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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-10/0005
Richard Nutzinger:

>öfe Sladjölanfc

Kurze Geschichten aus einer langen Sippe

1. Ein kleiner Matthias
kommt auf die Welt

Der Bauer Matthias Flachsland hatte den
ersten Sohn erhalten, und das war für ihn ein
bedeutendes und gewichtiges Ereignis. Denn der
alternde Mann war nicht mehr sicher gewesen,
ob ihm noch ein Stammhalter und Namensträger
geschenkt, oder ob mit ihm sein stolzes Geschlecht
erlöschen würde. Und das konnte dem
alten Matthias nicht gleichgültig sein, der auf
eine lange und große Stammfolge zurückblicken
konnte. Von allem Hab und Gut, das ihm der
leidige, nun bald dreißig Jahre währende Krieg
geraubt hatte, — und das war viel gewesen —,
konnte er doch nichts so bitter verschmerzen als
den Verlust seiner Aufzeichnungen aus der alten
Flachslandsippe, die ihm verbrannt waren. Wohl
hatte er noch vieles davon im Kopf, so oft hatte
er seinen Stammbaum studiert, aber alle die
Namen und Jahreszahlen waren ihm doch nicht
mehr geläufig, und vor allem es fehlte ihm das
Schwarz auf weiß, durch das er den unbestreitbaren
Beweis über seine hohen Ahnen hätte
führen können. Wer wollte es auch dem schlichten
Bauern Matthias Flachsland glauben, daß er
Äbte und Kirchenfürsten aus dem 14. Jahrhundert
zu seinen Ahnen zählte; daß deren
Söhne unehelich zur Welt gekommen waren,
schien ihm, dem Protestanten von Fleisch und
Blut, in keiner Weise etwa ehrenrührig; schlimmer
deuchte ihn schon, daß das Weib des ersten
Flachsland zu Hauingen eine Hexe gewesen sein
sollte. Einstmals hatten sie sogar zum Adelsstand
gehört; die Herren von Flachsland in der
Schweiz, und ein Vorvater von ihm war Landvogt
zu Rötteln gewesen, der als erster aus der
Schweiz ausgewandert, und vom Bürgermeister
zu Basel auf diesen Posten aufgerückt war.
Besonders stolz aber war er auf jenen Ahnen,
der dann um seines evangelischen Bekenntnisses
willen auf den Adelstitel verzichtet hatte und
bürgerlich geworden war. Oft genug pochte der
Matthias am Stammtisch bei den anderen Hauinger
Bauern auf diese seine Abkunft; der einzige
und unzulängliche Beweis, den er für seine
Behauptungen beibringen konnte, war der Umstand
, daß er noch mit seinem Bauerngut
Lehensträger von Rötteln war, aber man nahm
ihm seine Aussagen nicht als glaubhaft ab und
hielt ihn, wenigstens in diesem Punkt, für einen
tollen Aufschneider. Aber nun war also, Gott
sei Dank, der Bub da, der natürlich nach seinem
Vater Matthias heißen sollte; die Familienehre
wTar gerettet und die Stammfolge der protestantischen
Flachsland gesichert. Die freudige Bedeutung
dieses wichtigen Ereignisses sollte auch
durch eine entsprechend feierliche Taufe, die
bald darauf stattfand, ihren gebührenden Ausdruck
finden, Schon in der Wahl der Götti und
Gotten war Vater Matthias großzügig. Neben
seinem Schwager Jerg aus Haagen sollte der
derzeitige Hauinger Ortspfarrer Johann Jakob

Scherbaum mit seiner Ehefrau den kleinen
Matthias aus der Taufe heben. Denn eben an
diesem im vorigen Jahr zugezogenen Ortspfarrer
hatte der Flachsland einen Narren gefressen.
Der wußte als bisheriger Informator der fürstlichen
Kinder mehr von der Welt und ihrem
Geschehen als der gemeine Mann; und obwohl
noch der böse Krieg währte, der sich aber wie
ein müder Greis dahinschleppte und nicht leben
und nicht sterben konnte, hatte der Scherbaum
im Jahr zuvor in Haltingen eine solenne Hochzeit
gefeiert mit der Margarete Sebastian, einer
Kammermagd im fürstlichen Frauenzimmer, dabei
die Gäste am ersten Tag an neune, am zweiten
an fünf Tischen regaliert wurden. Aber
wiewohl dies Ehepaar einst an Höfen und in
Schlössern zu leben gewohnt war, zeigte es sich
doch umgänglich und gemein mit den schlichten
Leuten von Hauingen. Das erwies sich denn auch
bei der häuslichen Feier, bei der Pfarrer Scher-
baum, nachdem er bereits in der Kirche gesprochen
, eine treffliche Tischrede hielt. Zuerst, so
meinte er, sei der beglückten Eltern zü gedenken
, die wie weiland Elkana und Hanna und
wie Zacharias und Elisabeth schon im vorgerückten
Alter sich noch eines Knaben erfreuen
dürften, und dies besonders darum, weil, wie bei
den Vorgenannten, gerade dieser späte Sproß
Berechtigung zur Hoffnung auf eine bedeutende
und fromme Persönlichkeit biete, daß also aus
dem kleinen Täufling einmal so etwas wie ein
Priester Samuel oder wie ein gewaltiger Bußprediger
gleich dem Johannes werde. Auch sein
Name Matthias lege ja solche Zukunftserwartung
nahe, da jener biblische Matthias durchs
Los in die Apostelreihe aufgenommen worden
sei. So möge auch des kleinen Matthiasiis Los
aufs liebliche fallen, und er einmal ein Erwählter
Gottes, ein Christusverkündiger und rechter
Pfarrer werden. Da sah Scherbaum, daß der
Vater Matthias bedenklich den Kopf schüttelte,
und fuhr fort, wie es durchaus denkbar sei, daß
einmal aus dem rechtschaffenen Bauernstand ein
großer Theologe hervorgehen könne, zumal nach
der Aussage von Vater Matthias in den vorrefor-
matorischen Zeiten bedeutende Kirchenhäupter
diesem Geschlecht entsprossen seien. Freilich das
seien menschliche Wünsche und Aussichten, zu
denen Gott selbst erst sein Ja sagen müsse; aber
immerhin er habe das unbestreitbare Gefühl,
daß dieser, sein Patenbub, es einmal zu einem
bedeutenden evangelischen Pfarrer bringen werde
, und er als Götti wolle sein Teil dazu beitragen
, daß aus dem Matthiasli einmal ein rechter
Mensch werde, und er werde nach dem soeben
in der Kirche gegebenen Gelübde diese seine
Miterzieheraufgabe in Gebet und Fürsorge für
den Kleinen ernst nehmen. Alle stimmten dem
Redner mit großem Beifall zu und tranken aufs
Wohl des jungen Matthias.

Auf einen Anhieb des Pfarrers wegen seines
Kopfschütteins machte Vater Matthias den Ein-

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