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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-05/0009
einem? Sehr einfach, erklärte der Toni, ein armer
Bauer hat nicht genug Geld, sich Kunstdünger
zu kaufen, der den Geschmack der Kartoffel
verdirbt, andererseits Kinder genug, zum
Ablesen der Kartoffelkäfer.

Zweimal mußten die vom Dorf fliehen. Zweimal
sind sie unverdrossen wieder zurückgekehrt
und im vorletzten Kriegswinter haben sie zum
Dank von einem Lazarett in der Stadt, alle die
gehen konnten, eines sonntags zu sich eingeladen
. Ich war auch dabei. Ob das ein Fest war!
Am Bahnhof, eine Stunde vom Dorf entfernt,
warteten schon zwei Leiterwagen bändergeschmückt
auf uns. Es war noch nicht 10 Uhr,

Mi Heimettal hat kcheini Wunder,
es hat kchei Schloß und hat kchei Dom,
es hat kchei Burg, kchei alte Plunder,
kchei groß Gibäu, kchein See, kchein Strom.

Es hat nu Berg mit tiefe Wälder,

e Chäppeli stoht drüber us,

's hat Bächli, Hürst und Fels und Felder

und do und dort e Schindlehus.

's hat Stei, Forelle, Schwümm und Beeri,

di beste Blueme für en Tee,

und dur de Bach e hölzi Wehri

und schöni Chind. — Mir wän it meh!

Richard Gang

als wir auf dem Dorfplatz eintrafen. Da stand
schon vor jedem Haus einer, der seinen Gast
erwartete. Und gleich ging es zum Essen. Uberall
die gleiche Speisenfolge: zuerst eine dicke
Nudelsuppe, dann Rindfleisch mit Meerrettig und
Bahnen, danach Geräuchertes mit Sauerkraut
und Kartoffelbrei. Von allem mehr als wir essen
konnten. Nach dem Wein Gugelhupf und Blitzkuchen
und Kaffee. So gegen 1 Uhr versammelte
sich alles in der „Krone". Nicht ein Mädchen
blieb daheim. Nicht eine, die ohne Korb am Arm
mit Selbstgebackenem erschienen wäre. Die
Wirtsstube wurde rasch zur Sauna. Alle glühten
vor Aufregung und Wein. Es wurde gesungen.
Ein lustiges Theaterstück gespielt. Das Klavier
wurde gehämmert und ein Tenor mühte sich
mit einem Knödel ab. Schön war es, besonders
wenn alle mitsingen konnten. Selbst der Pfarrer
hatte seine Freude dran und er verschwand erst,
als ein Mädel zu seiner Rechten, ein Soldat zu
seiner Linken, ganz mir nichts dir nichts ihm
einhakten, um mit ihm zu schunkeln. Man hatte
seine liebe Not, in der Dämmerung die Kerle mit
den Freßpaketen wieder auf die Leiterwagen zu
bringen. Es ging nur mit dem Trick, den sie im
Süden bei Kampfstieren in der Arena anwenden
, die nur mit Kühen wieder in die Ställe
zurückzulocken sind.

Mein Gott, wieviel Zeit ist seitdem vergangen
. Aber nichts, was das Dorf erlebte, ist vergessen
. Die Kronenwirtin schüttelt sich immer

noch vor Lachen, wenn sie erzählt, daß die Soldaten
vor Hunger sogar die Petersilie von den
Platten gegessen hätten.

Von ihnen allen kam keiner mehr ins Dorf.
Aber die Mädchen singen die Lieder von damals
weiter. Sie lieben den Gesang, weil Singen das
Herz höher schlagen läßt und alle Schwierigkeiten
behebt, die das Schweigen schafft.

Alle diese Dörfer zwischen dem Rhein und
dem Gebirge sind uralte Siedlungen. Älter als
die Städte im gleichen Raum. Und da leichter
durch's Leben kommt, wer sich in- Grenzen hält,
haben die meisten dieser Dörfer fast ungerupft
zwei Kriege überstanden. Freilich, die den
Strombrücken am nächsten, wurden desto schwerer
getroffen.

Wer nach der Dorfgeschichte fragt, den schik-
ken sie zum Lehrer oder zum Pfarrer. Aber
manchmal ist auch ein Ratschreiber oder sogar
ein Bauer da, der sich in ihr auskennt. Wie viele
von ihnen haben scfion wertvolle Beiträge zur
Erforschung der Vor- und Frühgeschichte der
Heimat geliefert. Und seit der Funde soviel
geworden sind, ist jeder hellhörig geworden und
achtet darauf, daß er Scherben und Knochen, die
der Pflug hochwirft, zur Fundstelle in der Stadt
bringt.

Im Dorf ist nach wie vor der Pfarrer die an-
gesehendste Person. Man hat ihn gern, wenn
er die Kirche im Dorf läßt, und nicht zuviel
Seelsorge treibt. Man hat es gern, wenn er an
heißen Sonntagen den Kirchgänger tröstet, er
werde der großen Hitze wegen die Predigt abkürzen
und im Winter der Kälte wegen.

Die Völkerwanderung, die nach diesem Krieg
einsetzte, hat manches Dorf in Verlegenheit gebracht
. Denn für einen Dorfbürgermeister ist es
noch schwieriger als für einen aus der Stadt,
Zugewanderte unterzubringen, besonders solche,
die nicht von angestammten Rittergütern kommen
, also Landarbeit nicht kennen. Aber viele
haben sich, das muß man sagen, der neuen Heimat
angepaßt, und noch rascher gewöhnen sich
ihre Kinder an die bodenständige Mundart. Alles
in allem braucht niemand über die Wesensveränderung
des Dorfes zu sehr zu jammern. Wenn es
auch Landflucht gibt, bleiben deswegen die
Äcker doch nicht unbestellt. Gewiß schmeißen
die Mädchen vom Ziehharmonikaklub ganz wie
die in der Stadt ihre Schlager hin. Aber im
Stall geht es mit dem Rhythmus nicht. Die Kuh
würde mit der Schwanzquaste das Melken stoppen
und welches Mädchen wollte die Schande
des Nachmelkens durch andere Hände auf sich
nehmen? Das Dorf hat eben seine alten Gesetze,
die müssen befolgt werden, wenn das Dorf
erhalten bleiben soll.

die Monatszeitschrift des Hebelbundes

Sie erscheint monatlich und kostet 50 Pfg., Im Postversand
65 Pfg., ins Ausland 70 Pfg.

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