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schärler nur eine halbe Flasche seines Kläfners
zubilligte. Sicher ist jedenfalls, daß er sie auch
seinen Trester kosten ließ, weshalb die gepflegte
Stube bald von erregten Liedern widerklang.
„Die Republik, die Republik!
Herrgott, das war ein Schlagen!
Das war ein Sieg aus einem Stück!
Das war ein Wurf! Die Republik!
Und alles in drei Tagen!
Die Republik, die Republik!
Vive la republike!..."
So hallte es in den Mittag, und nur der
Schurz wußte, daß es eine Strophe des Liedes
war, in welchem Ferdinand Freiligrath sich, wie
Marx und Engels in der Emigration lebend, von
London aus den Rausch über die Erfolge der
französischen Revolution von der Seele gesungen
hatte. Ob die Freischärler das Heckerlied oder
einen von Herweghs verwegenen Gesängen folgen
ließen: die Lieder störten die Besonnenheit
der Köndringer so wenig, wie sie dem Schurz
den Zauber des Mundelsheimers und den des
alemannischen Herodotpfarrers zu rauben vermochten
.
Erst um die dritte Nachmittagsstunde brach
er auf, holte die bewaffnete Macht aus dem
„Silbernen Hahn" zurück und ließ sich von dem
Schnezler einen näheren Weg zur Landstraße
führen: den Pfad, der dicht hinter dem Garten
des Pfarrhauses in den Tannenwald stieg. Er
ersparte ihm den Marsch durch das langgezogene
Dorf.
. Der Schurz ging mit dem Schnezler an der
Spitze, und die Männer, die wieder zu singen
begannen, sobald sie angetreten waren, schritten
zweihundert Schritt hinter ihnen her. So nahm
der Zug sich wie der einer alten Sage aus, zumal
ihm durch das grüngoldene Gitterspiel der
Baumkronen Blitzlichter von Seligen auf das
Dämmerdunkel des Pfades zu fallen schienen.
Der Mundelsheimer und die Geheimnisse des
Waldes bewegten den Schurz nicht minder wie
die Absicht, endlich seinem Besuche die langgeplante
Spitze aufzusetzen. Er tat es, indem er
plötzlich die Pistole aus dem Gurt riß, sie in die
Luft warf und einem rheinischen Zirkuskünstler
Ida Preusch-Müller:
Als ich größer war, durfte ich mit Webers
Hermine an besagtem Kirschbaum Kirschen
pflücken. Wir schnallten die „Krätten" um und
stiegen fröhlich die Leiter hinauf so hoch es
ging. Zuerst wanderten die meisten Kirschen
j,ins Kröpfchen", und „die Töpfchen", nämlich
die Krätten, blieben vorerst leer. Wer seine
Kirschen vom Markt bekommt, weiß gar nicht,
wie köstlich die glänzenden, sonnenwarmen
Früchte direkt vom Baume schmecken. Wie die
Yögel kamen wir uns vor, so hoch da droben.
Naschen und weit übers Städtchen hinauszuschauen
, das war herrlich! Aber nun wurde es
Zeit, daß wir auch unsere Körbe füllten. Wir
sangen und schwatzten dabei, und die Leiter
schwankte ein wenig. Als es vom Kirchturm vier
schlug, waren wir fertig und wollten hinunter-
ähnlich mit einer Hand wieder auffing, jetzt mit
der Rechten, beim nächsten Wurf mit der Linken
. Entsetzt blieb der Schnezler stehen und
rief: er sei irrsinnig, die Pistole gehe los, und
niemand wisse, wen der Schuß treffe!
Da schlug der Schurz das breite Lachen des
Niederrheines an, das er sich auf diesen Augenblick
verspart hatte, und er setzte, als es verhallte
, hinzu: ohne das Mädchen, welches den
Mann begehre, könne trotz dem frühen Kuckuck
keine Hochzeit sein, und ohne Pulver vermöge
die Pistole trotz dem gespannten Hahn nicht zu
schießen: sie sei ungeladen!
„Was", rief der Schnezler und kehrte aus dem
Entsetzen in die Wirklichkeit des Waldpfades zurück
, „das Ding ist nicht geladen? Sie sind ein
Teufelskerl!"
Da war es am Schnezler, zu lachen, und es
geschah so herzlich, daß der Schurz ihm — nun
wieder Kommissar der Revolution — erklärte:
er möge beruhigt heimgehen; ihm werde niemand
der provisorischen Regierung ein Haar
krümmen; nach einem Morgen, der Köndringen
als Sageninsel ins Spiel der Geschichte gehoben
habe, werde er, der Schurz, Gottfried Kinkels
Schüler, sich für ihn einsetzen, selbst wenn er
fürder nicht an die Volkswehr denke!
Sie reichten einander die Hand und verabschiedeten
sich, und jeder der fünfzig Bewaffneten
, die dem Schurz folgten, winkte dem
Schnezler brüderlich zu. Er aber, der Pfarrer,
der den Herodot liebte und trotz seiner Jahre
jung geblieben war, zu scherzen, wartete, bis der
Zug um die nächste Biegung verschwand. Gleich
einer sich entfernenden Fanfare klang die
Strophe, die der Schurz derweil zum raschen
Schritt angestimmt hatte, Friedrich Stoltzes
Losungswort:
„Unsre Freiheit, rein und echt,
muß uns wieder werden!
Und das menschliche Geschlecht
hat ein unverjährtes Recht
auf ein Glück auf Erden!
Frei geboren sind wir, frei!
Gott will keine Sklaverei:
denn das Volk ist heilig!"
(1. Fortsetzung.)
steigen. Da drehte sich die lange Leiter auf
einem Fuße, und sobald wir eine Sprosse tiefer
stiegen, wackelte sie beängstigend hin und her.
Du lieber Himmel! Wenn die Leiter mit uns
ganz umfiele! Keinen Schritt wagten wir mehr
und warteten sehnsüchtig auf Hilfe. Aber nun
kam natürlich kein Mensch vorbei. Zwei endlose
Stunden saßen wir zitternd und bebend auf
unserer Leiter, bis endlich ein paar junge Ziegeleiarbeiter
des Weges kamen. Aber die lachten
uns nur aus und fragten: „Was zahlet er?" Wir
ließen sie laufen. Da sah ich den langen Tscher-
ter daher marschieren. „Dä hilft is!" sagte ich.
Und er half, obwohl auch er uns tüchtig auslachte
. Eine große Handvoll Kirschen bekam er
als Lohn, und wir waren glücklich, wieder festen
Boden unter den Füßen zu spüren.
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