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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-05/0005
Margaritenwiese

(Aufnahme: Ida Preusdi)

Ernst Sander:

Hat man, wenn man sie durchschritt oder an
ihren Rändern rastete, sich je mehr als beiläufig
zu Bewußtsein geführt, was es auf sich hat mit
den Wiesen, den grünen, beblühten, gehügelten
oder geneigten Hängen, den hingebreiteten
Flächen?

Man hat sie auf schmalem Fußpfad durchschlendert
oder sie durchfahren, wenn die Landstraße
sie querte; man hat, wenn der Wjald wich,
über sie hinweg in die Weite geschaut. Oder
man hat ein freundliches Gefühl des Willkommenheißens
empfunden, wenn man die letzten
Häuser der Siedlung, die kleinen Felder hinter
sich ließ und dann plötzlich die Wiesen sich zu
dehnen begannen. Es könnte sogar sein, daß
man ihnen heimlich einen Gruß zugenickt hat,
mild angerührt von Kindheitserinnerungen an
erste Blumen, die man gekannt, mit Namen genannt
, die man gepflückt hat: Hahnenfuß und
Kuckucksnelke, Schaumkraut und Dotterblumen.
Und vielleicht ist man gar versucht gewesen, zu
tun wie damals, sie zu pflücken, die kühle
Schmalheit der Stengel zwischen den Fingern
zu spüren...

Aber man ist groß und klug geworden, oder
bitter und müde, und so wehrt man dem träumerischen
Verlangen, mit einem Strauß heimzukehren
und sich mittels seiner die Gegenwart
der Wiese ins Zimmer zu zaubern: das sonnenüberglänzte
Grün mit dem zarten Webeschleier
der gelben, rötlichen, weißen und blauen
Blütenstände, der Rispen, Dolden, Ähren und
Trauben.

Sage man, was man wolle: Der Acker, das
bestellte Feld gemahnen in tiefen Schichten des
Bewußtseins an die Notdurft des Lebens, der
man doch für einige Zeit hatte entrinnen wollen,
als man sich ins Freie begab. Und der Wald?
Sein freundlich - feierlicher Schatten, seine
Stammwirrnis, die Vielfalt seines Raumes führen
uns auf uns selbst zurück, auf jenes Ich,
das uns dessen Bedingtheiten für eine Weile
hintanzustellen unser Verlangen war, als wir
Haus und Stadt hinter uns ließen. Denn beim
Durchwandern eines Waldes sammeln wir uns.
Die Aufmerksamkeit ist gesteigert — wir wit-,
tern nach allen Seiten; • unsere Sinne schärfen
sich. Wir horchen auf Geräusche, unter gelindem
Zusammenfahren wohl gar, auf ein Knacken im
Unterholz, ein Rascheln im Laub. Wir achten
der Wurzeln, der Steine und Rillen, an denen
der Fuß straucheln könnte, • und der Einsame
mustert mißtrauisch den ihm im Walde Begegnenden
. Kurzum: im Walde werden wir alle
ein wenig zu Menschen der Zeitenfrühe, für die
der Wald, seiner Unübersichtlichkeit wegen, der
Inbegriff des Fähr de vollen war; und wir werden
sogar, andeutungsweise, in den Seelenzustand
jenes Dichters versetzt, der sich im wilden Walde
des Lebens verirrte und seine Höllenfahrt antrat
. . .

Anders die Wiese. Immer wird ein innerliches
Aufatmen ihr wohliges Hingebreitetsein begrüßen
. Wiese: Das ist die Entrückung aus allen
Wirrnissen. Wiese: Das ist Weitwerden, das ist
die Möglichkeit zu unbedrängtem Atmen und

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