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Uber Feldberg erreichten wir nun baldVögis-
heim. Für mich war das schon beinahe Müllheim;
denn meine Großeltern wohnten in der „Vegeser
Vorstadt", der heutigen Hebelstraße. Auf das
letzte Haus in Vögisheim freute ich mich immer
ganz besonders; denn meistens saß dort auf
einem hohen Abweisstein Kallmanns bunter
Pfau. Sein Schweif hing wie eine königliche
Schleppe auf die Straße hinunter. Manchmal traf
es sich auch, daß er auf der Straße auf und ab
stolzierte und, sich langsam drehend, das Rad
schlug. Dieser Anblick erinnerte mich an den
Zoologischen Garten in Basel, wo mir ein schneeweißer
Pfau noch viel märchenhafter erschienen
war. —
In Vögisheim wohnte auch ein Allerwelts-
künstler, der „Herme", ein kleiner Mann, der
stets einen mächtigen Schlapphut trug. Er war
gelernter Schreiner; aber das Handwerk genügte
ihm nicht, er mußte immer etwas besonderes
tüfteln. So konstruierte er einmal einen Schreibtisch
mit vielen Schubladen, von denen jede beim
öffnen einen anderen Ton von sich gab.
Er brachte auch den ersten Grammophon
nach Kandern. Im kleinen Saal der „Krone", wo
heute die Volksbank ihre Räume hat, konnte
man ihn für zehn Pfennig pro Person bestaunen.
Aus dem rosaroten, wie ein Füllhorn gebogenen
Trichter ertönten krächzende Laute und menschliche
Stimmen, die uns großartig erschienen.
Später führte er im Markgräflerland den ersten
Kinematographen vor, ein Wunder für groß und
klein. Mit solchen Spielereien schlug er sich
durchs Leben und vergaß, daß das Handwerk
einen goldenen Boden hat. —
Und ich vergaß einmal auf der Straße zwischen
Vögisheim und Müllheim, daß einem bei
falscher Blickrichtung der Boden unter den Füßen
wegrutschen kann. Ich war etwa zwölf Jahre
alt, als mir meine gleichaltrigen Vettern, die
Schneider-Buben, das Radfahren beibringen wollten
. Bei Vögisheim wo die Straße ganz eben ist,
ging es herrlich. Aber vor Müllheim, wo die
Straße bergab geht, befahlen sie: „So, jetz fahr
ab heimezue!" Freilauf mit Rücktrittbremse
kannte man damals noch nicht. Also strampelte
ich los. Ludi schrie: „Brems doch!" Aber die
sausende Fahrt war doch so schön. Von Müllheim
her kam mitten auf der Straße ein Fuhrwerk.
„Hoffentlich komme ich gut vorbei", dachte ich
und schaute unentwegt auf die Kühe. „Brems
bigott!" rief auch der Fuhrmann. Aber ehe ich
recht denken konnte, fand ich mich zwischen
zwei Kuhköpfen und einem erschrockenen und
schimpfenden Mann. Schlimmeres geschah nicht,
und auch das Rad erlitt keinen Schaden. Die
johlenden Vettern jedoch sorgten für den Spott.
„Inne dure" führte Götti Wilhelm jedes Jahr
unser Fäßchen Wein. Auf diesem Wege brachte
er auch unseren Verlobungswein nach Kandern.
Ich sehe immer noch den guten Götti bei unserem
einfachen Mahle sitzen. Sein breites Gesicht
glühte vor Behagen. Nach dem Essen machten
die Gäste einen kleinen Spaziergang. Der Götti
aber erklärte: „Ich mueß die ganzi Wuche um-
enander chriemple; ich blieb sitze!" Er lehnte
sich bequem zurück und machte ein Nickerchen.
Als er aufwachte, sah er den jungen Bräutigam
allein neben sich sitzen. Er lächelte ihn an und
strich sich zufrieden seinen Schifferbart. Dann
zog er aus der Schoßtasche des Gehrocks ein kleines
„Budeli" Kirschwasser. Genießerisch hob er's
ans Licht, entkorkte es und trank einen herzhaften
Schluck. Hierauf reichte er es seinem
Nachbarn mit den Worten: „Trink Schuelmeister,
mer wän ,du* sage; de gfallsch mer!"
(Schluß folgt.)
Emil Baader:
Dk Helfen blütjen
Der Juni ist der Monat der Rosen, der Monat
der Kirschen und Erdbeeren, der Monat des
Heues — und der Nelken.
Schaut in die Gärten, da blühen die weißen
Nelken in ihrer zarten, sanften Pracht. Wie sie
duften! Der Duft der weißen Nelken — „er liegt
mitten inne zwischen Zimt und Vanille" —, bezaubert
uns; er ist reicher, reiner, urwüchsiger
als jener der vom Gärtner im Treibhaus gezüchteten
Sorten, die sich auszeichnen durch die
Pracht der Farben und der Formen.
„Dianthus" das heißt „Götterblume", so nennen
die Gärtner und Botaniker die Nelken. Sie
darf, wie die Rose, bei keinem Fest fehlen. Nach
einer griechischen Sage schuf sie Diana aus den
Augen eines Schäfers. Vom Morgenland brachten
sie die Kreuzfahrer nach Frankreich. Sie war die
Lieblingsblume Condes und der Bourbonen. Bei
der französischen Revolution schmückten sich die
Opfer der Guillotine mit roten Nelken: zum Zeichen
der Todesverachtung. Königin Elisabeth von
England ließ sich kostbare Nelken aus Polen
kommen. So wurde diese Blume von der englischen
Aristokratie hochgeschätzt. In Belgien und
Deutschland wurde sie der Liebling des Volkes.
Kann man sich einen Bauerngarten ohne weiße
Nelken vorstellen, das Blumenbeet des Schwarzwälder
Bauernhauses ohne die tief dunkelrote
Hängenelke? Sie bildet den Stolz der Bäuerin.
Wir dürfen auch die wildwachsenden Nelkenarten
, die Feld und Flur schmücken, nicht mißachten
: die himbeerrote Pechnelke, die rosarote
Kuckucksnelke, die rote Tag- und die weiße
Nachtlichtnelke, auch die violette Kornrade des
Kornfeldes zählt zu den Nelken. Besonders schön
ist die purpurrote Felsen- oder Steinnelke. Nach
den beiden Botanikern Karthauser, die im 18.
Jahrhundert lebten, wird sie auch Karthäusernelke
genannt. Der schwäbische Dichter Karl
Gerok läßt sie sprechen:
,;Ich bin das Felsennägelein in purpurrotem
Kleide, ich stehe im Sturm und Sonnenschein,
auf hoher grüner Heide. Da drunten tief im
Unterland, da hab ich eine Muhme von feinem
Duft und hohem Stand, in weltbekanntem
Ruhme. Ich bin kein zärtlich Mutterkind, hab'
niemand, mich zu pflegen, mich wiegt allein der
Sommerwind, mich wäscht allein der Regen. Ich
leb allein von Licht und Luft, bin ohne Glanz
und ohne Duft, doch lustig allerwegen".
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