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sind zerfallen, und nur wenige wissen noch, wozu
sie einst dienten.
Nicht nur diese schöne Wanderung auf der
Straße „usse dure" hat sich mir bildhaft eingeprägt
. Die Riedlinger Straße bis zum Käpplibuck
gehörte zum Städtchen und somit auch zum
Schauplatz unserer Spiele. Kein Auto gefährdete
damals noch unsere Sicherheit, wenn wir mit
den Puppenwagen hinaufspazierten, die ersten
Frühlingsblümchen an den Rainen suchten oder
die Ohren fest an die summenden Telegraphenstangen
legten, um zu hören, wie die Leute
„telegraphierten". Im Winter war dort eine
herrliche Schlittenbahn; man hörte die Kirchuhr
schlagen und das Elfuhr- und Betzeitläuten, und
wußte, wann es Zeit war heimzugehen.
Während meiner Schulzeit weilte Kaiserin
Augusta Viktoria mit Prinzessin Viktoria und
den Prinzen Oskar und Joachim im Schloß Hausbaden
. Auf einer Spazierfahrt besuchten sie auch
Kandern und tranken im Hotel „Zur Krone4'
den Kaffee. Wir standen auf der Kanderbrücke
und warteten auf den angekündigten Landauer.
Die heutige Jugend kann nicht nachfühlen, w^s
das für uns bedeutete, Kaiserin, Prinzen und
Prinzessin zu sehen. Es war wie das Warten auf
ein schönes Märchen. Wie mochten sie wohl aussehen
, wie gekleidet sein?
Und dann waren sie da. Es waren Menschen
wie andere auch, und wir waren fast ein wenig
enttäuscht. Die Kaiserin ließ aus der Kutsche
ganze Schachteln voll Gummibälle zwischen uns
Kinder werfen. Wir balgten uns um die schönsten
, und die Stärksten blieben Sieger. Ich
kleines Ding ergatterte nur ein kleines, buntes
Bällchen, das ich als große Kostbarkeit aufbewahrte
. Mit Tinte malte ich darauf: Geschenk
Ihrer Majestät der Deutschen Kaiserin. Jahrzehnte
hindurch habe ich es aufbewahrt, bis ich
selbst Kinder hatte und sie sich daran freuten.
Schwatzend und aufgeregt warteten wir, bis
die Gäste wieder aufbrachen. Als erste erschienen
die beiden Prinzen mit der Prinzessin, alle
drei in dunkelblauen Matrosenblusen mit weißen
Kragen und weißen Strohhütchen. Hand in
Hand gingen sie zu Fuß durch die Bahnhofstraße
Riedlingen zu. Wir standen und staunten. Kaiserkinder
gingen ganz einfach zu Fuß! Wir schauten
ihnen nach, wie sie langsam den Käppelibuck
hinaufgingen, höher und immer höher, bis in
den Himmel, schien es mir. Vor lauter Staunen
verpaßte ich fast die Abfahrt des Landauers, aus
dem die Kaiserin mit freundlichem Lächeln den
Winkenden und Hochrufenden dankte. Sie war
„inne dure" gekommen und fuhr nun „usse
dure" wieder nach Hausbaden zurück.
Auch eine Königin kehrte einmal in der
Krone ein, die Königin von Holland, die jetzige
Königinmutter Wilhelmine. Auch sie trug keine
Krone auf dem Haupt, sondern war ganz einfach
gekleidet, wurde aber trotzdem — oder eben
deshalb? — von uns gebührend bestaunt.
Einmal mußte ich für Vater Druckarbeiten
ins Riedlinger Bad bringen. Es war Winter und
eine Freundin begleitete mich. Frau Schmager,
die freundliche Badewirtin, bewirtete uns mit
Zuckerbrötli, und die Nachbarin,; bei der wir
Honig holen mußten, spendete uns ein Honigbrot
. Auf der warmen „Kunst" gefiel es uns so
gut, daß wir gar nicht mehr ans Heimgehen
dachten, bis die Frau sagte: „Jetz müent er aber
goh, sust vernachtet er!"
Mit Dank verabschiedeten wir uns und stiefelten
ohne Aufenthalt heimwärts. Es dämmerte
schon, als wir dem Bollwäldele zugingen. Da
fiel uns ein, daß es dort ja nicht ganz geheuer
sein sollte. Im Sturm nahmen wir den Bogen
nach rechts und hatten schon den Käppelibuck
vor Augen. Da kam uns eine seltsame Gestalt
entgegen. Dunkel hob sie sich von der hellen
Schneedecke ab, und da wir unten waren und sie
auf der Höhe, erschien sie riesengroß. Else und
ich faßten uns bei den Händen, und ich fragte:
„Chlopft dy Herz au so?" Da flüsterte Else: „Du,
das isch e Hex! De weisch doch, im Bollhölzli".
Ich nickte nur und spürte ein Würgen im Hals.
Sollten wir uns im Wald verstecken? Aber da
war es noch unheimlicher als auf der Straße.
Also liefen wir tapfer auf die Hexe zu. Sie hatte
den Rock geschürzt, ein Paar ganz magere Beine
schauten darunter hervor. Auch ging sie gebückt
und schien eine hohe, spitze Mütze auf dem.
Kopf zu tragen, gerade wie wenn sie aus dem
Märchen von Hänsel und Gretel gestiegen wäre.
Bald waren wir ihr so nah, daß wir ihr Gesicht
erkennen konnten. Wir schauten uns an und
lachten. Oh wir einfältigen Gänse! Das war ja
die alte „Vulpiussene" (Frau Vulpius) von Riedlingen
, und die spitze Kappe war ein kleines
Bündel, das sie an einem Stock geschultert trug.
Es ragte gerade über ihren Kopf hinaus. Und an
der Nase hing ihr der wohlbekannte Tropfen.
Schon mehr als einen von der Sorte hatte ich auf
unsern Ladentisch fallen sehen! Wir grüßten sie
kichernd, und sie sagte: „He, dir sin aber lustig
by dem ehalte Wetter". Liebe Zeit, wenn die
arme Frau gewußt hätte... ! —
Auch meine Erinnerungen an den Nachbar
Weber, den „Weber-Glaser" gehören zur Straße.
Er hatte dort nämlich einen großen Kirschbaum.
Als ich noch klein war, hatte mir Herr Weber
ein Spottverslein angehängt. Das hieß: „Ida, was
i gsait ha, wenn de Chnöpfle witt, muesch Teig
ha!" Das hörte ich nicht gern und rächte mich
mit dem Ruf: „Weber — Chleber!" Aber sein
Sprüchlein war halt doch schöner als meines.
Trotzdem spielte ich nirgends lieber als auf seinen
Dielbäumen unter dem Dächlein. Bei Regenwetter
war man dort schön geschützt, und
Frieda, eine Kameradin aus der Nachbarschaft,
konnte dort ihrer Leidenschaft frönen, mir
„Löckchen" zu machen. Sie nahm kurze Strähnen
meines naturkrausen Haares, legte sie als
kleine Schnecklein auf meine Stirne und pappte
sie mit Spucke fest.
(Schluß folgt.)
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