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Badenweiler
Foto : Haarstick, Badenweiler
zum Kunstwerk zu machen. Denn ein Kunstwerk
setzt dessen einmaligen Schöpfer voraus, der den
Aufnehmenden, diesem mehr oder weniger bewußt
, in seine Absichten hineinzwingt, während
hier durch Generationen hindurch eine Vielzahl
bescheidener Schöpfer am Werk gewesen ist, die
nicht auf Wirkung bedacht war, sondern in stiller
Emsigkeit zuwegebrachte, was der Schauende
dankbar aufnimmt. Was man auch sagen möge:
hinter jedem Kunsterlebnis steht Zwang — hinter
dem Landschaftserlebnis Freiwilligkeit. Nun
aber wird nahezu jedes Kunsterlebnis durch-
schwungen von Erinnerungen an Naturerlebnisse,
wie jedes Natur erlebnis des Kulturmenschen
durchschwungen wird vom Nachhall seiner
Kunsterlebnisse. Das Vorhandensein einer „abstrakten
Kunst" ist kein Einwand dagegen. Denn
schließlich muß selbst diese sich als Mittel naturgegebener
oder aus Naturgegebenheiten abgeleiteter
Substanzen bedienen —: mag der Most
sich noch so abstrus gebärden: ohne Most gibt es
kein Gebärden. Hier deutet sich die paradoxe
Bedingtheit des Unbedingten an.
Aber zurück zu unserer Landschaft. Als
Struktur die Kontrapunktik von Hügelland,
Rheinebene und Vogesen, eine weite Endlichkeit
mit der Ahnung des Unendlichen; das Ganze
durch Menschenwerk gestaltet zu einer beglük-
kenden Kulturlandschaft, einer Heimstatt, die
das Bewußtsein der Möglichkeit wohligen Sichbescheidens
im Endlichen ohne Verleugnung des
Unendlichen vermittelt, und als Letztes die Verklärung
dieses allen durch Farbe, durch wechselndes
Licht, das dem Gesamt und der Fülle der
Einzelformen Leben im Sinne der Vielfalt und
der Wandlungsfähigkeit verleiht —: gewissermaßen
die Orchestrierung dieser reichen Landschaftskomposition
. Man fände weder den rechten
Beginn noch ein Ende, wollte man sie durch
die Jahreszeiten, durch die Tageszeiten, durch
alle atmosphärischen Besonderheiten und Abschattungen
hindurch darzustellen versuchen, wie
sie sich in unendlicher Mannigfaltigkeit auf alle
drei Strukturelemente auswirken und diese in
sich und aneinander binden.
Doch in welchem Maße bedarf dieses Landschaftsbild
, bedarf sein Betrachter der Vogesen!
Denn zu Stunden und Tagen, da sie dunstverhüllt
sind, überkommt ihn Unruhe und ein Gefühl
der Unbefriedigung. Seine leiblichen Augen
und die der Seele heften sich mit verdoppelter
Begier an das Nahe, das Greifbare und Begreifbare
, solange das ersehnte Ferne sich ihm entzieht
, ohne indessen jene wohlige Genugtuung zu
empfinden, die ihm widerfährt, wenn an der
Grenze des Blickfelds der zarte Umriß der Gebirgskette
sich abzuheben beginnt, wenn die öde
Leere brauender Dunstmassen Form wird, die
dem Sichverlieren weich und unabweisbar Einhalt
gebietet. Die Vogesen sind der cantus firmus
im musikalischen Gefüge unserer Landschaft,
und damit das sinngebende Element. Daher das
Beglückende des Eindrucks, wenn sie sich rein
und klar darbieten im ununterbrochenen Zug
ihres auf und ab, blauend, grüngrau, oder veil-
chenfarben und dann an griechische Gebirge
gemahnend; oder wenn, durch besonderen Lichteinfall
zwischen Wolkengeschwadern hindurch,
Kette von Kette sich löst, Kamm von Kamm und
Zug von Zug, so daß der Wall, der zugleich tröstlichen
Halt leihende und den Ferne heischenden
Blick hemmende, sich seinerseits gliedert und
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