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Im Sommer 1842 wurde dort das „Bammert-
hüüsli" eingeweiht. Zu Ehren der Großherzogin
sollte es den stolzen Namen „Sophienpavillon'4
erhalten. Da Großherzog Leopold mit seiner
Familie sich gerade in Badenweiler aufhielt,
wurden die hohen Herrschaften zur Feier eingeladen
, und sie kamen alle: der Großherzog, die
Großherzogin und die Prinzen Ludwig und
Friedrich. Am Aufgang zum Reggenhag bildeten
Vereine und Schuljugend Spalier, und oben am
Pavillon standen die Stadtväter und Festjungfrauen
zur Begrüßung bereit.
Nachdem die Einweihung vollzogen und die
nötigen Reden geschwungen waren, setzte man
sich an langen Tischen zum Trünke nieder,
's Großherzogs mitten unter den fröhlichen
Müllheimern. Als die Feststimmung ihren Höhepunkt
erreicht hatte, neigte sich ein Ratsherr
der Großherzogin zu, hob treuherzig sein Glas
und sagte, auf die Prinzen deutend: ,,Gott sterbi
my Seel, Frau Sophie, trinke Si und bringe Si 's
Ihre Bürstlene au zue. 's isch vo mym allerbeste
Elfer!" Die Großherzogin nahm die Anrede, wie
sie gemeint war, und trank samt ihren Söhnen
dem Rebmann freundlich zu.
Jetzt lag auch der Blauen da, unser Blauen!
Er sah von hier ganz anders aus als von Rändern
, höher, spitzer und näher. Man konnte meinen
, es sei nur ein Katzensprung bis hinauf
„zum Kaveri". Den kannte ich gut aus unserem
Laden. Xaver Stehlin hieß der Gründer und
Besitzer des Hotel Hochblauen. Wenn wir von
unserem Speicher aus nach dem Blauen sahen
und der Gipfel im Nebel lag, pflegte mein Vater
zu sagen: „Lueg, der Xaveri het d'Nefcelchappe
uf; es git Rege".
Schon waren wir am Bahnhof Müllheim. Bis
zu Großvaters Hof im Städtchen hatten wir noch
eine gute halbe Stunde auf Schusters Rappen
zurückzulegen. An der Landstraße harnen wir
am Gasthaus „Zum Kreuz" vorbei, wo einmal
Götti Wilhelm die Feier der „großen Goldenen"
vom Lörracher „Roßmärt" beschloß.
Mein Onkel Wilhelm, im Markgräflerland
bekannt als „der Eckerli-Daler", war ein erfolgreicher
Pferdezüchter. Einmal erhielt er für eine
Zuchtfamilie auf dem Lörracher „Prämiemärt"
eine große goldene Medaille. Die mußte gefeiert
werden, und nicht nur in Lörrach, sondern auch
auf der gemeinsam mit anderen Marktbesuchern
zurückgelegten Heimfahrt „usse dure" gab es in
jedem Dorf Gelegenheit dazu. So kam man
schließlich bei Nacht und Nebel nach Schliengen
in die „Sonne", wo schon eine Anzahl einheimischer
Zecher in ziemlich hitziger Stimmung beisammensaßen
. Sie gerieten aneinander; aber der
Wirt setzte sie an die frische Luft, wo sie ihre
Meinungsverschiedenheiten mit den Fäusten
weiter austrugen. Mein Götti Wilhelm, der nicht
nur ein friedfertiger, sondern auch ein neugieriger
Mensch war, mußte natürlich nachsehen. Er
versuchte Frieden zu stiften. Aber das hatte nur
zur Folge, daß sich die Schliengener Streithähne
in plötzlicher Einigkeit gegen die Auswärtigen
wandten. Es blieb diesen nichts anderes übrig,
als schleunigst um ein Wirtshaus weiter zu fahren
. So kamen sie zuletzt vors „Kreuz", und da
der Kreuzwirt selber mitfuhr, mußte man auch
bei ihm noch ankehren. Das gebot schon der Anstand
. „Numme no ei Vierteli zuem Abgwöhne",
hieß es. Aber da ein Vierteli nie zu diesem Zweck
ausreicht, wurden es doch mehrere, und der
Götti Wilhelm mußte einmal auf den Hof. Plötzlich
hörte man ihn dort um Hilfe rufen. „Mache
's Hoftor zue! Lehn d'Hund ab! Jetz sin is die
Chaibe Schliengener doch nochu!", schrie der
Kreuzwirt. Es waren aber keine Schliengener zu
sehen, sondern nur der Götti Wilhelm. Die vielen
Vierteli hatten ihn allmählich doch aus dem
Gleichgewicht gebracht, und er war in eine Baugrube
getorkelt, aus der er nicht mehr ohne
Hilfe herauskam. „Aber jetz gehn mer heim",
sagte er.
Am frühesten über diesen Entschluß war eine
Nachbarin, die der Eckerli - Daler in Lörrach getroffen
und zur Heimfahrt eingeladen hatte. Man
kann sich denken, welche Angst sie unter den
feuchtfröhlichen Männern hatte ausstehen müssen
, und wie glücklich sie war, als sie endlich im
ersten Morgenlicht vor ihrem Hause aus dem
Chaislein steigen konnte. „Gott sei Dank, daß i
mini grade Glieder no ha!" sagte sie; „me isch jo
siines Lebes nit sicher by dene närsche Manns-
litt!" Aber schön war es doch gewesen, und auch
der Eckerli - Daler schmunzelte, wenn sie ihn
gelegentlich an seinen hohen Stolz über die
„Goldene" und den tiefen Fall in die Grube
erinnerte.
Unweit vom Kreuz liegt auch die Alte Post,
die Hebel besungen hat. Das Verslein kannte ich
auch. In den großen Stallungen standen einst die
zahlreichen Postpferde, und manch gutes Schöpp-
lein Reggenhager werden die Fahrgäste während
des Pferdewechsels in der geräumigen Gaststube
getrunken haben. Mehrere Generationen hindurch
waren die Heidenreich Besitzer der Alten
Post. Die Eheleute, die zu Hebels Zeiten das
Gasthaus betrieben, standen Gevatter bei der
Taufe meines Urgroßvaters und seiner Geschwister
.
Nach Müllheim hinein nahmen wir den Fußweg
dem Klemmbach entlang, wo damals noch
die Mühlen klapperten. Dort stand audi eine
alte zweistöckige Bank, deren Bretter von zwei
Steinpfosten getragen wurden. Vater erklärte
mir, daß das ein Ruheplätzchen sei für Marktfrauen
, die von den Rheinorten nach Müllheim
kamen. Das untere Brett diente zum Sitzen, das
obere zum Abstellen und bequemen Wiederaufnehmen
der schweren „Märtzaine" (Marktkörbe
), die auf dem Kopf getragen wurden. Zum
Schutz legten die Frauen einen gepolsterten
Ring auf den Kopf. Wir hatten daheim auch
solch einen „Märtring", und ich trug oft leichte
Körbe darauf. Es war schon eine Kunst, sie im
Gleichgewicht zu halten. „Nacken steif" hieß es
da, und die Haltung der Frauen war stolz und
aufrecht. Später wurden die „Kopfzainen" abgelöst
durch „Märtwägeli", derbe Kinderwagen
aus Weidengeflecht, ohne Verdeck und ohne
Gummiräder. Heute fahren die Frauen mit dem
Omnibus „z'Märt"; die zweistöckigen Ruhebänke
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