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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-08/0017
Im Markgraflerland Vor hundert Jahren (13)

Diz (Bcünfcung 5cö Lönmüjti (Szwttbzvtmm am 3CX2luguft1857

Der Chronist weiß nicht zu sagen, ob der
„Gewerbe- und Verkehrsverein e. V.", der im
derzeitigen „Einwohnerbuch der Städte Lörrach
und Weil, 1954" auf Seite 4 III erscheint, ein unmittelbarer
Nachkomme jenes „Gewerbevereins"
vom Jahre 1857 ist, von dem er berichten will.
Er nimmt es aber ohne weiteres an, wenn er an
die zielbewußte und überlieferungstreue Art des
Markgräfler Volkes denkt, die nicht leicht von
einem einmal begonnenen Ding abläßt. Und selbst
wenn er mit dieser Annahme ausnahmsweise
Unrecht hätte, so wird es doch interessant sein,
von den Bestrebungen längstvergangener Zeit zu
hören.

Im Jahre 1825 schon war der erste deutsche
Gewerbeverein in Leipzig gegründet worden,
1831 der in Karlsruhe. Der Zweck dieser Vereine
war, die Interessen der Gewerbetreibenden zu
fördern und entsprechende Maßnahmen innerhalb
der Kommunalpolitik durchzusetzen. Die
Gewerbevereine stellten freie Organisationsformen
der Handwerkerschaft und der Gewerbetreibenden
einer Ortschaft dar. In Baden gab es
im Jahre 1860 — wie sich damals bei den Vorarbeiten
zu einer neuen Gewerbeordnung herausstellte
— insgesamt zwanzig Gewerbevereine. Zu
ihnen gehörte der Lörracher. Wie war es zu
seiner Gründung gekommen?

Der „Oberländer Bote" Nr. 97 v. 17. 8. 1857
brachte zunächst einen eingehenden informierenden
Artikel über den Sinn der Gewerbe vereine:

Lörrach, 7. August. Endlich will sich's auch bei
uns mit dem Gewerbewesen regen. Rings um
uns erheben sich, eine nach der andern, großartige
Fabriken, Tausende von Arbeitern wandern Tag für
Tag in denselben aus und ein, und finden dort, wenn
auch kein reichliches, noch auch leicht verdientes, so
doch ein ziemlich sicheres und, bei einiger Sparsamkeit
und Umsicht, ausreichendes Brot. Die großen
Kapitalien haben sich mit dem Fortschritt der technischen
Wissenschaft verbündet, haben allenthalben
nicht nur des Wassers und des Dampfes, sondern
auch des Volkes Betriebskraft sich dienstbar gemacht
, und wenn die Sache diesen Gang fortgeht,
so sind die Männer der Industrie in einem halben
Jahrhundert die Herren und Regenten der zivilisierten
Welt. Namentlich droht den Kleingewerben unter
solchen Umständen ein unausbleiblicher Ruin, wenn
nicht auch sie sich zu einer solidarischen Macht vereinigen
und als solche der Resultate der Zeit und
ihrer wissenschaftlich - technischen Ergebnisse sich
bemächtigen. Dies vermag bei dem besten Willen
nimmermehr der isoliert dastehende Einzelne, dies
vermag nur die Macht gewerblicher Associationen.
Vergeblich ringt des Einzelnen Kraft im Strome der
Entwicklung aller Verhältnisse, sich oben zu halten,
im erfolglosen Ringen verliert er den Mut, erlahmt
in seinen anfangs eifrigen Bestrebungen, und versinkt
endlich mit den vielen Hunderten und Tausenden
, die vor ihm und neben ihm gleichen Looses
Genossen sind. Wie viele solcher Verkommenen
dienen unserer Behauptung zum tatsächlichen Zeugnisse
! Und doch bilden diese Kleingewerbe nächst
der ackerbautreibenden Klasse den eigentlichen Kern
unserer ansäßigen Bevölkerung, mit deren Wohl oder
Wehe, mit deren Verfall oder Gedeihen auch das
Wohl oder Wehe des Ganzen auf das Innigste zusammenhängt
. Von diesem Gesichtspunkte geht offenbar

auch unsere hohe Regierung bei ihrer Einwirkung
auf das Gewerbewesen, bei der Gründung eines
Landes-Gewerbevereins, von dieser Ansicht
gehen offenbar auch alle diejenigen Männer
und Gemeinden aus, welche zur Gründung solcher
Vereine bis jetzt thätig fördernde Hand geboten
haben.

Überall her, von größeren und kleineren Orten unseres
Landes haben wir Berichte von solchen neu entstehenden
oder in ein erneuertes Leben eintretenden
Vereinen vernommen, von Tag zu Tag erwarteten wir
auch hier ein derartiges erfreuliches Lebenszeichen,
ein Zeichen, daß auch bei uns der Gewerbestand
erkannt habe, was ihm Noth thue, was für ihn eine
Lebens- und Existenzfrage geworden, daß auch der
Oberländer Gewerbs- und Handwerkerstand eines
weitergehenden Blickes fähig sei. Wir verkennen
nicht, daß einzelne klarer blickende Männer längst
schon das Bedürfnis gefühlt, und was in ihren Kräften
lag, zur Förderung der Sache gethan haben; wir
verkennen nicht, daß auch diejenigen Stellen, deren
oberster Leitung auch solche Angelegenheiten anvertraut
sind, das Ihrige gethan; aber manche Hemmnisse
, die theils beschränkter Anschauung überhaupt,
in ganz falscher Ansicht von der Sache und ihren
Zwecken, theils wohl in kleinlichen Eifersüchteleien
ihren Grund hatten, ließen es bis dahin zu keinem
Resultate kommen. Mit doppelter Freude begrüßen
wir darum jetzt die Kunde, daß das Kindlein, das
mancher Einsichtsvolle lange auf treuem Herzen
getragen, endlich seine ersten Schritte in der Welt
versuchen soll; mit doppelter Freude begrüßen wir,
wenn auch zuächst vollkommen unbeteiligt, diese
Kunde nicht allein um der Sache willen, sondern
weil sie uns, wie schon bemerkt, beweist, daß der
alte Schlendrian überwunden ist, und daß der Handwerkerstand
auch bei uns die Winke der Zeit versteht
. An einer bedeutenden Betheiligung hier in
Lörrach ist wohl nicht zu zweifeln; aber auch von
den Landgemeinden, welche sich — wir sagen dies,
ohne irgend einer zu nahe treten zu wollen — vor
manchen Gegenden unseres Landes durch Intelligenz
und Fleiß auszeichnen, ist eine recht lebendige und
zahlreiche Theilnahme nicht nur zu wünschen, sondern
auch zu erwarten.

Zur Belehrung über den Zweck und Nutzen der
Sache selbst soll, dem Vernehmen nach, in nächster
Zeit eine öffentliche Besprechung zuvörderst in
einem oder mehreren der umliegenden Landorte
stattfinden. Bis dahin Mehreres. („Karlsr. Ztg.")

Der Leser dieses langatmigen Ergusses wird froh
gewesen sein, daß zunächst nichts „Mehreres"
mehr zu lesen war. Denn was hatte er den weitgespannten
, verschachtelten Perioden mit der
selbst für 1857 altertümlichen Interpunktion
Greifbares entnehmen können? Nichts, als was
er schon lange wußte: Daß die kleinen Gewerbetreibenden
gegen die einbrechende Industrie zusammenstehen
müßten. Im ganzen war der
Artikel das Musterbild einer auch heute noch
häufig anzutreffenden Journalistenschreibweise,
die von den Fakten wenig Ahnung hat und deshalb
umso mehr Worte um das herum macht,
was man der betreffenden Zeitung zu sagen aufgetragen
hat. Außerdem riecht der Artikel ausgesprochen
nach behördlicher Inspiration — bis
in die papierenen Wendungen hinein, die sich
wie aus einer muffigen Amtsstube in die klare,
sachliche Luft des „Oberländer Boten" verirrt zu
haben scheinen. Bezeichnenderweise stammte der
Artikel auch aus der „Karlsruher Zeitung", wie

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