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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-09/0014
„Der Kanzleyverwalter ist zwar nicht ohne
Fähigkeit, Kenntnis in Städtischen Sachen und
Übung, kann auch allerdings noch wohl arbeiten;
allein er ist nach wie vor ein nachlässiger und
unthätiger Mann, zumal bey der Bürgerschaft
nicht in der mindesten Achtung".

Wir erwarten gar keine anderen Angaben
nach all dem Vorhergegangenen, als daß den
Einkünften der Stadt von 2301 fl. Ausgaben von
2237 fl. entgegenstehen.

„Endlich haben sie auch noch den Rhein auf
dem Nacken, der nicht nur beträchtliche Verwüstungen
anrichtet, sondern die Stadt selbst
angreift und sie früh oder spät aufzufressen
droht".

Kammer und Stände wollen keine Mittel
mehr für den aussichtslosen Kampf auswerfen.
„Die Stadt samt ihrem Bann ist also dem Fluß
preyß gegeben". „Und aus dieser Stadt will der
Proponent eine der blühendsten Städte der österreichischen
Monarchie machen!" Dieser letzte
Satz sitzt wie das Tüpfelchen auf dem i.

Von vornherein ist der Antragsteller als ein
zügelloser Phantast gekennzeichnet. Es fehlt nur
das eine noch, aufzuweisen, daß er dies nicht im
Sinne eines überschwenglichen Optimismus, sondern
als berechnender Hochstabier und rachsüchtiger
Erbschleicher ist. Dann wäre dieses
störende Element bei der reformsüchtigen Majestät
voraussichtlich ausgestochen.

So beginnt des Prologes zweiter Teil.

Wer ist dieser ,,sich so nennender" Abbe de
Wert?

„Dieser ist ein Mann von 54 Jahren, seinem
Angeben nach ein Geistlicher und seit Dezember
1786 zu Neuenburg mit einem Frauenzimmer,
auch ohngefähr zwischen 40 und 50 Jahre alt,
der daselbst ohne alle Beschäftigung lebt, so
viel man glaubt, er und sie von Pensionen, die
sie aus Frankreich ziehen. Von ihrer Herkunft
und Rang oder anderen Umständen ist nichts
verlässig bekannt. Von ihm heißt es zwar, er sey
ein abbas electus et dimiscus, aber einen Grund
dieser Sage habe ich gleichwohl nicht erfahren
können. Nach dem, was ich aus seinen Reden
abgenommen habe, ist er von Geburt ein Schweizer
aus dem Kanton Bern; aber zu Straßburg
erzogen worden. Dieses ist auch umso glaublicher
, als er gänzlich nach Elsässischer Mundart
und Ton Deutsch spricht.

Einen sicheren Manuel, Landvogt zu Vorwangen
im Kanton Bern und den Schultheiß
Klbz zu Solothurn nennet er seine Verwandten.
Er hat auch von einigen Gesandten am Fränkischen
Kreis als seinen Vettern gesprochen, selbe
aber nicht benennet, hauptsächlich aber von
Freunden, die er in Wien habe, große Dinge
vorgespieglet.

Er schreibt sich bald Abbe de Wert, bald
Abbe Nothüger, bald beides zugleich, wie aus
seinen bey dem Protokoll liegenden Billets an
mich zu ersehen ist. Sein Umgang in Neuenburg
ist hauptsächlich mit dem Kanzleyverwalter

Klein und dessen Schwager, dem Capitaine-aide
Major Mezger von dem französischen Regiment
Reinach, der in Schliengen, eine kleine Stunde
von Neuenburg, wohnt, auch zu Zeiten mit dem
sich zu Neuenburg befindlichen Kaiserlichen
Obersten Baron Baudean.

Nach dem, was der Rentmeister Schmied, der
ihn samt dem gedachten Frauenzimmer aus dem
Elsaß über den Rhein nach Neuenburg geführt,
erzählt, sind beide auf einer sogenannten Benne,
nicht am besten gekleidet und mit weniger
Bagage angekommen. In ihrer dermaligen Wohnung
, die zwar eine der allerbesten in Neuenburg
ist, sieht es auch nicht aus wie bey vermöglichen
Leuten: eine silberne und goldene, oder
wenigstens gelbe Sackuhr sind alle Gerätschaften
von einigem Werth, die ich gesehen habe.
Sie ist etwas besser, er aber würklich schlecht
gekleidet.

Indessen spricht der Abbe täglich von vielem
Geldte, das er in Neuenburg verzehren oder zum
Lande hinaustragen müsse, weil er nemlich im
Orte nichts haben könne.

Sie halten weder Magdt noch Bedienten, sondern
werden durch die Töchtere des Kanzley-
Verwalters bedient.

Sie ist, so viel ich von ihr seihst verstanden
habe, von Geburt eine Schwedin, die Wittwe
eines noch unlängst in französischen Diensten zu
Paris verstorbenen Hauptmanns und nennt sich,
ich weiß nicht mit ihrem oder ihres Manns Namen
von Wagenfeld.

Dieses sey zum Voraus genug, das übrige
wird sich im Verlaufe geben".

Dieses ist wahrhaftig genug. Daumier hätte
dieses Paar mit seinem Stift nicht besser zeichnen
können, als dieser peinlich genaue Beamte,
allerdings österreichische Beamte.

Vor dem Hintergrund dieser kläglichen Stadt
steht die Gestalt dieses Hochstabier-Paares.
Wenn man durch die Lektüre der Gaunerlisten
aus dem 18. Jahrhundert mit den Praktiken dieser
Schimmelpilze der menschlichen Gesellschaft
vertraut wurde, können Zweifel an der Echtheit
dieses Abbes und seiner Begleiterin aufkommen.
Schweden liegt gar weit im neblichten Norden.
Man braucht ja nicht gerade an die „dicknasete
Franzel, das Kebsweib des schnupfigen Schmidts"
zu denken oder an die „gepflotschete Bäbe".
Warum sollte nicht manches an dieser Wittib sich
rösch und knusprig erhalten haben? Was den
Titel eines Abbes betrifft, so bietet er doch
immerhin besser als jeder andere die Gewähr
einer gewissen Zurückhaltung des aufdringlich
in die Falten der Soutane hineinleuchtenden
Spürers. Selbst der unbestechliche Hinderfad
bewahrt immer noch eine gewisse Vorsicht vor
einer direkten Berührung, gewissermaßen einen
elektrischen Schlag aus einer irgendwie möglichen
himmlischen Verbindung fürchtend, selbst
als getreuer Diener seines kirchenreformatori-
schen Herrn.

Betrachten wir es im Gesamtrahmen der
Stadt-Persönlichkeit, so war es gerade diese Gestalt
des „Abbes" de Wert, die das Bild am

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