Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fs
Hebelbund Müllheim [Hrsg.]
Die Markgrafschaft: Beiträge aus Geschichte, Kultur und Wirtschaft des Markgräflerlandes
9. Jahrgang, Heft 11/12.November/Dezember 1957
Seite: 6
(PDF, 9 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-11-12/0008
Richard Nutzinger:

(1. Fortsetzung.)

Kurze Geschichten aus einer langen Sippe

3. Der junge Matthias tritt
in die Welt

Nicht mehr lange konnte freilich der wackere
Scherbaum für seinen Göttbub mehr wirken,
schon ein Jahr darauf ging der noch nicht Fünfzigjährige
aus dieser Welt. Er hatte offenbar
seine Lebenskraft allzusehr verausgabt, denn er
war seiner Brombacher Gemeinde nicht nur der
treffliche geistliche Betreuer, sondern auch ihr
praktischer Wiederaufbauer. Die Verwüstungen
des langen Krieges in der Kirche konnte er nicht
mitansehen und man weiß von ihm, daß er mit
eigener Hand und großer Tatkraft die Kirchenbänke
und Fenster ausbesserte, und mit den
wenigen Handwerkern, von denen er der fleißigste
war, instandsetzte. Immerhin hatte dies
eine Jahr genügt, dem Matthisli alle Türen für
seine Zukunft aufzustoßen und ihm alle Wege
zum Pfarrerberuf durch seine alten Beziehungen
zum Fürstenhof zu ebnen. Und der Matthias vergoß
mehr Tränen am Grabe seines treuen Götti,
der ihm ein rechter geistlicher Vater gewesen
war, als im Jahr zuvor am Grabe seines leiblichen
Vaters.

Zwei Jahre später finden wir den fast Achtzehnjährigen
als Studenten der Theologie auf
der hohen Schule zu Straßburg, wo er mit wahrem
Heißhunger die Wissenschaften in sich aufnahm
. Der Markgraf schien an Scherbaums
Patensohn alle die Dankbarkeit verschwenden zu
wollen, die er seinem einstigen Lehrer nicht
mehr hatte vergelten können. Und keinem Unwürdigen
spendete er diese großzügige Wohltat
eines Stipendiums. Seine Kommilitonen hatten
es nicht schwer, ihm den Übernamen Simson beizulegen
, wie es früher schon im Geheimen die
Mutter, freilich in tieferem Sinne getan hatte.
Denn den Mitstudenten fiel zunächst die außerordentliche
Körperstärke und die gewaltige Statur
ihres Flachslands auf. Gelegentlich eines
gemeinsamen Bummels nach Sesenheim hinaus
galoppierte ein losgerissener Farren auf die Studentengruppe
zu, die in wilder Angst auseinanderstob
. Der Einzige, der standhielt und sich dem
Deserteur in den Weg stellte, war Matthias, und
er packte ihn bei den Hörnern, brachte ihn zum
Stehen und händigte ihn dem nacheilenden
Eigentümer wieder aus. Es sei bezeichnend für
den Flachsland, meinten die Kollegen; was er
hier getan, das tue er an sich selbst auch: er
packe den wilden Stier an den Hörnern und
zwinge ihn nieder, so wie seinen Mangel an
Kinderstube, sein ganzes widerborstiges Wesen,
und versuche, es in Zucht zu bringen. Sein ganzer
Eigenwille schien sich in der Tat in dem
eifrigen Bestreben zusammenzuraffen, über alle
Schwierigkeiten, die dem schwerfälligen Bauernburschen
eigen waren, Meister und über sich
selbst Herr zu werden. Vor allem mit einem
Mittheologen gleichen Vornamens, dem Kummer,
hatte er sich befreundet, und da dessen Vater
Zöllner gewesen war, nannte man die beiden

Matthiase, um sie zu unterscheiden, den Zöllner
und den Sünder.

Nach beendetem Studium machte er ein sehr
gutes Examen, aber ehe es sich der Markgraf
versah, hatte man seinen Günstling nach Frankfurt
als Korrektor geholt. Dort vergaß indes
Matthias seinen hohen Gönner nicht und widmete
ihm als bescheidenen Dank eine „Neue,
schriftgemäße, grundrichtige Zeitrechnung vom
Anfang der Welt bis zur Endschaft der siebzig
Wochen Daniels". Flachsland hatte sich mit dieser
Arbeit auf ein eigentümliches Beschäftigungsgebiet
begeben, einer Errechnung der zu erwartenden
Endzeit, wie solches zumeist von den
Sektierern aller Zeiten immer wieder aufgegriffen
wird. Wiewohl der Markgraf wohl mit diesem
von dem jungen Heißsporn zusammengestellten
Kalender nicht viel anzufangen wußte,
beeilte er sich doch sehr, den Matthias wieder
in sein Ländchen zurückzuholen und übertrug
im Jahre darauf dem Fünfundzwanzig jähr igen
die Pfarrei Haslach bei Freiburg, die dieser dann
vier Jahre später mit dem nachbarlichen Wolf en-
weiler vertauschte. Und Matthias war froh, wieder
in seiner alten Heimat zu sein.

4. Der Matthias geht seinen Weg

durch die Welt

Sechs Jahre hielt es ihn hier in diesem trauten
Markgräfler Dörfchen, da zog es ihn noch
näher in seine angestammte Heimat, und die
Sohnespflicht trieb ihn zur Mutter. Er bewarb
sich um die recht kärgliche Pfründe Tegernau im
kleinen Wiesental, von wo er mit seinen langen
Schritten in zwei Stunden in Haagen bei der
Mutter sein konnte, die das Lehehsgut in Hauingen
aufgegeben und bei ihrem Bruder Jerg ein
gar kümmerliches Dasein führte. Oder war es
sein eigenes unruhiges Blut, das ihn umtrieb und
nirgends länger aushalten ließ? War es gar die
Nähe der Stadt Basel mit ihren alten Bibliotheken
, die er so gerne durchstöberte? Wir wissen
es nicht. Doch scheint seine Ehe, die er dort mit
einer Tegernauer Bauerntochter einging, ihn
etwas seßhafter gemacht zu haben. Denn zehn
Jahre hielt er dort aus und schrieb und forschte
und dichtete mit unermüdlichem Fleiß. Dazu
aber bedurfte er eben dieser alten Pandekten-
sammlungen zu Basel, wohin er den dreistündigen
Weg gar oft des Morgens unter die Beine
nahm, sich seinen fleißigen Studien in alten
Büchern hingab, um des Abends wieder die
gleiche Strecke hinter sich zu bringen. Dabei
versäumte er nie,. seine alte Mutter zu besuchen,
deren einzige Freude im Alter das allwöchentliche
Hereinschauen ihres Matthias war. Da erlitt
aber dieser Wochenbesuch bei der Mutter jäh
eine peinliche Unterbrechung. Der Sonnenkönig
Ludwig XIV. hatte seine Heere ausgeschickt, die
deutschen Nachbarlande zu bekriegen. Die stolze
Burg Rötteln war ihm ein Hindernis auf diesem
glorreichen Feldzug, und sie wurde nach halb-

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