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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-08/0012
der Buben wußte sich dem immer auf die geschickteste
Weise zu entziehen. Er kletterte einfach
, flink wie ein Affe, auf einen der Bäume im
Hof und wartete geduldig, bis sich das Wetter
verzogen hatte. Als einziges Mädchen wuchs in
der wilden Bubenschar das Gusteli auf. Es hatte
die Ruhe seiner Mutter geerbt.

Später wurde das Haus vom Roten Kreuz
aufgekauft und zum Schwesternerholungsheim
umgebaut. Im Jahre 1911 wurde es in Anwesenheit
Ihrer königl. Hoheit, der Großherzoginwitwe
Luise, feierlich eingeweiht. Das war ein großes
Erlebnis für die Kanderner. Noch sehe ich die
hohe Frau in ihrer vornehmen Witwentracht
durch die bekränzte Tür ins Haus treten. Die
weiß gepaspelte Schnebbenhaube mit dem langen
Schleier nach hinten paßte gut zu dem
strenggeschnittenen, weiblich gemilderten Hohen-
zollerngesicht. Unendlich viel hat die alte Großherzogin
als Landesmutter und Gründerin des
Frauenvereins vom Roten Kreuz für das badische
Land und Volk geleistet. Trotzdem war der Stoßseufzer
eines Kanderner Bürgers die Ansicht vieler
: „'s wär jo alles recht, wenn's numme kei
Preußi wär!" —

Ein Jahr früher, 1910, feierte Kandern das
hundertjährige Stadtjubiläum mit einer GeWerbeausstellung
im neuen Schulhaus. Alle Handwerker
hatten Erzeugnisse ihres Fleißes und Könnens
ausgestellt, und die Gärtner hatten das
Ihrige dazu getan, dem Ganzen einen bunten,
festlichen Rahmen zu geben. Die breite Innentreppe
des nie benützten Haupteinganges wurde
mit einem Podium überdeckt und zu einem
freundlichen Imbißraum gestaltet. Dort wurden
Großherzog Friedrich II. und seine Gemahlin
Hilda von zwei auserwählten Bürgerstöchtern
mit den besten Erzeugnissen des Konditormeisters
Lacoste bewirtet. Herr Lacoste wurde dafür
mit dem Titel „Großherzoglicher Hoflieferant"

Baptist Gmeiner:

Manche Leute in Dürrenburg behaupten heute
noch, der Hans habe dem Herzen des Müllerblasi
näher gestanden als Frau und Kind. Ich weiß
nicht, ob das wahr ist, aber für möglich halte ich
es auch.

Der Müllerblasi wohnte am Schulplatz neben
der alten Schule, gegenüber dem immer plätschernden
Schulbrunnen. Den ganzen Tag saß er
hinter den blanken Scheiben seines Häuschens
auf dem Tisch und stichelte eifrig an den dicken
Kamisolen der Bauern. So flink seine Nadel hin
und her fuhr, so flink liefen auch seine Blicke
über den Platz und über die Häuser und Höfe,
die ihn umsäumten. Es entging ihm nichts. Und
wenn er irgendwo in einem Hof oder an einem
Vorübergehenden etwas Auffälliges erspäht hatte
, so tat er es von seinem Fensterplatz aus der
Nachbarschaft mit lauter Stimme kund. Und im
schönsten Hochdeutsch — oder was der Blasi
dafür hielt —, denn er war weit in der Welt
herumgekommen und hatte als äußeres Zeichen
seiner Erfahrungen eine übertriebene schriftausgezeichnet
und die beiden Mädchen mit dem
heimlichen Neid von uns anderen „einfachen"
Festjungfrauen. Aber zu dritt hatten wir uns
doch noch etwas Besonderes ausgedacht. Es genügte
uns einfach nicht, daß wir nur im tiefen
Hofknicks vor den hohen Herrschaften zusammensinken
sollten. Wir holten uns daheim in
unseren Gärten die schönsten Blumensträuße und
eilten damit in die Sitzenkircher Straße. Beim
Bänkchen an der Seifensiederei erwarteten wir
die Rückfahrt der hohen Gäste. Endlich rollte der
Landauer heran. Glühend vor Erwartung stellten
wir uns an der Straße auf. Und „'s Großherzogs"
hielten an und nahmen unsere Sträuße freundlich
in Empfang. Der Großherzog fragte nach
unseren Namen und dem Beruf unserer Väter.
Als ich geantwortet hatte, sagte er: „Ihr Vater
hat auch ausgestellt; ich habe selten eine so geschmackvolle
Zusammenstellung von Druckarbeiten
gesehen". Wie jauchzte da mein Herz ob dieses
Lobes, und noch tiefer und schöner machte ich
meinen Knicks, als das Großherzogspaar weiterfuhr
. Dann rannte ich wie ein Schulmädel mit
der frohen Nachricht heim.

Als ich während des zweiten Weltkrieges in
Badenweiler lebte, sah ich Großherzogin Hilda
fast täglich auf der Blauenstraße beim Spaziergang
. Gräfin Andlau, ihre Hofdame, begleitete
sie. Dann stiegen jene Erinnerungsbilder aus
längst vergangenen Tagen wieder in mir auf, und
daheim in meinem Stübchen nahm ich die Aufnahme
zur Hand, die mein Väter beim Besuch
des Großherzogspaares gemacht hatte. Da sah
man die Fürstin im blaugemusterten Seidenkleid,
und die Hofdame hinter ihr im weißen Kostüm,
beide jung und aufrecht. Heute gingen beide in
Schwarz und die Großherzogin von der Last der
Jahre gebeugt. Schön war es, von der Treue zu
wissen, mit der die beiden Frauen zusammenstanden
, bis der Tod die letzte badische Landesfürstin
heimholte.

deutsche und ganz undörfliche Ausdrucksweise
beibehalten. Die Dörfler hatten ordentlich Respekt
vor seinem gewandten Mundwerk und
hüteten sich, ihm zum Opfer zu fallen. Nach
außen hin aber spotteten sie doch über den „verrückten
Schneider".

Und das nicht nur seiner Sprache wegen. Der
Hauptgrund für ihren Spott war der Hans und
war das Wesen, das der Blasi mit ihm trieb.

Der Hans nun war allerdings ein prächtiges
Exemplar, — aber immerhin doch nur ein GockeL
Oder ein Guller, wie man in Dürrenburg sagt.
Der Müllerblasi selbst sprach allerdings immer
nur von seinem „Hahn". Wenn er nicht einfach
von seinem „Hans" sprach und voraussetzte, daß
alle Welt wisse, daß der Hans nur ein Hahn war.
Freilich: was für ein Hahn! Ein praller, stolzer
Haushahn italienischer Rasse mit dem buntesten
Gefieder und dem schönsten Schwanz der Welt,
dessen Deckfedern grüngolden schimmerten. Dazu
wucherte in dem kleinen Gehirn des Gullers
Hans eine unheimliche, ganz und gar nicht hüh-

©eltfame Sreun&fdjaft

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