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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-08/0011
sangen nun zwei- oder gar dreistimmig die
schönen alten Volkslieder, welche die heutige
Jugend kaum mehr kennt. In der
„Backsteinvilla" und in der Seifensiederei
gingen die Fenster auf, und die Leute
lauschten unserem Gesang, der uns selbst
am meisten beglückte. Einmal ging ich mit
zurückgebogenem Kopf in der Reihe und
betrachtete den Mond. Und mitten in ein
Lied hinein schrie ich: „Er lauft, er lauftf"
„Wer lauft?" fragten die anderen unwillig.
„Der Mond! Er lauft grad mit is!" Tatsächlich
, wir machten die Probe: er lief immer
genau so schnell wie wir, nie blieb er
hinter uns zurück, nie lief er schneller!
Zum Dank sangen wir dem treuen Gesellen
alle Mondlieder, die wir kannten.

Jedes Jahr schlichen wir uns am ersten
Mai vor Tagesanbruch auf die Neuenbürger
Wiesen „ins Maietau". Wenn wir unberufen
und ungesehen unsere Gesichter im
Morgentau wuschen, verschwanden die
Sommersprossen, und wir blieben jung
und schön. Wir glaubten ja nur halb
daran; aber immerhin, der Versuch mußte
gewagt werden. —

Im Anfang der Sitzenkircher Straße
steht das Gasthaus „Zum Ochsen". Es gehörte
zu meiner Kinderzeit der Familie
Kibiger. Aber der Wirtschaftsbetrieb ruhte
damals. In der heutigen Wirtsstube befand
sich das Postamt. Schon mit vier Jahren
mußte ich dort täglich unsere Post holen.
Auch zwei Zeitungen waren dabei, das Müll-
heimer Tagblatt und der Oberländer Bote.
Das Müllheimer Tagblatt hatte mein Vater
zusammen mit seinem Bruder Alfred gegründet.
Diese Zeitung besteht heute noch unter dem
Titel „Markgräfler Nachrichten" als gut redigierter
Teil der „Badischen Zeitung". Der Oberländer
Bote war das Lörracher Blatt. Auf der
ersten Seite stand „die Politik" und auf der
zweiten unter dem Strich „das Feiledon" (Feuilleton
). Das wußte ich auch schon. Aber mit dem
Titel des Blattes kam ich noch nicht zurecht.
„Oberländer", dachte ich, das mußte etwas mit
„Oobe" (Abend) zu tun haben. Deshalb verlangte
ich täglich „'s Tagblatt un 's Nachtblatt".

Dem Postamt gegenüber, auf der anderen
Seite des Flurs, wohnte der Besitzer der Seiden-
kämmerei an der Malsburger Straße. Sein Sohn
Gusti kam mit mir in die Schule. Er war sehr
bequem und zeigte keine Lust, seine Tafel mit
Strichlein und Ringlein vollzumalen. Schon am
zweiten Schultage paßte er mir ab, als ich mit
meiner Post auf den Hausgang kam. „Du", sagte
er, „chumm emol iine un hilf mer lehre". Ich
ging also mit ihm in die Stube und malte ihm
säuberlich die Tafel voll. Dann spielten wir noch
ein wenig. Als ich die Post heimbrachte, war es
schon fast Mittag. Der Empfang war frostig. „Wo
bisch du so lang gsi?" — „He waisch, i ha bym
beste Wille nit früehjer chönne cho; i ha im Gusti
müeße helfe lehre", entschuldigte ich mich. Aber
Vater hatte gar kein Verständnis für meine
Hilfsbereitschaft und belehrte mich nachdrücklich
über die Pflichten eines Postholers. —

Buche am Rinken

Bister - Zeichnung von Fritz Kummer, Britzingen

Später baute der Postsekretär Herzog ein
eigenes großes Wohnhaus. Dorthin zog auch das
Postamt um, wo es sich heute noch befindet. Damit
hatte der „Ochsen" für mich jede Bedeutung
verloren. Das änderte sich an einem bitter kalten
Februarabend des Jahres 1907. Da blies das
Feuerhorn durch die Straßen. Im Nu war die
Straße voller Menschen, und schon rannten die
ersten Feuerwehrleute zum Spritzenhaus. „Wo
brennt's?" — „Im Ochse!" — Als die Feuerspritze
heranrasselte, schlugen die Flammen
schon zum Dachstuhl hinaus. Seit Menschengedenken
hatte Kandern keinen solchen Brand
erlebt. Dazu noch der unglückselige Frost! Es
dauerte lange, bis die Hydranten freigelegt
waren. In der Zwischenzeit mußte man das
Wasser mühselig aus der Kander heraufpumpen.
Wir Mädchen standen auf der Forstgartenmauer
und bildeten eine Eimerkette zur kleinen Feuerspritze
, welche die Gebäude auf der Hinterseite
des Anwesens schützen sollte. Mit vereinten
Kräften gelang es auch, das Feuer endlich einzudämmen
. Es war elf Uhr nachts, als ich naß und
durchfroren heimkam. Aber Vater mußte noch
bis zum Morgengrauen als Brandwache ausharren
.

Fröhlichere Erinnerungen knüpfen sich an die
Seifensiederei an der Sitzenkircher Straße. Die
Buben waren lebhafte, lustige Burschen, zu allen
Streichen aufgelegt. Da mußte dann der Vater
manchmal ein Strafgericht abhalten. Aber einer

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