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heiligen Köln alle Glocken zum Aveläuten an
und erfüllten die Luft wie mit einem Jubel-
gebrause.
Und da, im plötzlichen Gewoge der Töne, da
war es, daß dem Johannes die Zunge gelöst ward,
und wie eine reife Frucht vom Baume fällt, so
ohne alles Mühen und Wehren kam es wie in
Geistes verlorenheit von Taulers Lippen:
Uns kommt ein Schiff gefahren,
es bringt uns süße Last,
darauf viel Engelscharen,
und hat ein* hohen Mast.
Wie erschrocken stand der Gottesmann, und
wie ein Knabe, dem eine Kostbarkeit entfallen
ist, sich schleunigst bückt, sie wieder aufzuheben,
so nahm Johannes die Strophe zugleich noch einmal
auf und genoß jedes Wort mit zitternder
Seele. Und wie aus einem Stengel die Blüte, so
kam ihm nun die zweite Strophe:
Das Schiff kommt uns geladen,
Gott Vater hafs gesandt,
es bringt uns hohe Gnaden,
Christ, unseren Heiland.
Im selben Augenblick machte das Schiff eine
Wendung und hielt aufs Ufer zu, und, als könne
es gar nicht anders sein, ging der Fluß der
Strophen weiter:
Das Schiff kommt uns geflossen,
das Schifflein geht ans Land,
hat Himmel aufgeschlossen,
den Sohn herausgesandt.
Danach aber, wie ein Strom, der einmal ins
Fließen gekommen ist und kein Aufhalten duldet
, fügte sich die vierte und fünfte Strophe an,
in der Johannes Tauler vor dem Kindlein kniete:
Emil Baader:
Schön sind die Abende im Advent. Die Familien
sitzen friedlich, länger als in anderen
Jahreszeiten, beim Lampenschein beisammen.
Es wird erzählt und gelesen, gesponnen und
gesonnen. Vergessene Sagen und Märchen werden
erzählt, alte traute Lieder erklingen —
Weihnachten dämmert fern und festlich herauf.
Da und dort kommt die schöne Sitte wieder
auf, daß an Weihnachten fromme Krippenspiele
von der Dorfjugend aufgeführt werden. Wichtig
ist die Auswahl des Spiels; daran scheitern viele
Bemühungen. Viele neue Spieltexte haben die
Schönheit mittelalterlicher Spiele verloren. In
jüngster Zeit wurde von verschiedenen Seiten
der Versuch gemacht, die schönen alten Weihnachtsspiele
, wie sie einst allenthalben in
Deutschland bis hinunter nach Tirol, zumeist in
den Kirchen aufgeführt wurden, aus dem Dunkel
der Bibliotheken wieder ans Licht zu heben und,
Hier liegt es in der Wiege,
das liebe Kindelein,
sein Aug' glänzt wie ein Spiegel,
gelobet muß es sein.
Maria, Gottes Mutter,
gelobet mußt du sein,
Jesus ist unser Bruder,
das liebe Kindelein.
Und immer noch stand das Schiff. Johannes
faltete die Hände über der Brust und starrte in
das Wunder. Lange, bis die Sonne ihren letzten
Schimmer verhauchte und der graue Schatten,
von unten her kriechend, schließlich die höchste
Spitze des Schiffes in sich aufgesogen hatte.
Gleichzeitig warf das Schiff den Anker und die
Schiffer taten mit all dem Getöse ihres rauhen
Gewerbes, was nötig war.
Da erwachte auch Johannes aus der Welt, in
die er sich verloren hatte, und er stand einen
Augenblick ernüchtert wie ein aus dem Paradies
Verstoßener. Was war geschehen? Doch da stieg
es jubelvoll in ihm auf, ein Lied war zu ihm
gekommen: „Uns kommt ein Schiff... ", ja, so
hieß es. Wie ging's nur weiter? „Bis an den
höchsten Bord . .. Hier liegt es ... " Ach, und
o Wunder, es sang sich von selbst, die Weise war
da, mit dem Lied geboren, floß dahin wie das
Schifflein, stach mit seinem Höhepunkt wie ein
Schiffsmast in den Himmel hinein, malte das
Gewimmel der Englein und kehrte, ach so demütig
, in ihren Anfang zurück.
Ringsum dunkle Nacht, Johannes aber tat
sein Lied in den wärmsten Winkel seiner Seele
und barg es dort, wie eine Mutter ihr Kindlein.
Ihm war es hell, trotz aller Dunkelheit. Langsam
, ganz langsam ging er heimzu, schaute
immer wieder einmal auf seinen Schatz, wie
eine junge Mutter hinter die Vorhänge eines
Kinderbettleins. Aus: Tellus Bogen, Tellus - Verlag, Essen
soweit möglich, umzugießen in unsere neuhochdeutsche
Sprache, ohne der Schönheit der Spiele
Abbruch zu tun.
So hat uns Gustav Schroer ein prächtiges
„Christgeburtsspiel" neu geschenkt, das aus
Oberufer bei Preßburg stammt. Wilhelm Fladt
gab ein altes Schwarzwälder Weihnachtsspiel in
alemannischer und hochdeutscher Sprache, sowie
das alte Freiburger Weihnachtsspiel neu heraus
(Verlag Heimat und Volksleben, Freiburg i. Br.).
Das wirkungsvollste Weihnachtsspiel ist das
„Gotteskind" (das der Sternsinger beginnt und
die drei Freudigen beschließen). Der kürzlich in
Heidelberg verstorbene Dichter Emil Alfred
Herrmann hat dieses Spiel nach alten Texten
und Liedern bearbeitet. Das „Gotteskind" ist auf
der Bühne der Großstadt ebenso wirkungsvoll
wie auf der Dorfbühne (Verlag Eugen Diederichs,
Düsseldorf).
Höinterabenfce auf htm jöovf
Alte Volks- und Weihnachtsspiele
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