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neue Weltzustände einleite; Stein aber sei und
bleibe ein Eiferer, voller Haß gegen jeden, der
seine Meinung nicht teile; seine knorrige Art —
der Teufel möge die rheinhessische Grobheit
holen —, stoße ab; nur Außenseiter bejahten den
Langnasigen und freuten sich des Sturmes, den
seine Wiederkehr bringen werde; in wenig Stunden
sei der erste Oktober da, zu dem man ihn
erwarte; er sei zutiefst Jakobiner, dem alle
Stände und Klassen — Junker, Bürger und
Bauern — als Staatsbürger gleich seien in Rechten
und Pflichten; er wolle die überkommene
Ordnung endgültig entangeln und wage, diese,
seine Reform, die Wiedergeburt Preußens zu
nennen; es tue gut, sich vor seiner Ankunft im
Kreise der Eingeweihten über die Haltung zu
einigen, die der Widerständler ihm gegenüber
einzunehmen habe!
Karl vom und zum Stein lauschte spitz, und
ob auch das Gewirr der Stimmen auf- und abwogte
: er verstand jedes Wort, und seine Augen
blitzten, einstweilen jedoch mehr schelmisch als
zornig. Er wußte: da habe die Gegnerschaft sich
gefunden, zu versuchen, im letzten Augenblick
den König umzustimmen, den Zaghaften einzunehmen
auch gegen die Königin, gegen Luise,
die Frau, die in ihm, dem Stein, den Retter sehe!
Einer der bittersten Nörgler der Gaststube
war der Schmaltz, dieser Regierungsrat, dessen
devote Art — der Name sei sinnbildlich wie die
Fistelstimme, mit welcher er daherrede — sich
nicht scheute, Freiheit und Vaterland böse Gedanken
zu nennen, weil sie den Staat gefährdeten
; sie machten den Untertan störrisch, begehrlich
, so daß er aufhöre, der Qberkeit demütig,
gehorsam zu begegnen; er — Schmaltz — werde
eine Schrift verfassen, die den Stein, seinen
Arndt, den Fichte, den Görres, diesen rhein-
ländischen Obernarren mit seinem verfluchten
„Merkur", anprangere; sie seien miteinander
üble Verführer und verdienten, an den nächsten
Bäumen gehängt zu werden!
Der Reichsfreiherr trank bereits den vierten
Bärenfang der Flasche, die der ostpreußische,
glattgeschorene Rundkopf hingestellt hatte. Es
war ihm nachgerade eine Weide, den Ledergesichtern
und Masken, die sich sicher wähnten,
auf den Grund ihres Wesens schauen zu können,
wiewohl er keinen von ihnen sah.
Dies bedenken die Trödler nicht, sann er, daß
Natur und Schicksal zusammenhängen; was sie
bejammern, ist zutiefst die Folge ihres Charakters
; sie sind unfähig, sich selber als die Schuldigen
am Unglück zu sehen; einem tapferen, seiner
selbst sicheren Manne ist es gleich, ob es
ihm gut oder schlecht geht; er fühlt sich im
Unglück weit stärker als im Glück; meine Aufgabe
zwischen diesen Gesinnungslumpen wird
nicht einfach sein; ich weiß es; aber — ich
meistere sie!
Wenn der Stein das Amt wirklich antrete,
zeterte eine der Stimmen, vollende der Untergang
sich; dem großspurigen Kerl sei am König
nicht einmal so viel gelegen wie dem Teufel an
einer armen Seele!
Da riß dem Reichsfreiherrn der Geduldsfaden:
er raffte sich aus der Sofaecke, griff den Stock
und war, schneller als er selber es für möglich
gehalten hatte, vor der zur großen Stube führenden
Tür, stieß sie auf und stand derart plötzlich
zwischen den Schwätzern, daß diese erschreckt
aufsprangen und zurückprallten: es war
keiner unter ihnen, der ihn nicht wiedererkannte!
„Meine Herren", rief er, „ich bin da — der
verhaßte Stein aus Nassau — und morgen beginnt
der andere Tag für Preußen - Deutschland?
Merken Sie sich's! Wer nicht tut, was meine
Stunde fordert, der möge gehen. Pensionen aber
zahlt diese Stunde Nörglern und Besserwissern
nicht!"
Er drehte sich und schritt, so straff es ihm
möglich war, in die kleine Stube zurück, der
Verdatterten nicht weiter achtend. Da gleichzeitig
der Kammerdiener meldete — dem Wirt, der
den blitzschnellen Auftritt der Gaststube miterlebt
hatte, standen die Augen glasig — der
Wagen sei bereit, nahm der Reichsfreiherr die
Flasche Bärenfang und reichte sie dem Wendt.
Dieser Rest, sagte er, sei für ihn und den Kutscher
; er solle ihn gut verkorken; zu Memel
werde es Tage und Nächte geben, die ohne
Bärenfang schwer zu ertragen seien!
Er zahlte, ließ sich den Zylinder geben, saß
bald in seiner Wagenecke und lachte gleich einem
Feldherrn, der den Gegner überlistet und darum
blutlos geschlagen hatte.
Der Kutscher und der Wendt, die sich ihren
Reim auf die Bärenfang-Flasche machten — die
Exzellenz war sonst in derlei Dingen sparsam—,
saßen unbewegt, die erholten Pferde trabten,
das Rad lief gut, und Memel leuchtete im Gold
der Septembersonne.
K Schäfer: 5C Wttt
(1. Fortsetzung.)
Die Töchter des Kanzleiverwalters Klein werden
begierig in das vornehme Haus der Vögel
aus der Ferne gegangen sein. Sie konnten die
Ohren spitzen und dazu lernen, was ihnen noch
fehlte. Der „Abbe" verlieh gerne dem Ganzen
den Glanz der Unschuld. Er selbst erhoffte für
sich klingenden Gewinn und direkten Zugang
zum Säckel der Stadt. War dieser auch schmal
und arm, so war doch die Güte des künftigen
Retters der Stadt so reich und mild, auch das
Wenige entgegen zu nehmen. War dann der
letzte Gulden ausgemolken, so würde man schon
weitersehen.
So kann das Hauptstück beginnen. Leider geschieht
hier gleich ein Mißgeschick: Die Zunftmeister
, auf die sich de Wert als seine Zeugen
beruft, vergessen die ihnen zugedachte Rolle
und denken nur an ihren eigenen Vorteil. Sie
wollen ein Stück Wald ausstocken, dabei ist
ihnen der Waldmeister Engist im Wege. So
klagen sie ihn der Selbstsucht an. Er versehe
neben dem Amt des Waldmeisters noch das eines
Baumeisters und nehme insbesondere der Bür-
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