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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-06/0014
Auch Kriegserinnerungen knüpfen sich an die
Straße. Während des ersten Weltkrieges war in
Kandern eine Minenwerferschule. Viele Soldaten
sind auf der Riedlinger Straße singend und frohen
Mutes nach Westen marschiert, und wie
viele sind müde und abgekämpft aus dem Elsaß
in Ruhe gekommen, bis endlich 1918 sich das
geschlagene Heer nach Osten absetzte. Und wie
mancher, kam nicht wieder! In den Nächten
huschten die Lichtfinger der Scheinwerfer über
den Käppelibuck, wenn sie nach den feindlichen
Flugzeugen suchten, die mit ihrer Bombenlast
nach Rottweil flogen. Und als der Krieg zu Ende
war, wollten sich manche Leute erinnern, daß
kurz vor Kriegsausbruch ein Wolkengebilde in
Form eines feurigen Schwertes gerade über der
Riedlinger Straße gestanden habe.

Als letztes Bild will ich noch ein helles aus
der Nachkriegszeit zeichnen. Als junge Frau bin
ich darin zu finden. Mein Mann hatte einen
Kriegskameraden in Riedlingen, den Albert Sut-
ter. Bei seinen Eltern gingen wir öfters Milch
hamstern. Dann hatte Albert seine Vrene von
Wintersweiler geheiratet, und wir sollten, als
wir nach der Hochzeit wieder hinkamen, unbedingt
den Hochzeitswein versuchen. ,,Nur halb
voll", bat ich, als Albert einschenkte; denn ich
war das Weintrinken nicht gewohnt. Auch aß ich
ein Stückchen Bauernbrot dazu. Mhm, der Wein
war gut, er schmeckte mir! Ja, er machte mich
recht vergnügt. Als wir aufbrachen, bereute ich
fast, kein ganzes Glas getrunken zu haben.

Fröhlich plaudernd wanderten wir heimzu.
Mir war so leicht, so wunderbar leicht! „Hans,
lueg, i chönnt grad fliege!" prahlte ich und
tänzelte mit ausgebreiteten Armen vor meinem
Manne her. Aber die Beschwingtheit dauerte
nicht lange. Die Straße schien mir bald viel
steiler und länger als sonst, und die Müdigkeit
übermannte mich. Ein kleines Stück noch, und
dann schob sich eine Hand in den Arm des Gatten
, und ein Mund seufzte: „Hans, i bi so müed.
Chumm, zieh mi e weng!" Und der Hans brachte
die abgesackte Fliegerin langsam und lachend in
den sicheren heimatlichen Hafen. Und seither,
wenn wir ein Gläschen Wein trinken und er
schmeckt mir, hebt mein Eheherr den Finger
und sagt lächelnd: „Müetterli, tue gmach. Oder
wottsch wieder fliege?"

II. „ I n n e dure"

Mitten im Städtchen, beim „Gasthaus zum
Ochsen", zweigt die Straße „inne dure", die
Sitzenkircher Straße, von der Hauptstraße ab.
Hier zeichnen sich die meisten Erinnerungsbilder
auf dem Teilstück zwischen Kandern und Sitzenkirch
ab.

Das erste Bild ist häßlich; aber es muß gezeigt
sein um des bleibenden, vielleicht für mein
Leben bestimmenden Eindrucks willen. Ich war
kaum fünf Jahre alt, als ich mit den Eltern an
einem Sonntagnachmittag nach Sitzenkirch gehen
durfte. Unterwegs kam uns ein vierrädriger
Handwagen entgegen, den zwei Burschen zog£n.
Ich kannte sie, es waren Bäckergesellen. Auf
dem Wagen aber lag ein Betrunkener, der sich

ganz beschmutzt hatte. Es war ein junger
Mensch aus der Nachbarschaft, den ich gern
hatte. Zum erstenmal in meinem Leben verspürte
ich einen Ekel, der so stark war, daß ich
anfing zu weinen und mein Gesicht in Mutters
Rock versteckte. Seitdem kann ich keinen Betrunkenen
sehen, ohne daß jenes Bild vor meinen
Augen steht.

Im zweiten Bild erscheint ein Erstkläßlermädel
als Durchbrennerin. Ich war unartig gewesen
. Nachdem Mutter mich gestraft hatte,
kündigte ich ihr den Meierhof. „Jo, gang numme",
sagte sie, „so e bös Chind ghört nümmi zue uns!"
Ich schlich zu Bobbi, der in seinem Hundehäuschen
lag, und klagte ihm mein Leid. Er konnte
mir auch nicht helfen. Da ging der alte Nachbar
Bötsch über den Hof und rief mir etwas zu. Verstanden
hatte ich ihn nicht; aber ich wußte mit
einem mal, wohin ich wollte: zu seiner Schwester
, der Frau Grether in Sitzenkirch. Die war
immer so nett zu mir und hatte schon mehrmals
gesagt: „Chumm doch au emol zuenis".

Wie ich ging und stand machte ich mich ohne
Abschied auf den Weg und wanderte nach
Sitzenkirch zu. Es war ein schöner Tag, und auf
allen Wiesen blühten die Blumen. Im Lenderich,
einem Wäldchen halbwegs Sitzenkirch, entdeckte
ich viele Maiglöckchen. Ich pflückte für Frau
Grether einen Strauß. Vielleicht durfte ich dann
bei ihr bleiben, bis die Mutter eingesehen hatte,
daß sie doch lieber wieder ein Kind hätte.

Bei Grethers wurde ich herzlich aufgenommen
und bekam gleich ein Schüsselchen Milch
und ein Butterbrot. Die Maiglöckchen stellte
Grethers Luise in einem Glas auf die Kommode,
und dann wurde ich gefragt: „Jä, chunnsch du
ganz ellei? Sottsch öbbis bsorge oder usrichte?"
— „Jo, i bi ganz ellei. I hanich halt welle
bsueche, un i cha lang bliibe". — „Henu, das
isch aber recht!" freute sich Luise. Wir vertrieben
uns den Nachmittag auf die angenehmste
Weise in Haus und Hof. Der Tag ging zur Neige,
und ich machte immer noch keine Anstalten zum
Heimgehen. Frau Grether fragte: „Hän diini
Eitere kei Angst, wenn de so lang nit heim
chunnsch?" — „Nei, die hän kei Angst!" sagte
ich großartig; aber dieser Gedanke bewegte und
plagte mich doch so, daß ich mich schnell verabschiedete
.

Wie gern hätte ich die Maiglöckchen jetzt für
die Mutter mitgenommen; aber ich konnte sie
doch nicht wieder verlangen. Ich tröstete mich
mit dem Gedanken, im Lenderich noch mehr zu
. finden. Als ich jedoch dorthin kam, war es im
Wäldchen schon so dunkel, daß ich mich nicht
hinein wagte. Es war ja auch noch so weit bis
heim! Der Weg war viel länger als am hellen
Mittag, und das tapfere Ausreißerlein verwandelte
sich in ein verzagtes Angsthäslein. Ich lief
immer schneller und fing in meiner Bedrängnis
an, laut zu singen und schließlich zu beten.

Wie glücklich war ich, als ich endlich den
Kanderner Kirchturm sah. Auf dem kürzesten
Weg durch die Hinterstadt rannte ich heim. Wie
die verlorene Tochter empfangen wurde, weiß
ich nicht mehr; ich weiß nur, daß ich nie mehr

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