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im Leben an ein Ausreißen dachte, wenn es mir
auch noch so schlecht ging. —
Da war es doch schöner, mit den Eltern über
Feld zu gehen. Vater hatte Verbindungen mit
Schloß Bürgeln, und der „Bürglewirt" Brenner
war der Bruder meines Paten, des Schneckenwirts
von Kandern. So wanderten wir mindestens
einmal im Jahr nach Bürgeln.
Schon im Städtchen, beim „Ochsen", fing der
Spaziergang an fröhlich zu werden. Da wohnte
linkerhand der Bildhauer Rißmann. Er und mein
Vater gehörten zur Zunft der Schnupfer. Sah er
uns vorbeigehen, rief er Vater an und kam auf
die Straße. Dann zogen beide ihre schwarzen
Schnupftabaksdosen hervor, klopften dreimal auf
die mit Perlmuttersplittern eingelegten Deckel,
öffneten sie und boten einander gegenseitig den
Tabak an. Jeder nahm eine Prise, legte sie auf
die geballte linke Hand zwischen Zeigefinger-
und Daumenwurzel und nickte dem Partner zu.
Dann schnupften sie das braune Pulver in beide
Nasenlöcher und lächelten sich zufrieden an.
Jetzt konnte die Reise weitergehen.
Lustig plätscherte die Minderkänder durch
die Wiesen, und bei der Neuenbürg traten oft
Rehe aus dem Wald, um zu äsen. Sobald Sitzenkirch
in Sicht kam, verspürte ich Durst; denn
im „Engel" gab es so süße Limonade. Aber mein
Vater tröstete mich mit der Versicherung, die
Limonade auf Bürgeln sei noch viel besser. Am
alten Klosterkirchlein vorbei führte unser Weg
durch den Rebberg in den lichten Wald, der bis
fast an das Schloß hinaufstieg. Der weite steinerne
Torbogen war für mich der Eingang in
ein Stück Paradies. Die altersdunklen Heimlichkeiten
des Schlosses sollen im Zwielicht der damaligen
Traulichkeit bleiben. Der Garten aber,
auf der Terrasse an der Südseite, bot einen Blick
über die Heimat, deren Schönheit ich zuerst mit
Vaters Augen sehen lernte. Ganz nahe schaute
der alte Turm der Sausenburg aus dem Grün des
Buchenwaldes. Tief unten lag Kandern. Drüben
im Westen blauten die Vogesen, und ein Streifen
des Rheins glänzte in der Ebene. Von hier übersah
ich das Stück Markgräflerland, das von den
beiden Straßen „usse dure" und „inne dure" umschlossen
ist. Auf immer neue Schönheiten
machte mich der Vater aufmerksam, und als ich
älter und verständiger wurde, merkte ich, daß
er die Landschaft mit Maleraugen sah. Es war
herrlich, mit ihm zu wandern. —
Jedes Jahr wanderten wir dann „inne dure"
nach Müllheim in den Herbst. Mutter besaß noch
ein Stück Reben dort. Am Tag, an dem dieses
geherbstet wurde, gings in aller Frühe Müllheim
zu, weil Vater das „Büggi" tragen mußte. Zu
diesem Geschäft trug Vater seine Rohrstiefel, die
sonst nur noch bei einer Feuerwehrübung zu
Ehren kamen. Diese Stiefel bedeuteten für mich
schon etwas; denn wenn ich sie fein wichste,
bekam ich jedesmal ein Zehnerle in mein Spar-
käßchen.
Meist wanderten wir auf der Fahrstraße bis
zur St. Johanns - Breite. Mit dem „Breitibuur"
war mein Onkel Wilhelm gut Freund. Auch die
Riedlinger Sonnenwirtin stammte vom Breitehof,
so daß sich von dort Fäden spannten zur Straße
Spätgotisches Haus in Laufen Foto: Dr. R. Feger
„usse dure". War das Wetter besonders schön,
nahmen wir den Fußweg von der Neuenbürg
nach der Breite. Dieser führte auf der anderen
Talseite auf halber Höhe durch Wald und Feld.
Dort konnte ich „zahme" Kastanien (Edelkastanien
) auflesen, Beeren naschen und die Fuchslöcher
unter den großen Baumwurzeln bestaunen
. Immer hoffte ich, auch einen Fuchs herausschlüpfen
zu sehen; aber es tat mir nie einer
den Gefallen.
Von der Breite führte uns die alte Straße
hinab nach Obereggenen. Dort wies mir Vater
die Richtung, wo bei Niedereggenen der Kanonenbuckel
liegt. Mit diesem hat es folgende Bewandtnis
: Die Niedereggener Chronik berichtet,
daß in den Wirren der 48/49er Jahre der Schmied
den jungen Leuten Sensen an lange Stangen
schmieden mußte. Damit wollten sie die preußischen
Reiter von den Pferden holen. Auch eine
Kanone wurde gebaut. Die sollte knallen und
brummen, daß dem Feind Hören und Sehen verging
. Sie bestand aus einem ausgehöhlten Baumstamm
. Mit solchen Stämmen oder „Düüchle"
legte man früher Wasserleitungen. Zur Verstärkung
wurden Eisenringe um das Kanonenrohr
gelegt. Dann wurde es auf einen alten Hinterwagen
aufmontiert. Zum Probeschuß wurde die
Kanone mit einem alten wattierten Unterrock
geladen, tüchtig Pulver dazu getan und dieses
angezündet. Wie erwartet, gab es einen fürchterlichen
Knall. Dabei verging aber nicht dem
Feind, sondern den tapferen Kanonieren Hören
und Sehen; denn der Lauf zersprang und seine
Stücke flogen ihnen mit den brennenden Unterrockfetzen
um die Ohren. Seitdem wohnen die
Niedereggener im „Kanonental". —
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