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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-05/0010
Theodor Seidenfaden:

E i n e A

(1. Fortsetzung.)

„Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten
und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären
offen, ihre Zwecke durch gewaltsamen
Umsturz der Gesellschaftsordnung erreichen zu
wollen. Mögen die herrschenden Klassen vor der
künftigen Revolution zittern: die Proletarier
haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten.
Sie haben eine Welt zu gewinnen!"

Diesen Schluß des Manifestes las der greise
Dekan von Emmendingen bei dem Konveniat
vor, das im Februar des Jahres 1848 im warm
geheizten Gastsaale seiner Dekanei stattfand.
Das gelbe Heft, darin es stand, zitterte ihm in
den Händen, und seine Stimme klang erregt;
denn nun wußte er, daß der Traum der himmlischen
Landschaften, den er $vor Weihnachten zu
Köndringen dem Schnezler entgegengesetzt
hatte, ausgeträumt war, und selbst der Schnezler
erschrak.

Doch wie er vorher kein Flammenträger des
Fortschrittes gewesen war, blieb er auch als
plötzlicher Gegner gemäßigt, dem Schelm seines
Wesens treu, weshalb die Möglichkeit sich ergab,
mit dem ihm unbekannten Schurz so zusammenzustoßen
, daß der Kinzig spitzbübisches Lachen
sich an der breiteren Heiterkeit des Rheines
messen konnte.

Den Karl Schurz hingegen bestimmte die
Sprache des Manifestes, sich nun erst recht dem
Drängen der Liberalen anzuschließen: dem Willen
, die bestehenden Verhältnisse zu ändern,
damit nicht eine kommunistische Bewegung das
Abendland in einen Feuerpfuhl des Gewesenen
verwandle. In den Städten hub das Gären an, die
Bauern scharten sich, und als die Wiener den
Fürsten Metternich, den Staatskanzler und
eigensinnigen Bewahrer der Herrscherrechte gestürzt
hatten, dauerte es nicht lange, da rauchten
zu Berlin, Dresden und Leipzig — selbst im
Badischen — die Flammenzeichen der Empörung,
von denen niemand wußte, welche kommunistischen
Kräfte schon mitwirkten, sie zu schüren.
Der Mannheimer Obergerichtsadvokat Friedrich
Hecker, der aus dem Frankfurter Vorparlament
— der Reichsschneiderei, von welcher der Schurz
gesprochen hatte —, austrat, erließ von Konstanz
aus einen Aufruf zur Revolution, weil er erkannte
, es bleibe unmöglich, seinen republikanischen
Anschauungen eine parlamentarische Mehrheit
zu sichern. Die fünfzig Bewaffneten, die sich
ihm gesellten — Unzufriedene aller Schichten —
wuchsen schnell auf 1300 an, woraufhin in Baden
eine provisorische Regierung sich bildete, die
eine Neuordnung versuchte: eine gegen die Fürsten
und ohne die Kommunisten. Der Schurz,
dem die Bonner nicht geeignet erschienen, einen
Aufstand von einiger Bedeutung zu entfesseln,
machte sich, sobald er hörte, was um Friedrich
Hecker geschehe, auf den Weg: entschlossen,
zwischen Heidelberg, Karlsruhe und Freiburg im
Kampfe um die Demokratie seinen Mann zu

n e k d o t e

stellen und so das Zerstörerische des Marx'schen
Manifestes in die rechten Bahnen zu lenken.
Nach abenteuerlicher Fahrt meldete er sich bei
der Volkswehr, jener Truppe der Aufständischen,
die den Willen der provisorischen Regierung
durchzusetzen hatte. Preußen, zu dem das Rheinland
gehöre, sagte er, sich dem Obersten vorstellend
, werde kaum helfen; deshalb komme er
nach Baden; jedem Deutschen seien das Glück
und die Freiheit des Vaterlandes, die Ehre, ans
Herz gelegt; er sei Schüler Gottfried Kinkels
aus Bonn und komme, das Leben in die Schanze
zu werfen für das höchste Ziel: die Einigung
aller Stämme unter einem gemeinsamen Oberhaupt
! Nicht kommunistisch: volkheitlich müsse
Deutschland sich finden und seine Gegensätze
als fruchtbare Spannungen — einen Reichtum
also — sehen und werten!

Er trug die Schärpe der Freischärler, den
Korpsschläger, und im Gurt eine Pistole. Die
schwarze Pekesche und die schneeweiße Hose,
die in Kanonen steckte, den Reiterstiefeln, saßen
straff. Die dunkelbraunen Bartkoteletts, der
kecke Schnurrbart und das gelockte Kopfhaar —
den breitkrempigen Hut, den Heckerhut, den er
sich zugelegt hatte, hielt er in der Rechten —
ließen die frischen Farben seines Gesichtes und
den blauen Blick in besonderem Lichte erscheinen
. Man freute sich des Feuers, das aus ihm'
sprach, verpflichtete ihn durch Handschlag und
gab ihm, schon nach zwei Wochen revolutionären
Lagerlebens, den Auftrag, der ihm Gelegenheit
zu dem angekündigten Spiele zwischen dem rheinischen
und alemannischen Schelm geben sollte.
Natürlich ahnte er so wenig von ihm wie sein
Gegenspieler, der Schnezler; aber gerade das
Unbewußte, das in ihnen zusammenstieß, warf
in die Freudlosigkeit der Stunde jenes humorige
Schmunzeln überlegener Geschichteschau, ohne
welches der Rhein nicht leben kann: ob er durch
die Schweiz,. durch Baden die Pfalz und das Hessische
, an Koblenz und Köln vorbei oder durch
Holland wandert.

Der Pfarrer Schnezler aus Köndringen im
Amte Emmendingen, sagte man ihm, wiegle die
jungen Burschen seiner Gemeinde auf und hindere
sie, der Volkswehr beizutreten; das sei eine
Art Hochverrat; er solle hingehen und sich die
Sporen verdienen, den Dickschädel also verhaften
; da seine despektierliche Art bekannt sei,
müsse er mit Widerstand rechnen; den habe er
als Kommissar der provisorischen Regierung —
so werde er auf dem Papier genannt, das ihn
ausweise — zu brechen; zu dem Zweck möge er
fünfzig Männer seines Schlages mitnehmen,
zünftig bewaffnet; je umsichtiger er zu Werke
gehe, um so nachdrücklicher wirke er; Blut
brauche nicht unbedingt zu fließen!

Diesen Befehl erhielt der Schurz zu Lahr, wo
das Hauptquartier der Aufständischen sich befand
, und von dort bis Emmendingen geht man

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