Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-05/0012
terin läuten, ihr den entsprechenden Auftrag
geben zu können. Die jedoch, eine stattliche
Jungfrau von rund fünfzig Jahren, stand während
des Auftrittes in der offenen Tür. Sie beobachtete
, was der Bursche, der frech und forsch
an ihr vorbei ins Haus gedrungen war, von dem
Hochwürdigen Herrn — die Richtung zur Arbeitsstube
hatte sie ihm gewiesen —, begehre,
und der Schnezler bemerkte sie erst, als er auf
die Schelle zuschritt; denn er hatte, da ihn der
Schurz anrührte, der Tür den Rücken zugekehrt.

Der Schurz — ihm war, ob seiner Information
, beim Marsche das Bild eines zornwütigen
Pfarrers in die Phantasie gewachsen — blieb bei
dessen Fröhlichkeit so verlegen, daß er eine
Weile ratlos stand, dann aber, heftig aufstampfend
, erwiderte: ,,Nicht um einen Streich,
es handelt sich um bittere Wirklichkeit, die, auch
ohne Ihren Herodot, Geschichte ist. Sie verhindern
in Ihrer Gemeinde die Volkswehr. Ich habe
Sie im Namen der provisorischen Regierung,
deren Kommissar ich bin, verhaftet. Das Haus
ist umstellt. Zwingen Sie mich nicht zur Gewalt!"

Seinem Ansehen Nachdruck zu geben, fügte
er hinzu: den Verfall der gegenwärtigen Völker
aufzuhalten, müsse jeder Urteilsfähige der
schwarzrotgoldenen Fahne zuschwören, die Bestrebungen
also fördern, welche geeignet seien,
den Gemeinsinn zu wecken!

Der Schnezler hatte der Haushälterin, was
der Schurz bei seiner Heftigkeit nicht merken
konnte, lange ein Zeichen gegeben, den Wein zu
holen, und da auch sie aus dem Kinzigtal
stammte, ist es nicht verwunderlich, zu hören,
daß sie den Wein rascher brachte, als selbst der
Pfarrer es für möglich gehalten hätte: in dem
Augenblicke, der. den Schurz das Wort von der
schwarzrotgoldenen Fahne und dem Gemeinsinn
sprechen hieß. Sie trug die Flasche Mundelsheimer
und zwei Kristallgläser guten Schliffes
auf dem braunen Besuchstablett, stellte es hin

Ida Preusch - Müller: '

Der bunteste Schauplatz des Lebens ist die
Straße. Du stehst darauf und siehst ihren Windungen
nach. Was spielt sich nicht alles auf ihr
ab! Vom Kinderspiel bis zum Leichenzug, von
der Festfreude bis zum gräßlichen Unglücksfall,
vom friedlichen Spaziergang bis zum ehernen
Marsch des Krieges. Welch eine Skala buntester
Ereignisse!

Wenn alles vorbeigerauscht ist, wird die
Straße, auf der dein kleines Leben auch seine
Prägung erhielt, zum Bilderbogen der Erinnerung
. Wie Marionetten bewegen sich die Menschen
der Vergangenheit darauf, und unversehens
bist auch du eine dieser Puppen, die an
unsichtbaren Fäden gelenkt und bewegt werden.
Du bist Mitspieler auf der Straße des Lebens
gewesen und wirst es bleiben, solange der Wille
des unsichtbaren Lenkers dir diesen Platz läßt.

Zwei Straßen sind es, auf die meine Erinnerung
die buntesten Bilder meiner Jugend malt.

und ging hinaus. Beruhigt über das Kommende
— ihr scharfes Auge hatte genug gesehen —, zog
sie die Tür hinter sich zu, klinkte sie jedoch
nicht ein.

Wenn der Gaul gestohlen sei, lachte der
Schnezler, flicke man den Stall; wer allzusehr
eile, bringe sich leicht um den Sinn des Lebens;
der Wein sei da, und eine Revolution, die ihn
vergesse, gefährde sich.

Er nahm die Flasche und den neben ihr liegenden
Korkzieher, klemmte, wie wenn er wieder
Student wäre, den Mundelsheimer zwischen
die Beine und zog den Stopfen heraus, indem er
rief: „Gut — wenn ich denn fort muß, mag es
sein; aber Sie erlauben mir — des bin ich
sicher —, mit Ihnen als dem hohen Kommissarius
ein Glas auf das Wohl weltgeschichtlicher Treppenwitze
zu trinken!"

Der Schnezler war so gewandt, daß dem
Schurz keine Zeit blieb, dem Zorn nachzugehen,
er vielmehr plötzlich mit vollem Glas dem Verhafteten
gegenüberstand und diesen hinter dem
zweiten Glase — nicht anders wie bei dem lange
geübten Bonner Comment —, verbindlich lächeln
sah. Da ihn außerdem der Duft des Weines wie
ein Wunder anfiel und er von dem langen Wege
durstig war, trank er rascher, als es sonst seiner
Art entsprach, und der Schnezler, der das merkte,
goß ihm, in seinem Gespräche fortfahrend, gleich
wieder ein.

Gewiß habe er den Burschen geraten, nicht
in die Volkswehr einzutreten; er halte den Aufstand
für kopflos; töricht sei es, sich unüberlegter
Dinge wegen totschlagen zu lassen; der
Mensch sollte mit Hilfe der Schulen und Kirchen,
der Sekten, der Philosophen und der Geschichte
endlich zu sich selber finden; der Fortschritt des
Denkens tue not: dann erübrigten Aufstände
und ihre Verhaftungen sich, die nichts seien als
menschheitliche Selbstzerstörungen!

(Schluß folgt)

Sie gehen beide aus von meinem Geburtsort
Kandern und münden in Müllheim, der Heimat
meiner Eltern. Ein Kreis, in dem ein Stück
Markgräfler Land liegt. Die Straße über Sitzenkirch
-Eggenen-Feldberg-Vögisheim führt „Inne
dure", die andere über Riedlingen - Liel - Schlien-
gen aber „Usse dure". So sagten die Alten. Und
auf diesen beiden Straßen begannen die Eltern
ihren gemeinsamen Lebensweg von Müllheim
nach Kandern. Mutter fuhr mit der Postkutsche
„usse dure", und Vater ging zu Fuß neben dem
hochbeladenen Wagen voll Hausrat, den Götti
Wilhelm mit seinen Rossen „inne dure" führte.
Also im vollsten Sinne des Wortes war Vater ein
„Hergeloffener", wie die Einheimischen in ihrem
Stolz die Zugezogenen geringschätzig zu nennen
pflegen.

I. „Usse dure"

Über die Riedlinger Straße fuhr ich zum
ersten Mal als kleines Kind mit meiner Mutter

10


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-05/0012