http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-06/0017
Im Markgräflerland vor hundert Jahren (11)
tWitv. [in no ho, L^anöiörg!
Der ausgebliebene Weltuntergang oder der Komet des Jahres 1857
Seit es eine Überlieferung gibt, weiß der
Mensch von merkwürdigen' Irr Sternen, von gesetzlosen
Streunern im Himmelsraum: von den
Kometen. Plötzlich sind sie da, werfen ihren
feurigen Schweif aus, leuchten wie Fackeln zwischen
den ruhigen Lichtern des gewohnten Nachthimmels
und zwingen für ein paar Nächte den
Erdbewohnern ihren befremdlichen Anblick auf,
bis sie wieder verschwinden und ins grenzenlose
All zurücktauchen, aus dem sie gekommen waren,
um ihre absonderliche Bahn in unser Sonnensystem
hinein zu schlagen.
Seit es eine Wissenschaft vom Himmelsraum
und seinen Körpern gibt — und das ist schon seit
vielen Tausenden von Jahren der Fall —, versucht
sie auch das Wesen dieser Irrsterne zu erforschen
. Sie gab ihnen den Namen Kometen,
nach ihrem Aussehen, das an eine leuchtende
Haarkrone denken läßt. Sie erkannte den
Schweif der Kometen als Massenteile, die sich
meteorartig vom Kometenkern ablösen und in
Sonnennähe aufleuchten. Sie lernte es auch, für
solche Kometen, die in elliptischen Bahnen um
die Sonne kreisen, die Zeiten der Wiederkehr zu
errechnen, und sieht in den Kometen Körper
fremder Systeme, die in Zerfall begriffen sind
und deren lockere, dünn verteilte Massen im
Widerschein der Sonne den Charakter von Lichtausbrüchen
gewinnen.
Doch trotz aller Erklärungen der Sternforscher
bleibt so ein schweifender Zigeuner des
Weltenraums ein unheimliches Etwas, und es ist
nicht ganz unverständlich, daß Kometen die
Phantasie des Menschen immer erregt haben:
Ihr Erscheinen, von den Kundigen meist kürzere
oder längere Zeit vorher angekündigt, wurde
stets mit Bangen erwartet und als unheilkündendes
Zeichen angesehen: Pest, Hungersnot, Krieg
und was nicht alles sollten die leuchtenden
Schweifsterne verursachen können, und einige
Male prophezeiten gar einige Wichtigtuer, der
Komet würde mit der Erde zusammenstoßen und
ihren Untergang verursachen.
Nun — so oft ein solcher Weltuntergang
durch einen Kometen schon vorausgesagt wurde,
so oft ist er bisher auch ausgeblieben. Auch im
Juni des Jahres 1857 war das so: auch damals
behauptete man, der Komet würde mit dem Erdball
zusammenprallen und ihn vernichten. Es
hat sicher auch im Oberland Leute gegeben, die
hieran glaubten und das Weltende erwarteten.
Doch im allgemeinen, nimmt der Chronist an,
wird man im Oberland an dergleichen mit Maß
gedacht haben — und mit jener Ruhe, die dem
Alemannen ansteht, zumal wenn er in einer
weingesegneten Gegend wohnt und also den
Trost für Weltuntergänge und Schlimmeres recht
nah im Fasse gluckern hat. Im übrigen besann
sich wohl mancher Markgräfler Weinbauer darauf
, daß Kometen jähre gute Wein jähre sein
würden, wie es hieß, — und was blieb dann
überhaupt zu fürchten? In den Städten sah die
Sache sich vielleicht anders an, und an die
Städter vor allem wandte sich sehr wahrscheinlich
jenes, Buchinserat, das der „Oberländer Bote"
Nr. 65 am 3. Juni 1857, also zehn Tage vor dem
vorausgesagten Weltuntergang, brachte:
Bei C. R. Gutsch in Lörrach u. Waldshut ist zu haben:
Die Welt geht doch unter!
Der Zusammenstoß unserer Erde mit dem Kometen
am 13. Juni 1857
Eine Vorlesung von Dr. A. Herschel
Mit einer Abbildung des Kometen
Preis 12 kr.
Das angezeigte Buch ist dem Chronisten nicht zu
Gesicht gekommen; doch gehörte es seinem Titel
nach offenbar zu jenen Traktaten, die unter der
Maske der Wissenschaftlichkeit den Kometen als
Weltzerstörer hinstellte und wahrscheinlich auch
irgendwelche religiös oder, ethisch gefärbten Bußreden
enthielt. Ob es großen Absatz gefunden
hat? Selbst wenn das der Fall war, kann es keinen
großen Einfluß auf die Gemüter im Oberland
ausgeübt haben. Der „Oberländer Bote" berichtet
in aller Seelenruhe weiter von den Ereignissen
der großen und kleinen Welt — daß die
Gemeinden Hügelheim, Zienken und Grißheim
eine Fohlenweide planten und es der Gemeinde
Neuenburg
„ . . . die im Besitz der geeignetsten Fläche hierfür
ist . . . " (Oberl. Bote Nr. 66 v. 5. 6.1857)
übelnahmen, daß sie sich nicht an dem Unternehmen
beteiligen wollte; — die Großh. Wasser-
und Straßenbauinspektion Lörrach vergab die
Straßenbauarbeiten für einen Weg im kleinen
Wiesental, zwischen Tegernau und Neuenweg
(Amtl. Verk. Bl. Nr. 68 vom 10. 6. 1857), — die
Gemeinde Rümmingen suchte trotz Weltuntergangsstimmung
weiter nach einem Schäfer (ebd.),
die Vollstreckungsbeamten versteigerten weiter
Liegenschaften und die Bürgermeister und Waisenrichter
wie eh und je Heugras und Wein, —
„der Jakob Sütterle aus Zell" sprang in den
dortigen Gewerbekanal, um die hineingefallene
„... 64 Jahre alte . . . bereits bewußtlos gewordene
Theres Schlageter..."
an Land zu retten, und bekam von der Kreisregierung
eine Belohnung von fünf Gulden dafür
(Amtl. Verk. BL Nr. 68 vom 10. 6.1857). Der
Gemeindewirt Schweigier in Wintersweiler lud
auf den Tag nach dem prophezeiten Weltuntergang
zum Preiskegeln ein (ebd.); er muß also
auch nicht sehr an die Sache geglaubt haben, —
wie überhaupt das ganze Markgräflerland. Das
einzige Zugeständnis, das der „Oberländer Bote"
— vom „Amtlichen Verkündigungsblatt" war
eine Äußerung zum Weltende ja schon gar nicht
zu erwarten! — den Erwartungen und Befürch-
15
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-06/0017