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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-06/0009
Julian H.:

Ein Besuch bei Cusenier

Am Ostrand der Stadt Neuenburg am Rhein
steht an der Straße nach Müllheim ein großes,
gelbes Haus. Ein Zaun umgibt es, und man
könnte es seiner zurückhaltenden, maßvoll neubarocken
Form wegen fast für eine Villa halten.
Nur seine hohen Fenster lassen auf irgendeine
der Technik verwandte Zweckbestimmung schließen
. Doch ist kein Maschinenlärm zu hören und
nichts zu sehen von dem Umtrieb einer Fabrik,
sondern eine vornehme Stille umgibt das Haus.
So beginnt man zu ahnen, daß es mit dem Haus
etwas Besonderes auf sich haben könnte.

Die Ahnung verstärkt sich, wenn man hört,
daß dieses Haus die deutsche Niederlassung der
Weltfirma Cusenier birgt. Daß Cusenier etwas
Besonderes sei, hat man wohl schon vernommen
, — daß Cusenier etwas Besonderes ist, wird
einem zur Gewißheit, wenn man das Haus betreten
und seine Produkte erproben darf.

Hat einem der freundliche Hüter des Hauses
eingelassen, ist man erstaunt über die wohltuende
Ruhe auch im Innern des hohen Gebäudes
; doch bald spürt man, daß hier in der Stille
verborgene, heimliche Kräfte am Werke sind, die
des Lärms nicht bedürfen — edle, lautlose Geister
, die durch altübernommene Zauberformeln
hierher zitiert und eingefangen wurden.

Es ist ganz sinnvoll, daß man zuerst in den
Äbfüllraum geführt wird. Hier stehen die guten
Geister in umfangreichen Batterien von Flaschen
und Fläschchen bereit. Flinke Frauenhände kleben
die bunten Etiketten auf die gläsernen Behältnisse
und rollen die farbige Pracht dann
säuberlich in schmiegsames Seidenpapier, das
sie oben in einen hübschen, offenbar obligaten
Dutt zusammendrehen. Und wenn so unter der
seidenpapierenen Schutzhülle auch die braune
oder grüne, goldfarbene oder glasklare Farbe
von Flaschen und Inhalt wie auch die Schrift der
Etikette verschwinden, so verraten die Flaschen
doch alle noch durch ihre Form, wes Geistes
Gewand sie sind; denn jede Sorte der Erzeugnisse
des Hauses Cusenier, so lassen wir uns belehren,
hat ihre bestimmte, eigentümliche Flaschenform,
gleichgültig, ob es sich um eine Flasche von normaler
Größe (7/10) oder um eine Miniaturflasche
(1/20) handelt. Es ist schon ein Genuß für das
Auge, die schlanken und bauchigen, breiten und
hohen Flaschen und Fläschchen in ihrer farbenfrohen
Etikettenzier zu sehen, und die Damen
unter den Besuchern ließen hier die Besichtigung
wohl schon enden. Die Männer aber drängen
weiter ins Innere des Hauses, — sie wollen
sehen, woher die schönverpackten Getränke kommen
, woraus sie gemacht sind und auf welche
Weise. Der freundliche Führer weiß das wohl
und will in dem Abfüllraum keinen Aufenthalt.
In den nächsten Räumen aber, in denen ein feiner
Weinduft hängt —. oder vielmehr eine seltsam
heitere Symphonie von köstlichen Aromata
die Nase entzückt — im nächsten Raum läßt er
sich genauer ausfragen. Gelassen steht er interessierter
Neugier und sachlicher Wißbegierde Rede.
Er erklärt dem Laien, was er von dem Produktionsprozeß
erfahren darf — und schweigt, wenn
eine Antwort auch nur ein Jota von den geheimnisvollen
Rezepten der Firma verraten könnte.
Doch was man erfährt, ist aufschlußreich genug:
Es gehört zum Beispiel zu den Grundsätzen der
Firma, als Ausgangsstoffe ihrer Erzeugnisse nur
Naturprodukte zu verwenden. Das macht einerseits
den Preis, andererseits die Güte der Ware
verständlich. So öffnet sich denn der Neugier ein
verschraubter Kessel, um einen berauschenden
Duft zu entsenden: Hier, sind Mandarinenschalen
angesetzt. An einem großen Steingutbehälter
dann verrät die — traditionell französische —
Bezeichnung, daß darin der Saft von selbstgezogenen
Kirschen, die mit Alkohol angesetzt waren,
auf die Verarbeitung zu Kirschlikör wartet. Oder
man steht vor dem Behälter mit dem aus der
Charente eingeführten Wein, der vom Zoll und
von den staatlichen Untersuchungsämtern bereits
auf Güte und Menge genauestens geprüft
ist; aus ihm wird der Weinbrand gebraut werden.

Das Geheimnis der Umwandlung von Ausgangsstoffen
zum köstlichen Getränk aber vollzieht
sich in der Destillerie und im Lagerraum.
In den hohen, weiten Hallen der Destillerie
stehen in verschiedenen Größen und Ausführungen
die Brennblasen, — hochsitzende Kessel,
seltsam geformt, aus Kupfer getrieben und hartverlötet
. Vielerlei Rohre führen zu diesen Blasen:
dickisolierte Leitungen bringen den Wasserdampf
herbei zur Erhitzung der unter Druck stehenden
Blasen, in denen die Ausgangsstoffe verdampfen.
In feineren Rohren entsteigt verdampftes Brenngut
als „Geist" der Blasenhitze. Durch verschiedene
Kühltanks geleitet, gewinnt der „Geist" am
Ende des Prozesses wieder flüssige Form, — er
ist zu Brand geworden — d. h. je nach dem Ausgangsprodukt
: Weinbrand, Kirschwasser, Himbeergeist
oder was auch immer. An sich ein einfacher
Prozeß — doch wie sehr ist er hier, in der
Destillerie Cusenier, aufs äußerste verfeinert,
durch technische Raffinessen beschleunigt oder
intensiviert und bis auf kleinste Meßwerte an
Menge oder Alkoholgehalt errechenbar gesteuert!
So wird zum Beispiel beim Brennen von Wein
als Vorkühlflüssigkeit bereits Wein verwendet;
durch den durchlaufenden, zu kühlenden Geist
wird der Kühlwein dabei bereits so stark angewärmt
, daß er eine höhere und damit zum Brennen
oder Abtreiben — wie der Fachmann sagt —
günstigere Temperatur erreicht hat, wenn er nun
selbst als Brenngut in die Blase geleitet wird.
Das automatische Messen und Kontrollieren der
Mengen und des Alkoholgehaltes geschieht durch
eine so ausgeklügelte Apparatur von Zähluhren,
Steigrohren und Druckmessern, daß der Laie
Mühe hat, alles zu verstehen. Er hört, daß die
ganze Kontrollapparatur von den Zollbehörden
gefordert und laufend überwacht wird, damit
dem Staat auch kein bißchen von dem steuer-

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