Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fs
Hebelbund Müllheim [Hrsg.]
Die Markgrafschaft: Beiträge aus Geschichte, Kultur und Wirtschaft des Markgräflerlandes
9. Jahrgang, Heft 11/12.November/Dezember 1957
Seite: 20
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1957-11-12/0022
Walter Küchlin:

„Jdj bin uergnügt in meinem Reigen.../

Ein Lehrerschicksal vor zwei Jahrhunderten

Im Haus der jungen Lehrersleute in Grötzingen
bei Karlsruhe herrschte Freude und Aufregung
. Ein Stammhalter war angekommen!
Vater Zilly, der erst vor Jahresfrist, am 2. Mai
1727, als Schulmeister hierher versetzt worden
war, betrachtete seinen ersten Sproß voll Stolz.
Johann Jacob werde er heißen, wie er, darüber
waren sich beide Elternteile einig.

Johann Jacob blieb nicht allein. In regelmäßigen
Abständen traf Verstärkung ein und
den guten Eltern wurde der „gehäufte Kindersegen
" allmählich zu einer ernsten Sorge, zumal
die ohnehin spärlichen Bezüge für den Schul-
und Sigristendienst zugunsten des nach Karlsruhe
versetzten Vorgängers um neun Malter
Dinkel und 2V2 Ohm Wein verkürzt worden
waren. Alle Eingaben Zillys, diesen Übelstand
abzuschaffen, blieben zunächst erfolglos, obwohl
sich die Gemeinde und der Geistliche öfters für
ihn einsetzten. Dabei stellten sie dem kinderreichen
Vater die besten Zeugnisse aus und lobten
seinen Fleiß und seine Kenntnisse. So wuchs
denn Johann Jacob, zusammen mit seinen kleineren
Geschwistern, in ärmsten Verhältnissen
auf und lernte schon früh und am eigenen Leibe
die Leiden und Freuden eines Dorfschulmeisters
kennen.

Er war ein unglückliches Mittelding im sozialen
Gefüge, der Schulmeister damaliger Zeit.
Den Bauern war er zwar geistig überlegen, aber
wirtschaftlich schwächer als sie. Dem aufsichtführenden
Geistlichen war er oft geistig nicht
gewachsen. Dazu kam seine persönliche Abhängigkeit
, die durch den lange Zeit mit dem
Schuldienst gekoppelten Sigristendienst (Mesnerdienst
) noch verstärkt wurde. Er war, um im
Gleichnis zu reden, dazu bestimmt, Gold zu tragen
und mußte sich von Disteln ernähren.

Als Johann Jacob seine eigene Schulzeit
durchlaufen hatte, blieb er weiterhin bei seinem
Vater und paukte den Schülern, mit denen er
eben selbst noch die Schulbank gedrückt hatte,
sein bescheidenes Wissen ein. Am schulfreien
Nachmittag zeigte ihm der Vater dann bisweilen,
wie die Orgel fachgerecht zu „schlagen" sei. Er
förderte ihn auch in einer Art Schmuckschrift
und in anderen Techniken, die über das Maß
des Üblichen hinausgingen. So wurde der Junge
mit allem vertraut gemacht, was ein Dorfschulmeister
in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
an Kenntnissen und Fähigkeiten aufzuweisen
hatte.

Das Unglück wollte es, daß der Vater 1749
im Alter von 47 Jahren nach kurzer Krankheit
verstarb. Er hinterließ eine Witwe mit sieben,
größtenteils unmündigen Kindern. Völlig mittellos
stand die verzweifelte Mutter nun von einem
Tag zum andern da. An eine Witwenrente war
zu damaliger Zeit nicht zu denken. Wenn
es nicht gelang, die Grötzinger Stelle durch
die beiden ältesten Söhne Johann Jacob und
Christian zu besetzen, so war ihnen allen der

Bettelstab sicher, zumal das großväterliche Erbe
während der Notzeiten völlig aufgezehrt worden
war. Die schier untröstliche Witwe, der Orts-
geistliche und die Gemeinde baten den Markgrafen
in getrennten Schreiben darum, die beiden
ältesten Söhne mit dem verwaisten Schuldienst
zu betrauen. Sie erhielten zunächst keine
Zusage. Erst ein zweites Gesuch gab den Ausschlag
. Die Gemeinde ließ darin durchblicken,
daß sie seit Menschengedenken keinen so guten
Lehrer gehabt hätte, als den verstorbenen Zilly.
Seine beiden ältesten Söhne wurden ebenfalls
sehr gelobt, waren sie doch schon neben dem
Vater seit Jahr und Tag in der Schulstube
gestanden.

Zur größten Freude der Mutter erhielten sie
den begehrten Grötzinger Schuldienst und hätten
ihn bei ihren guten Fähigkeiten noch lange behalten
können, wenn...!? Ja, wenn nicht Johann
Jacob Zilly den Wein so gerne getrunken hätte.
Das Trinken war früher, wie aus Visitationsprotokollen
und anderen schriftlichen Quellen
zur Genüge bekannt ist, ein weit verbreitetes
Laster. Das sei zur Verteidigung Zillys gesagt.
Aber als Schulmeister und Sigrist hatte er eben
ein untadeliges Leben zu führen, wenn auch in
aller Armut.

Als er eines Tages wieder einmal betrunken
nach Hause kam, entwickelte sich eine kleine
Schlägerei zwischen ihm, seinem Bruder Christian
und der erbosten Mutter. Zilly wußte im
Suff nicht was er tat, zog seine Mutter bei den
Haaren und schlug ihr mit einem Stück Holz auf
die Hand. Ein Grötzinger Bürger, der aus der
Nachbarschaft zur Hilfe herbeigeeilt war, berichtete
den peinlichen Vorfall noch am selben
Abend dem Pfarrer. Der machte als Dienstvorgesetzter
unverzüglich Meldung ans Oberamt
und nun kam es, wie es kommen mußte. Eine
Kirchen- und Schulvisitation wurde gehalten und
alles aufs genaueste aufgenommen. Der Bitte
der Mutter, Gnade vor Recht walten zu lassen,
oder wenigstens die Stelle dem Zweitältesten
allein zu übertragen, wurde kein Gehör geschenkt
. Als man am 8. September 1751 die
formelle Amtsenthebung von Seiten des Oberamts
vornehmen wollte, war Johann Jacob geflohen
. Diese unüberlegte Handlung sollte man
ihm nicht so schnell wieder vergessen. Monatelang
war er verschollen. Niemand wußte, wo er
sich aufhielt. Erst 1753 tauchte er in Dürrn bei
Pforzheim wieder auf. Hier schien ein 72jähriger
Lehrer mit seiner noch ledigen Tochter geradezu
auf ihn zu warten. Auch Zilly, der inzwischen
völlig mittellos umhergeirrt war, mußte sich
glücklich schätzen, endlich ein Plätzchen gefunden
zu haben, an dem man ihn mit offenen
Armen aufnahm. Der altersschwache Dürrner
Lehrer sah in ihm nicht nur eine tüchtige Hilfe
in der Schule, sondern erhoffte sich auch den
lange begehrten Schwiegersohn, der seine nicht
mehr junge Tochter ehelichen könnte. Damit, so

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