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in der Postkutsche, die arg rumpelte und schüttelte
und viele laut redende Menschen in ihrem
Kasten barg. Es war mir nicht sehr behaglich
darin, denn alle Mitfahrenden kannten mich und
wollten wissen, ob ich zur Großmutter nach
Müllheim fahre, und ob ich mich freue „uf d'Ise-
bahn". Damals sagte niemand, er fahre mit dem
Zug; alle fuhren mit der Eisenbahn. Mir aber
war die Fragerei bald zu dumm, und ich sagte
ungeduldig: „Dir sin jetz scho so alt un wüsset
all no nit, woni hi will. I ha's doch jetz scho
gsait!" Und damit lehnte ich mich in Mutters
Arm und gab keine Antwort mehr.
Später, als ich zur Schule ging und das Kan-
derner Bähnle die Postkutsche verdrängt hatte,
durfte ich mit Vater diese Straße zu Fuß gehen.
Das war viel, viel schöner. Stillsitzen war mir
von je her eine Qual, und da konnte ich nun
neben Vater her hüpfen und springen und den
Weg zwei- und dreimal machen. „Wie ne Hundli",
sagte der Vater und lehrte mich, daß man beim
Wandern gleichmäßig Schritt halten müsse, um
nicht zu ermüden.
Den Käppelebuck hinauf gings langsam, und
man konnte so viel sehen. Wenn ich „Lots Weib"
spielte, sah ich hinter mir unser Städtchen liegen
mit dem Lüttersten, dem Häslerköpfle, den
Beiden Gleichen und den Lütschenbacher Steinbruch
. Seitwärts lag Bürgeln auf der Höh', und
der Turm der Sausenburg schaute neugierig aus
dem Wald hervor. Und ganz zu hinterst erhob
sich der Blauen, das Wahrzeichen der Heimat!
Am Pulverturm stand Webers großer Kirschbaum
, den ich gut kannte. Dann gings hurtig
bergab, dem Bollhölzli zu, wo es nicht ganz
geheuer war. Aber jetzt war ja Vater bei mir, da
brauchte ich mich nicht zu fürchten. Kurz vor
Riedlingen ging es am großen Steinbruch vorbei,
und dann lag das Dörfchen da.
Wir benützten aber durchs Dorf nicht die
Fahrstraße, sondern die alte Gasse. Da wohnten
manche Leute, die ich aus unserm Laden kannte.
Ich hielt fleißig Ausschau, ob ich niemand von
ihnen entdeckte, etwa „d'Gempe-Webere" (Frau
Weber Gempp), die uns immer die kleinen, blutroten
Christbaumäpfelchen brachte, oder den
alten „Chibi" (Kibin), der mich so gern foppte,
oder den Gemeinderechner Brombacher mit seiner
freundlichen Frau.
Beim Wirtshaus kamen wir auf die Fahrstraße
. Auch das Wirtshaus erhielt einen sehnsüchtigen
Blick. Ich war schon ein wenig müde,
und Durst hatte ich auf einmal auch. Aber es
war noch zu früh zum Einkehren, und standhaft
marschierte ich an Vaters Seite zum Dorf hinaus.
Abseits in einem alten Steinbruch lagerten
manchmal Zigeuner. „Schüürebürzler" hießen sie
bei uns, wie die herumziehenden Artisten, die
„in Scheunen purzelten". Wenn ich die braunhäutigen
, halbnackten Kinder sah und die
schlampigen, schwarzhaarigen Frauen in ihren
weiten Röcken und bunten Tüchern, dann wurde
ich klein und ängstlich und nahm sittsam Vaters
Hand. Denn, war ich daheim gar zu wild und
kletterte mit den Buben auf die Bäume, so
drohte mir Mutter oft, sie werde mich dem nächsten
Zigeunerwagen mitgeben, dort könnte ich
dann purzeln und klettern und Hunger leiden.
Vor dem Lieler Wald war die Schnepfenstöße
. Die Gegend war mir unangenehm; denn
der Chibi hatte mir einmal erzählt, daß die Jäger
, die dort Schnepfen schössen, immer „den
Schnepfendreck fräßen". Davor ekelte ich mich
sehr.
Dann aber gings in den Lieler Wald. Erst
kam der kleine, in dem ein Weg links nach Hertingen
führt. „Siehsch, Idali, do dure isch amel
der Hebel cho, wenn er uf Chander gange isch",
erzählte mir Vater. Ich kannte längst das Gedicht
vom Mann im Mond; Mutter hatte es mich
gelehrt. Wenn wir dann noch an der Fohlenweide
die lustigen Pferdchen betrachtet hatten
und in den großen Lieler Wald kamen, sagte ich:
„Vatter, chumm, jetz bisch du 's Müetterli". Und
nun sprachen wir mit verteilten Rollen den
„Mann im Mond", und unversehens lag der Wald
schon hinter uns.
War es Herbst, so mußte ich jetzt Nüsse auflesen
; denn zu beiden Seiten der Straße standen
schöne Nußbäume. Am besten gefielen mir die
frisch gefallenen Nüsse, die noch in den feucht
glänzenden aufgesprungenen „Laipfen" lagen;
aber die trockenen verschmähte ich auch nicht.
Die Dörfer Liel und Schliengen hinterließen
mir keinen Eindruck, aber umso mehr die Kreuze
am Wegrand. Die kannte man in den evangelischen
Dörfern nicht, und ich betrachtete sie andächtig
. Dann kam das letzte Stück der Straße
von Schliengen hinaus an den Bahnhof. Das war
endlos weit. Meine kleinen Beine hatten sich
müde gehüpft, und zu sehen gab es auf der
langweiligen Ebene nichts mehr. So war ich
froh, wenn der Zug einfuhr und wir einsteigen
konnten.
Jetzt brannte ich nicht mehr durch wie das
erstemal, als ich mit meiner Mutter diese Reise
machte. Damals, als das schwarze Ungetüm
heranbrauste, war ich plötzlich verschwunden,
und die erschreckte Mutter fand mich in einer
Ecke des Wartesaals.
Das Zugfahren war herrlich. Die Bäume an
der Landstraße flogen nur so vorbei. Das Augge-
ner Kirchlein schaute zwischen den Reben hervor
, und „Lueg, dort isch Hach, wo der Felse-
stückler wachst un wo als am Sunntig ,über ein
Kleines' Chilbi isch". („Über ein Kleines werdet
ihr mich nicht mehr sehen", predigte nämlich
der Hacher Pfarrer, — da brach der Boden des
alten Weinfasses durch, auf dem er stand, und
das Bibelwort erfüllte sich an ihm in unerwarteter
Weise. In Wirklichkeit hat der winzige Weinort
Hach aber weder eine Kirche noch einen
Pfarrer, feiert aber als einziger evangelischer
Ort des Markgräflerlandes Kirchweih.) Dann
kam der langgestreckte Rücken des Reggenhag,
wo auch Großvater und Götti Wilhelm ihre Rebstücke
hatten. Weißgetünchte „Bammerthüüsli
leuchteten aus dem Grün der Weinstöcke, und
endlich erschien das „Luginsland" mit seiner
schönen Linde.
Vom Luginsland hatte mir meine Mutter auch
eine schöne Geschichte erzählt:
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