: er wußte, den Festungen fehle der
Raum, politische Gefangene unterzubringen.

Es klopfe und poche an Mauern und Tore des
absolutistischen Staates, an das Werk Metternichs
; erbärmlich sei es, unwert der Gefallenen
der Freiheitskriege; seitdem das böse Ministerium
Blittersdorf von Karlsruhe aus regiere und sich
zum Hort jener Kräfte entwickelt habe, die das
Hergebrachte verewigten und den Mut zur Wirklichkeit
abdrosselten, wüteten auch in Baden
Zensur und Stockprügel, und das Land um
Neckar und Rhein sei freiheitlich wie kein anderes
; soziale Gedanken würden des Unverständnisses
der Besitzenden wegen sozialistisch; er
rieche den Qualm brennender Städte!

So hatte er beim Dezemberkonveniat des
Hunger jähr es gesagt, das zu Köndringen im Gastzimmer
seines Pastorats stattfand, und da ihm die
Gesichter der Runde kaum bewegt schienen, hatte
er hinzugesetzt: der Bauer seufze unter schikanösen
Fronden und hasse den Zehnten; acht- bis
zwölfjährige Kinder verdienten in Spinnereien
wöchentlich vierzehn Silbergroschen, dreißig die
Mädchen im Krempelsaale; Kornträger, Floßknechte
und Strumpfwirker klagten wie nie über
ihr Los; die Segelschiffer bejammerten den Verfall
des Leinpfades, und die Fuhrleute forderten,
man solle Kaufmannsgüter nur von Frachtfahrern
befördern lassen; nicht das Individuum verschulde
die Zustände, sondern die völlig verkehrte
, unnatürliche Einrichtung der Gesellschaft!
„Ein Gespenst geht in Europa um", hatte er geschlossen
, „das Gespenst des Kommunismus, und
wir sind, meine ich, nicht unschuldig an ihm".

Die Herren hatten ob seiner Heftigkeit die
Schultern gezuckt, der greise Dekan von Emmendingen
aber gelächelt: Baden bleibe ruhig; eines
Tages fänden seine Männer und Frauen den Mut,
die Landschaften des Himmels aufzusuchen; dann
legten sie sich in warme Gärten der Ebene und
auf die Stufen der Vorberge, um die Wolken zu
betrachten, die Heimat des Lichtes; sie schickten
die Seele durch seine Unermeßlichkeiten; sterngekrönte
Nächte setzten sie hinweg über das, was
man Staat nenne, was den Menschen klein mache
und bedrücke; wer diese Art, zu schauen, übe,
gebe seinem Leben den Stil des Großen, ob er
Graf sei oder Knecht; ihn, den Dekan von Emmendingen
, kümmere das Geschwätz der Gazetten
und Flugblätter nicht; wenn er Großherzog wäre,
verböte er den Bau von Maschinen, die das
arbeiten, was vor fünfzig Jahren noch Menschenhände
verrichtet hätten!

Diese Worte fielen im Pastorat zu derselben
Stunde, in welcher Karl Schurz den Freunden zu
Bonn die Aufgaben und das Gefüge des künftigen
Staates darlegte. Die Studenten saßen in
einer Kneipe nahe dem Rheine beim Licht einer
Lampe, die breit über dem Tisch hing, und Karl
Schurz sprach glühenden Blutes.

Der Abend lasse erkennen, wie verhängnisvoll
es für den Politiker sei, wenn er notwendige
Umgestaltungen zu lange hinauszögere; Kinkel
habe recht: der Staat sei Menschenwerk, wandelbar
, Volk aber sei das Bleibende, das Wachstümliche
, Gemeinschaft des Lebens, hingegen eine
schöpferische Politik Kunst; die wirtschaftliche
Führung müsse der rechte Staat vom Volke ausgehen
lassen, von den freien Kräften des Bürgertums
, nicht von seinen Ministerien und ihrer
Bürokratie; das Ungeziefer einer falsch verstandenen
Historie verzehre Deutschland; der Bundestag
zu Frankfurt sei eine Reichsschneiderei, in
welcher die Schwätzer säßen, die sechsunddreißig
deutsche Länderlappen zu einem großen und
groben Tuche zusammenflicken; jeder Gedanke
bleibe Entwurf; nichts ekele stärker an als das
Verhalten jener Krämerseelen, die von Freiheit
und Fortschritt sprächen und dabei die Welt als
einen Schauplatz ihres Geschäftes betrachteten,
das Fortschreiten nur duldeten, wenn es ihren
Geldsack spicke; es tue not, ein Oberhaupt mit
verantwortlichen Reichsministern, den Senat der
der Einzelstaaten und ein Volkshaus zu bilden, in
welchem auf siebentausend Seelen ein Abgeordneter
komme; das Parlament müsse das deutsche
Heerwesen, Diplomatie, Handel, Zoll und Verkehr
regeln, ein Bundesgericht einsetzen und die
volkstümlichen Freiheitsrechte sichern!

Karl Schurz stand, während er sprach.

Seine blauen Augen zuckten, als hinge an
ihren Winken ein Weltgeschick, die Schnüre der
Pekesche, der pelzbesetzten . Rauchjacke seiner
Burschenschaft spannten sich ihm über die Brust,
und hin und wieder bekräftigte er das Wort durch
Gesten seiner langen und schmalen Hände. „Das

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