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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-10/0004
L. Börsig:

3äumt in hm Fimmel?

Am späten Abend des 4. Oktober 1957 begann
— das wird von keiner Seite mehr bestritten
— ein neues Zeitalter. Mit einer dreistufigen
Rakete hat Rußland einen „Roten Mond" in den
Weltraum geschickt, und als künstlicher Erdsatellit
kreist dieser Rote Mond, jedenfalls zur
Stunde noch, um die Erde. Für den Flug um
unsere gute alte Erde, deren Umfang rund 40 000
Kilometer beträgt, werden ganze 92 Minuten
benötigt. Das ist die Zeit, die ein rüstiger Fußgänger
braucht, um von Müllheim nach Schlien-
gen zu marschieren. Das ist etwa die Zeit, die
ein Radfahrer für die Strecke von Lörrach bis
zu Hebels Alter Post an der Bundesstraße 3
nötig hat. Es ist die gleiche Zeit, in der ein
Auto der Mittelklasse die Autobahnstrecke von
Karlsruhe bis Frankfurt bewältigt. Es ist schließlich
die gleiche Zeit, in der ein modernes Düsenflugzeug
von Rom bis Hamburg fliegt. Man
sieht: alle unsere bisherigen Vorstellungen von
Zeit und Raum sind hier bei weitem nicht mehr
zureichend. Der Mensch ist in Räume vorgestoßen
, die uns in unserer irdischen Endlichkeit
bereits unendlich erscheinen, wenn sie es auch
keineswegs sind. Der Mensch ist auch mit einer
Geschwindigkeit in die neuen Räume gestoßen,
die uns den Atem nimmt. Und das soll wieder
nur ein Anfang sein, was kaum zu bezweifeln
ist. So sicher, wie am 4. Oktober 1957 das Zeitalter
der Weltraumfahrt begonnen hat, so sicher
ist es, daß in rascher Folge die Vorstöße höher,
weiter, schneller werden. Der Mensch ist dabei,
neue Welten zu entdecken, neue Entfernungen,
neue Perspektiven, deren endlicher Abschluß
noch niemand auf dieser Erde kennt. Welche
politisch-militärischen Konsequenzen sich ergeben
, sei hier, in diesem unpolitischen Heft, nicht
gefragt. Aber welche allgemein - menschlichen
Schlüsse zu ziehen sind, dies scheint doch eine
Frage zu sein, die uns mehr bewegt, als irgendeine
andere Frage seit der Zeit, da Kopernikus
1543 sein Weltsystem geschaffen hat. Zwar sind
in den 400 Jahren, die uns von Kopernikus
trennen, eine große Reihe entscheidender Entdeckungen
und Erfindungen gemacht worden.
Man denke an die Dampfmaschine von Branca
(1629), an das erste Dampfschiff von Papin (1707),
an die erste Eisenbahn, die 1830 auf der Strecke
Manchester—Liverpool fuhr, an den ersten mit
Benzin angetriebenen Kraftwagen von Daimler.
Man denke an den ersten Motorflug der Gebrüder
Wright, die 1903 ganze fünfzig Meter mit
ihrer Maschine flogen. Man denke freilich auch
an Berthold Schwarz, der 1313 das Schießpulver
erfand, an Nobel, der vor 90 Jahren die Welt mit
Dynamit überraschte, man denke an Hiroshima
und Nagasaki.

Dann erinnere man sich aber auch an Leonardo
da Vinci, den man gemeinhin als den
Schöpfer der Mona Lisa, jenes Gemäldes im
Louvre, kennt, der aber zu seiner Zeit gleichzeitig
auch einer der größten Physiker war. Dieser
Leonardo war es, der das erste Unterseeboot
um die Wende des 15./16. Jahrhunderts baute

(fälschlicherweise wird als Erfinder des U-Bootes
Fulton genannt, der um 1800 seine Erfindung
machte). Dieser Leonardo aber zerstörte damals
seine Erfindung restlos, mit der Begründung,
daß man ein Unterseeboot nicht in die Hände
der Menschen geben könne, weil diese damit
„Schiffe anbohren und damit Böses anrichten
könnten".

Daran erinnern wir uns auch jetzt im Augenblick
, da wir Zeugen der Geburtsstunde eines
neuen Zeitalters werden. Und da wir seit Hiroshima
und Nagasaki keinen Grund mehr haben,
daran zu zweifeln, daß der Mensch zu jedem
Verbrechen fähig ist, sind wir geneigt, auch die
neue Erfindung der künstlichen Monde mit mehr
Furcht als mit Hoffnung und Triumph zu beantworten
.

Gewiß, unser guter alte Mond braucht heute
noch nicht davor zittern, von fremden Mächten
besetzt zu werden. Neunhundert Kilometer hoch
ist der Satellit russischer Erfindung hoch gekommen
, 400 000 Kilometer aber müßte er steigen,
um auf dem „richtigen" Mond zu landen. Andererseits
aber vergleiche man den Flug der Gebrüder
Wright und die gegenwärtigen Flugrekorde
, dann wird man kaum bezweifeln können
, daß die jetzt erreichten 900 Kilometer nur
ein kleiner Anfang sein dürften. Wir haben Entwicklungen
unvorstellbaren Ausmaßes zu erwarten
, und davon wird die in der heutigen Menschheit
verbreitete Daseinsangst kaum geringer,
sondern sie wird sich vielmehr mit der Zahl der
steigenden Höhen/ der zunehmenden Geschwindigkeiten
und der Vermehrung der roten, blauen
und andersfarbenen Monde multiplizieren. Das
alte Sprichwort, daß keine Bäume in den Himmel
wachsen, kommt uns in den Sinn. Aber das
ist eben nur ein Sprichwort. Es bedarf eines
wesentlich anderen Trostes. Daran sei erinnert.
Jenes Trostes nämlich, den einer in einem kleinen
Schifflein auf stürmischer See aussprach, als
er die Kleingläubigen beruhigte. Jenes Trostes
auch, der uns in der Uberzeugung gegeben ist,
daß unseren Welten und den künftigen Welten
der Satelliten die endliche Stunde berechnet ist,
nicht früher und nicht später, was da auch kommen
mag. Bäume wachsen nicht in den Himmel.
Und auch Satelliten steigen nur in den Himmel
, den Narren dafür halten.

Über meine Heimateröe

Über meiner Heimaterde
Füllt die Nacht sich hell mit Sternen.
Drängend in die nächtigen Fernen
Steigt Gebirg* im Nebelglanz.

Über meine Heimaterde
Geht der Wind mit leisen Schwingen.
Was kein Menschenmund zu singen
Und kein Hauch vermag zu loben.
Spricht sie schweigend in den Glanz
Ihrer Brudersterne droben.

Walter Franke

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