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Franz Schneller:
@in Äocf in 5ec Ktyemebene
Jeden Sonntag fuhren wir mit dem Vorortzug
aufs Land. Ich eroberte mir stets einen Fensterplatz
und fragte immer wieder: kommen noch
viele Stationen?
Wir wanderten jedesmal geraume Zeit. Mit
Vorliebe auf Feldwegen, oder einem Bach entlang
. Ich voraus wie ein Jagdhund. Zurück nur,
wenn es was zu fragen gab. Geriet ich außer
Atem, erkundigte ich mich, ob denn noch nicht
bald ein Wirtshaus käme, ich könnte es nicht
mehr erschnaufen. Aber der Alte beruhigte
mich: „Schnauf nur weiter, wer lange schnauft,
lebt lang!"
Der Alte blieb öfter stehen und half mit der
Hand dem Schweiß nach, der ihm von der Glatze
rann. Er ließ mich raten, wie die Bäume hießen,
die da und dort standen und machte mich auf
die Verschiedenartigkeit der Rinde aufmerksam.
Bestand ich meine Prüfung nicht, schenkte er
sich alles Weitere mit der Bemerkung: ich hätte
eben keine Poesie im Leibe, und rief mich erst
wieder zurück, wenn uns das erste Schwein
begegnete.
„Lupf den Hut", befahl er. „Warum?" „Aus
Dankbarkeit für das gute Schweinerne!" Ich tat
ihm den Gefallen, obwohl mir kein Schwein den
Gruß abnahm.
Fand er unterwegs einen Rebstecken oder
einen anderen Prügel, wählte er ihn als Wanderstab
. Alles bestaunte er aufmerksam, fast kindlich
, als blicke er in ein Traujngesicht. Er liebte
diese Ebene, die in der Nacht der Zeiten von
einem großen Blinden mit fühlsamen Händen
geformt wurde. Sie hatte für ihn offenbar etwas
festliches, das sein Gemüt in Schwingung versetzte
, und sein Dasein in einen erhöhten, echt
sonntäglichen Zustand brachte. Sie war sein
Eigen. Sie war sein Glück.
Sowas kann nur langsam reifen. Und auf dem
Lande sprach er nur die Mundart. In ihrer Musik
beschwor er sein Heimweh herauf, denn er
hatte als Kind sein Dorf verlassen. Sie blieb
seine Herzenssprache. Sie, die über allen Sprachen
steht. Sie, die ewig gültige, die Landschaft
selbst. Sie, so behutsam in ihrem Gang, zeitlos
und voll der Unschuld, unberedsam aus Keuschheit
. Sie, die leibhaft anrührt. Sie, in der Wahrheit
und Geheimnis west. Deren Wort so weit
greift, vielstimmig oft. Sie, die so vertraulich
mündlich zu werden vermag und plötzlich so
stark, daß keiner ihrer Kraft widersteht.
Der Alte ist in sie eingegangen. Ich gehe
weiter. Immer wieder hinaus in die Ebene. Oft
bis an den Rhein, dessen Werk sie ist.
Zu einer Zeit, lang vor den späteren der
Sagen und Legenden, als er von seiner Absicht
abstand, sich für das Mittelmeer zu entscheiden,
hat der mit vielen Armen si%. geschaffen. Den
Schotter der Alpen zuerst in ihr verzettelt. Und
die Bäche des Schwarzwaldes und die der Voge-
sen sind ihm dabei an die Hand gegangen. Aber
er hat mit den stärkeren Ellenbogen den Beitrag
der anderen beiseite geschoben. Sie alle
bezwungen, nur nie die III. Den Schutt der andern
hat er allen verharkt. Den Schwerspat der
Kinzig bis nach Holland getragen.
Wer ahnt, wieviel Zeit die Verwitterung benötigte
, aus der die Haut wurde, die Ackerkrume
. Denn in tausend Jahren wird kaum ein
Zentimeter fruchtbaren Bodens. Nur wer die
Ebene sich so in ihrem Werden vergegenwärtigt,
bringt die Ehrfurcht auf, die ihr gebührt. ..
Dann, zur Zeit der großen Wanderung, kam
der Mensch. Der Mensch braucht die Erde.
Braucht die Erde den Menschen? Die Ebene
wurde Garten. Er ihr Adam. Es war ein Geben
und Nehmen. Es entstanden die Keimzellen der
Dörfer, befestigte Gehöfte. Die dehnten sich
langsam aus wie der Ölfleck, der die Grenzen
seines Umkreises in sich trägt. Jedes Dorf ist
ein Herz und hat seinen eigenen Blutkreislauf.
Es hat seine Gesetze, die es befolgt. Denn nur
so wird sein Fortdauern möglich. Also muß auch
der Bauer etwas vom Unveränderlichen in sich
bewahren, das allen Bewegungen und Strudeln
der Geschichte standhält. Daß er es hat, spüren
wir andern. Er nicht. Er hat uns bei unseren
Hamsterfahrten oft zur Verzweiflung gebracht*
wenn soviel Geduld gegen soviel Ungeduld
stand.
Es war stets das gleiche Zeremoniell. Es
begann mit einer gewissen Kühle beim Empfang.'
Kaum daß Worte hin und her in Gang zu bringen
waren. Da war schlecht angesehen, wer das
Pendelschwingen des Gesprächs zu beschleunigen
versuchte. Höchstens, daß ein Glas Wein dem
langsamen Auftauen nachhalf und die Gastlichkeit
soweit förderte, daß unversehens ein Laib
Brot auf den Tisch kam und als Zeichen besonderer
Gunst ein Vesperle in Gestalt von Schälrippchen
, vom Schwein das, was am wenigsten
Fleisch ansetzt und kaum Fett, doch etwas
vom Schmackhaftesten, das muß man sagen.
Danach das Gespräch. Ein unermüdliches
Fragen. Ein Spiel der Neugier ohne Ende. Es
wollte jedesmal bestanden sein mit Kräften oft,
die nur der Held im Märchen durchhält. Wohl
dem, dem blutliche Beziehungen zuhilfe kamen,
oder Kameradschaft, die auf anderem Boden
schon entstand.*
Auf diese Weise ist eines dieser Dörfer auch
mein Dorf geworden. Und dies kam so: wir
waren damals, im ersten Krieg die einzigen in
einem fremden Truppenteil, ein Jungbauer eines
Dorfes der Rheinebene und ich. Er, ein gelber
Dragoner, nun ohne Pferd, in einem Graben der
Pikardie. Vielleicht hatte sein Vater beim Abschied
zu sagen vergessen, was meiner sagte:
„Unkraut verdirbt nicht". Jedenfalls traf ihn
eines Morgens eine verirrte Kugel. Ich schickte
den Seinen die Erkennungsmarke und was er an
Briefschaften auf sich trug. Begrub ihn am Rande
eines Dorfes und hing ihm ans Kreuz ein
Hufeisen zum Zeichen, daß er ein Dragoner wan
So kam ich dann, viel später, als ein Stück von
ihm, wie es im Lied vom guten Kameraden
heißt, auf seinen Hof. Und immer wieder komme
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