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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-08/0013
nermäßige Intelligenz, die ihn nicht nur über
die anderen Insassen der Dürrenburgischen
Hühnerhöfe hinaushob, sondern auch über
viele Menschen, — wie der Müllerblasi immer
wieder versicherte. Über ihn, den Blasi,
natürlich nicht. Im Gegenteil, meinte der
Schneider, — nach der allgemeinen Erfahrung
würden die Tiere sich nicht nur nach
den Gewohnheiten ihrer Herren richten, sondern
sich auch dem Klugheitsgrad ihrer
Beherrscher und Pfleger annähern. So habe
der Hans seine Gescheitheit eigentlich dem
Blasi zu verdanken. — Wer über solche Betrachtungen
lachte, dem riet der Schneider
ernsthaft, eine Weile bei ihm als Hofhund
zu dienen; sein, des Spötters, Hirn hätte nur
Profit davon, einmal in der Nähe des Blasi
zu sein.

In solchen Äußerungen des Blasi zeigte
sich, daß der Schneider von seiner Weltlauferei
außer der Schriftsprache auch ein
rechtschaffenes Mißtrauen gegen alles, was
Mensch hieß, mitgebracht hatte; bisweilen
steigerte es sich zu gründlicher Verachtung.
Zwar verbarg er diese Gestimmtheit meistens
klug in seinem Herzen, aber in seiner
spöttischen und überlegen belehrenden Art
trat sie doch zutage. Und eben darin, daß
er sich am liebsten mit Tieren umgab und
besprach.

Jawohl: besprach. Stundenlang konnte der
Hans auf dem Torpfosten vor des Blasi Fenstern
stehen und sich mit dem Schneider
unterhalten. Das ging so vor sich, daß der
Blasi wohlgeformte Sätze über Politik und
Menschheit an den Guller hinredete und
dieser durch Nicken und Drehen seines
kammgekrönten Hauptes oder durch kleine
gackernde und singende Töne Einverständnis
oder Widerspruch kundgab. Bisweilen, wenn
der Blasi besonders tief aus dem Herzensgrund
gesprochen hatte, schlug der Hans mit den Flügeln
und trompetete ein kräftiges Kikeriki auf
den Schulplatz hinaus.

Der Schneider war ein Frühaufsteher. Ob er
das — in einer Art Austausch für die dem Tier
vermittelte Intelligenz — von seinem Guller
hatte oder ob sich beide dieser gleichen Neigung
wegen so verwandt fühlten, bleibe dahingestellt.
Jedenfalls flog der Hans jeden Morgen dem Blasi
aufs Fensterbrett und weckte ihn mit Gurren
und Flügelschlag. Guten Morgen, lieber Hans,
sagte dann der Schneider, hast du wohl geruht?
Haben deine Hühner sich gut aufgeführt? Als
Antwort ließ der Hans dann seinen lauten Morgenruf
erschallen, bis der Blasi mit hängenden
Hosenträgern aus der Haustür trat. Gemeinsam
gingen sie zum Brunnen hinüber. Während der
Blasi sich prustend wusch, saß der Hahn auf dem
Brunnenstock und sah dem unverständlichen Tun
seines Menschen besorgt zu. Nachher stelzten sie
miteinander um den Platz oder in den Gassen
herum: voraus der Hahn in gravitätischem Paradeschritt
; betont warf er die Beine hoch voraus
und setzte sie taktfest nieder. Hinterher kam der
Blasi in ebenso würdigem Gang — nur daß er

Baum bei Dattingen

Bister - Zeichnung von Fritz Kummer, Britzingen

die Beine nicht so hoch warf. Trat der Schneider
unterwegs an ein Kammerfenster, um nach seiner
Gewohnheit jemanden zu wecken — er tat's,
indem er dem Schläfer mit seinem nassen Handtuch
Wasser ins Gesicht spritzte oder indem er an
die Fensterscheibe pochte — flog ihm der Hans
auf die Schulter und unterstützte das Wecken
damit, daß er seinen Morgenschrei ins Fenster
schmetterte. Hob der Geweckte schimpfend den
Kopf aus den Kissen, sagte der Blasi: Guten
Morgen auch! Der Hans und ich meinen, es sei
Zeit für dich zum Aufstehen!

Nun ist es nicht jedermanns Sache, auf diese
Art geweckt zu werden, und weder der Blasi
noch der Hans verschafften sich damit Sympathien
. Und da man das Mundwerk des Blasi
fürchtete, hielt man sich am Hans schadlos: Mancher
Stein flog ihm nach, mancher Hund wurde
auf ihn gehetzt, wenn der Schneider es nicht sah.
Aber im Grunde nahm man dem Blasi nicht das
frühe Wecken übel, sondern daß er sich ein Tier
und noch dazu einen Hahn zum Vertrauten
nahm. Denn wie den meisten Menschen endeten
auch den Dürrenburgern das Verständnis und
die Sorge für ein Tier dort, wo beides zum münzbaren
Nutzen des Tieres nicht mehr beitrug. Mit
einem Guller auch noch zu reden, wo kämen wir
da hin, sagten die Bauern; wir könnten ja auch

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