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Wilhelm Kraft:
Stbfen unb 2!*ol)nen
Der alte Nothardt hatte es mit der Schwiegertochter
nicht so getroffen, wie er es sich gewünscht
hatte. Ruhig und freundlich, so hoffte
er, sollten seine letzten Lebensjahre ausklingen.
Er wollte da und dort noch ein wenig helfen,
kleine nützliche Arbeiten verrichten, nach den
Enkeln sehen, hier ein wenig mit Nachbarn
plauschen, dort ein wenig raten, und auch wohl
ein Schöpplein trinken. Und so würde langsam
die Stunde kommen, die einmal jedem gesetzt
ist, nicht plötzlich und nicht allzu bald. Er meinte
fast, er hätte ein solches Schicksal in einem
arbeitsreichen Leben verdient.
Aber, was heißt schon verdient? — Solange
der Schwiegervater noch ein rüstiger Arbeiter
war, der das Gut vermehrte, stand er in Ansehen
und rechter Pflege. Als aber seine Kräfte nachließen
und er vertrauensvoll (Jen Betrieb ohne
Sicherung aus der .Hand gab, war er überflüssig.
Und sein heimliches Seufzen galt der * ihm vorausgegangenen
Frau. Er wurde empfindlich für
jedes Wort und mußte erkennen, daß man ihn
als Last empfand, die man gerne losgeworden
wäre. In seinem Sohn hatte er kaum Hilfe. Der
wollte nur möglichst schnell reich werden und
zu etwas kommen. Dazu aber half ihm seine
junge Frau mehr, als der ausrangierte Vater.
Nun, der Alte wußte, daß beide eines Tages
genau so reich sein würden, wie er selbst es
heute war. Ein Sönnchen Liebe und Güte ist im
Alter mehr als aller Reichtum der Welt.
Daß er diese Wärme auch am Essen mangeln
mußte, machte ihm besonderen Kummer, denn
er konnte nicht mehr alles vertragen. Die Schwiegertochter
aber kochte mit Vorliebe Speisen, die
anhielten, wie sie sich ausdrückte. Erbsen, Linsen,
Bohnen bestritten die halbe Woche den Mittagstisch
. Auf den Alten wurde keine Rücksicht
genommen, er mußte essen, was auf dem Tische
stand. So wurde er mißtrauisch und unterstellte
der Schwiegertochter sogar, sie wolle ihn unter
den Boden kochen. Dieser Zustand artete in
einen stillen Krieg aus, der die letzten Lebensjahre
des alten Nothardt eher verlängerte, als sie
zu verkürzen; denn er hielt ihn geistig munter,
da er dauernd sinnieren mußte, wie er die
Schwiegertochter überliste und sein Dasein, ihr
zum Trotz, denn das war jetzt sein letztes
Lebensziel geworden, nach Möglichkeit verlängere
.
So erzählt man sich, der Alte habe, als seine
Bitten um bekömmlichere Speisen nichts fruchteten
, eines Tages angefangen, mit sichtlichem
Behagen die Erbsen, Linsen und Bohnen zu verspeisen
und dazu wohlgefällig den Mund gewischt
und gesagt:
Erbsen und Bohnen
sind meines Herzens Kronen.
Wein und Weißbrot
sind mein bitterer Tod.
Da er es nicht unterließ, überdies noch verlangend
zu fragen, ob es morgen wieder Kerniges
gäbe, habe die aufmerksame Schwiegertochter
sofort den gewohnten Speisenzettel auf mehl-
haltige Mahlzeiten umgestellt, sehr zum äußeren
Unmut des alten Nothardt. Das innere Schmunzeln
aber verbarg er listig hinter seinem weißen
Vollbart.
Emil Baader:
2lugentcoft unb Thymian
Das Füllhorn der Natur schüttet zu jeder Jahreszeit
neue Wunder auf unsere Erde. Wenn der
rote Mohn und die blaue Kornblume mit den
goldenen Halmen hinweggenommen wurden von
unseren Äckern, wenn die bunte Blumenpracht
der Wiesen und Wälder zu erblassen beginnt,
dann lohen um so farbenprächtiger Gladiolen,
Georginen und Astern in den Gärten, dann entfalten
die Rosen ihre zweite Pracht, dann beginnen
die Vogelbeeren zu glühen und dann ist auch
die Zeit — der hochsommerlichen Kleinflora.
Schreitet einmal aufmerksam über ein Stoppelfeld
! Was tut sich unserem Auge da für eine
Kleinpracht auf: da blüht das zarte kleine Ackergauchheil
, weiß, blau und ziegelrot; da strebt das
liebliche spätsommerliche Ackerstiefmütterchen in
mannigfachen Farben zum Licht; dazwischen das
lichtblaue Ehrenpreis, das lustige Hirtentäschelkraut
, der weinrote Ackerwachtelweizen. Oder
schreitet über die hochsommerlichen Wiesen und
die besonnten Hänge: Beachtet die von Bienen
umsummte botanische Kleinwelt. Zwei Miniatur-
Blumenwunder sind hier unsere besondere
Freude: Augentrost und Thymian.
Augentrost. Es mögen nicht die besten
Wiesen sein, auf denen dieses Blumenwunder
erblüht. Die Wissenschaft zählt das Blümchen zu
den „Halbschmarotzern", weil es seine Nahrung
zum Teil anderen Pflanzen entzieht. Der Schaden,
den der Augentrost den Nachbarpflanzen zufügt,
ist vermutlich nur gering. Aber groß ist die
Freude, die er jedem Beschauer bereitet. Der
lateinische Name „euphrasia" bedeutet „Frohsinn
" und „Augentrost" — ist's nicht so viel wie
„Augenweide"? Doch hat der Name Augentrost
noch einen anderen Sinn. Schon der griechische
Arzt Dioskorides (er lebte um 50 n. Chr.), der als
„Arzneimittellehrer" das ganze Mittelalter hindurch
im Abendland eine große Rolle spielte,
berichtet: „Augentrostwasser in die Augen getan
und darum gestrichen macht ein hell Gesicht und
hilft den Augen aller Schmerzen ab; stärkt und
heilt das Gesicht von allen erlittenen Krankheiten
".
Im Mittelalter ließen sich Blinde aus den
Blättern des Augentrost einen Aufguß aus Wein
oder Bier bereiten und genossen ihn in der Uberzeugung
, dadurch die Sehkraft wieder zu erlan-
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