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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-10/0011
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ohne das, was ich Volkstum heiße: Friedrich II.
war ein König, der seinem Jahrhundert voranging
und vergeistigend auf den ihm nahestehenden
Adel wirkte. Das fremde Beamtenblut, das
Preußen verwaltete, hatte Korpsgeist, dazu ein
überständisches Geheimnis der Macht entwickelt.
Doch jede öffentliche Einrichtung zeugt früher
oder später die Fehler ihrer Tugenden. Was ich
als preußischer Beamter — ich war es gern und
ganz und diente dem Staate als Diplomat und
Mitglied der Regierung — vorausgesagt hatte,
erfüllte sich wie ein Gesetz. Napoleon ist ein
Genie. Doch nicht nur seine Überlegenheit ermöglichte
die Niederlagen von Jena und Auer-
städt, den preußischen Zusammenbruch, genau
zwanzig Jahre nach Friedrichs Tod: wir verschulden
ihn selber.

Karl, Reichsfreiherr vom und zum Stein war
gewohnt, unerbittlich zu denken. Indes er die
Schönheit dieser Morgenfahrt genoß — das holde
Daheimsein der Natur, durchweht von der leisen
Wehmut harmonischen Scheidenmüssens — sah
er gleich einem vorübergleitenden Bilderspiel die
Stufen seines Lebens: das Schloß der Väter, das
zwischen uralten Bäumen des Städtchens Nassau
lag, die Studenten jähre zu Göttingen und deren
Rechtslehrer, die ihm das innerpolitische Leben
Englands nahe gebracht hatten, seine Fahrten
nach London, den Haag, Zürich und Bern, bei
denen ihm das Idealbild einer künftigen Monarchie
demokratischer Art aufgegangen war, die
von einer Auslese des Gesamtvolkes getragen,
eine wurzelhafte Selbstregierung zu verwirklichen
habe!

Ein Zug von Kranichen schwang im Blauen,
Möven wiegten, eines der flachen ostpreußischen
Schiffe querte die Flut, und der Wind trieb sein
weißes Segel.

Der Reichsfreiherr — er lehnte barhaupt in
der Wagenecke — strich die Rechte über die
breite, zurückliegende Stirn des bartlosen Gesichtes
, darin jeden Betrachter vor allem die
gewaltige Nase fesselte. Der feingeschnittene
Mund und das nicht starke Kinn fielen ab. Während
der obere Tel des Gesichtes Ruhe, Tiefsinn
und Herrschaft verkündete, ließ der untere Zorn,
auch eine jäh aufwallende Heftigkeit vermuten,
die tief verletzen konnte.

Nein, grübelte er, nicht die Gleichmacherei
und die Massenmeinung der französischen Lärmer
— so notwendig deren Schreien gewesen
sein mag —, können retten; das neue Preußen,
an das ich glaube, soll seine Zucht mit dem
rheinländischen Schwung, der Weltweite einen,
welche ich ihm bringen wollte. Nicht vergeblich
wirkte ich im Westen der Monarchie und sah,
was aufstrebendem Volksgeiste möglich ist, sobald
man ihn anspricht;. an der Ruhr leitete ich
das Fabrikwesen der Grafschaft, ließ den störrischen
Fluß schiffbar machen, konnte Hamm und
Minden nach meinem Willen fördern. Ich tat es
dergestalt, daß der König mich. 1804 nach Berlin
^berief, das Ministerium des Akzise-, Zoll-, Salz-,
Fabrik- und Kommerzialwesens zu übernehmen!

Mit diesem Erinnern aber traten ihm sofort
die Gegenspieler des Hofes vor das innere Ge-

Klosterkirdie in Sulzburg Federzeichnung von F. Fischer

sieht. Er, der als verwurzelter Deutscher, dank
den Notwendigkeiten seines Denkens die Herrschaft
des Zählens, des starren Verwaltens. überwunden
, sich das Recht freien Entscheidens wie
es dem Nachfahren eines Reichsrittergeschlechtes
natürlich war, zurückgewonnen hatte, wußte, daß
jenseits des Verstandes unwägbar im Menschen
und seinen mitmenschlichen Beziehungen Kräfte
des Glaubens, des Hoffens, der Liebe wirken. Sie
erst erfüllten, und weil er das sah, mußte er
gegen die Kabinettspolitik des Königs stehen!

Wieder hörte er, indes die Kutsche die Nehrung
entlang fuhr, eine der harten Auseinandersetzungen
, die er mit der scheuen Majestät gepflogen
hatte.

„Die französische Revolution sprach deutlich,
und Bonaparte, der nun Kaiser ist und Europa
beherrschen, jede staatliche Individualität auslöschen
will, flammt stündlich in die überholten
Vorstellungen, die meinen, König und Kabinett
könnten dem Ungeheuren, darin wir stehen,
durch ständiges Nachgeben begegnen. Die Untertanen
müssen Volk werden. Der einzelne darf
keine Nummer, er muß ein Ich sein. Der werdende
Weltherrscher, der sich Kaiser Napoleon
nennt, schiebt Länder und Menschen willkürlich.
Er kann es, weil die Regierenden des Festlandes
versagen — Majestät, auch in Preußen. Mit geworbenen
Söldnern läßt ein Volk sich nicht mehr
verteidigen. Ohne allgemeine Wehrpflicht ist
niemand einem Auseinandersetzen mit dem Korsen
gewachsen. Die Kräfte aus den Tiefen des
Volkes warten darauf, geweckt zu werden, und
das zu tun, ist Aufgabe der Minister, Majestät!"

Der Reichsfreiherr verzog das Gesicht schmerzlich
: eines der Wagenräder war über einen Stein
gefahren, und das Abrutschen verursachte jenes

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