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landes hatten schreiben lassen: jene Arbeit, in
der er verlangte, alle schöpferischen Kräfte des
Volkes zu wecken, auf daß ein erneuertes Preußen
Werkzeug, Stoß und Keil der künftigen
nationalen Einigung der Deutschen werden
könne!
Die Ereignisse, sann er, rechtfertigten mich.
Napoleon forderte, als er am 10. Juli zu Tilsit
mit dem König den Frieden mit Gewalt schloß,
den Minister Hardenberg zu entlassen. Als der
König seufzte, er wisse nicht, wen er an seine
Stelle rufen solle, sagte der Sieger — Hardenberg
ließ es mich wissen —: „Prenez le baron
de Stein, c'est im homme esprit!"' Der König
willigte ein, Hardenberg schrieb mir. Ich lag
ein Rad fortgesprungen; er wolle nach Memel;
in einer halben Stunde würden Kutscher und
Diener den Schaden behoben haben; er solle ihm
eine Flasche Bärenfang, den würzigen Ostpreußenschnaps
, und ein vernünftiges Glas in die
Stube des Wartens bringen!
Der Wirt, der den Gast zwar nicht kannte,
aber sah, daß er ein Entschiedener, wenn nicht
gar ein Entscheidender sei, tat nach seinem Begehr
, und so saß der Reichsfreiherr bald in der
Sofaecke vor dem Bärenfang und hatte den
grauen Zylinder neben sich gestellt.
Die Stube war merkwürdig angelegt: sie hatte
zwei Türen, von denen die eine zur großen Stube,
die andere auf den Flur führte. Durch sie war
Betberg
Federzeidinung von F. Fischer
krank. Doch es war selbstverständlich, daß ich
meiner Frau, da ich keinen Knochen rühren
konnte, die Antwort diktierte: ich sei bereit —
zu kommen!
Napoleon schlug mich vor — dessen bin ich
sicher —, weil er um die Gegensätze zwischen
dem König und mir weiß: er hofft, sie zu seinen
Gunsten auswirken zu können. Das Vaterland
erleidet seiner Geschdche dunkelste Stunde. Da
gibt es nur eines: bedingungslosen Dienst! Und
morgen ist der erste Oktober: dann beginne ich!
Die Reise vom Rhein hierher strengte an. Doch
was soll das? Ich will!
Der Reichsfreiherr Karl vom und zum Stein
stampfte den Stock auf, ging weiter und stieg
die Stufen der Gasthoftreppe.
Als jedoch der Wirt ihn katzbuckelnd in die
große Stube führen wollte — er nehme an, der
Herr gehöre zu den Memeler Honoratioren des
Hofes, die sich dort zu einem Morgenplausche
und dem entsprechenden Trunk zusammengefunden
hätten — lehnte er ab und verlangte, in der
kleinen Stube nebenan, die sein scharfes Auge
erkannt hatte, auszuruhen; seinem Wagen sei
Stein eingetreten und hatte sofort bemerkt, die
andere sei nicht eingeklingt, und deshalb werde
er an der Unterhaltung der Schranzen — so
nannte er das Hofvolk —, teilnehmen. Das auf
die Straße hin gelegene Fenster fing die Septembersonne
auf, an der Wand über dem Sofa hing
ein Kupferstich, der im Goldrahmen darstellte,
wie ein schwarzer Bär — ein unheimliches Tier —
hinter einem Schlitten herfegte. Die pelzverhüllte
junge Frau, seine Lenkerin, trieb, fast stehend,
die beiden Pferde durch die beschneite Landschaft
.
Bald nach dem ersten und gründlichen Schluck
merkte der Reichsfreiherr, daß der unfreiwillige
Aufenthalt ihm eine der schicksalhaften Überraschungen
zuspielte, an denen sein politisches
Leben reich war; denn die Herren der Gaststube
sprachen laut, und die Gläser klangen beschwingt;
das Thema ihres Gespräches aber war er — der
Stein!
Nichts beweise den Widersinn dessen, was der
Hof unter Napoleons Druck veranlasse, dergestalt
wie die Berufung des Trotzkopfes von der Lahn;
gewiß sei nicht zu leugnen, daß die Vorsehung
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