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Richard Nutzinger:
(Schluß.)
Kurze Geschichten aus einer langen Sippe
6. Auch die späteren Flachslands
kommen und gehen
Wieder hängt die Nachkommenschaft der
Flachslands an dem dünnen Faden des einen,
des Rudolfs. In kluger Vorsorge hatte Matthias
ihm als Ehefrau die Dorothee Mauritii verschafft
und auch noch erleben dürfen, daß sich die
Stammfolge durch zwei Buben verdoppelte, ein
Johann Friedrich und einen Martin. Sie wuchsen
im Pfarrhaus zu Weitenau auf, wohin der Vater
versetzt worden war, und wurden da im lieblichen
Seitental der Wiese fröhliche Burschen.
Keiner der beiden dachte freilich daran, die
Folge der Pfarrer fortzusetzen; der jüngere, der
Martin, hatte seine Freude an den Wäldern und
wurde Förster, und Johann Friedrich entschloß
sich zur Rechtsgelehrsamkeit. Schon die Studienzeit
seiner Söhne erlebte Vater Rudolf nicht
mehr, und Frau Dorothee ließ es sich angelegen
sein, die Burschen zu rechten Männern zu erziehen
. Als sie einmal von ihrer Schwägerin, der
Ehefrau des Pfarrers und Hofrats Mauritii in
Karlsruhe, in ihrem stillen Winkel Besuch erhielt
, verliebte sich Johann Friedrich jäh in seine
Kusine Rosine. So sehr die Mutter es wünschen
mochte, daß ihr Ältester eine Pfarrerstochter zur
Frau bekam, so sehr erschrak sie doch darüber,
daß hier eine so nahe Verwandtenehe zustande
kommen könnte. Aber es war kein Zurück mehr
möglich, auch nicht, als Rosinens Vater streng
dawider sprach; Johann Friedrich schrieb flammende
Briefe an seine Kusine — und je größer
der Widerstand war gegen ihre Verlobung, um
so enger schlössen die beiden sich aneinander, so
daß der Mutter Johann Friedrichs und den
Eltern Rosinens nichts mehr übrig blieb, als,
wenn auch schweren Herzens, ihr Jawort zu
dieser Verbindung zu geben. Johann Friedrich
strengte sich mit aller Kraft an, bald seinen
Juristenberuf zu ergreifen und eine Familie
gründen zu können, und damit ihm von hofrät-
licher Seite nicht mehr dazwischen gefahren
werden konnte, ging er in württembergischen
Dienst und trat seine erste Stelle in Reichenweier
in der schwäbischen Enklave im Elsaß an,
wohin er auch seine Rosine holte. Die Ehe war
reich gesegnet mit vier Buben und vier Mädchen
, von denen eine noch eine besondere Rolle
auf der Schaubühne der Welt spielen sollte.
Weniger glücklich war Martin mit seinen
Nachkommen. Im Sohn brach das alte Wanderblut
des Großvaters durch, er war ein unsteter
Mann. Sein Sohn Hermann wiederum ergriff die
Offizierslaufbahn, gab sie bald wieder auf und in
seinem Werkchen „Moderne Odyssee" beschreibt
er sein unruhiges Umhertreiben. Dessen Sohn
wieder hält es überhaupt nicht in der Heimat, er
wandert aus nach Argentinien; zwei andere
Brüder von ihm, ein Bezirksförster und ein
Obristleutnant, bleiben unverheiratet und sterben
in Lörrach im Flachsländer Hof, der ihnen
gehört. Dem Obristen, der sich eine Kugel durch
den Kopf schoß und der darum noch im Hause
umgehen soll, hat der nachherige Bewohner,
Dr. Hermann Burte, in seinem neuesten Band
„Stirn unter Sternen" mit dem Gedicht „Das
Gespensterhaus in Lörrach" ein sehr plastisches
Denkmal gesetzt:
„Ja, Freund, hier spukt ein Geist im Haus!
Schon wieder zog ein Mieter aus
in Furcht vor den Gespenstern.
Einladend ist er nicht, der Bau,
es liegt so traurig, schwarz und grau
in den verweinten Fenstern.
Auf seine Zeit um Mitternacht,
wenn selten wer im Hause wacht,
geht er durch Wand und Türen.
Tritt er in deinen Raum hinein,
so kannst du bis in Mark und Bein
das kalte Wehen spüren.
Er war im Leben Offizier
und baute nach dem Abschied hier
den Hof im Wiesengrunde.
Nun haust er hoch im Giebelstock
und macht gestreng im bunten Rock
wie früher seine Runde.
Ich bin schon lang mit ihm versöhnt.
Ein Dichter, wie du weißt, gewöhnt
sich leicht an andre Geister.
So mit der Zeit, da gibt es sich,
da wird er blaß, der Trennungsstrich,
und unsre Sprache dreister.
Ich sagte lachend, laß, intim,
drei Schritt vom Geiste weg, zu ihm:
„Herr Oberst, auch noch munter?"
Er murmelt was von Zivilist,
Poetenwitz und Pferdemist
und schwebt eiskalt hinunter.
Es weht ihn an die Stelle hin
auf dem Parkett vor dem Kamin:
Da bückt er sich zu Boden
und starrt auf einen dunklen Fleck,
den fegt kein Eisenspan hinweg,
Dann holt er seufzend Odem.
Es denkt ihm der Manövertag,
als hier im Tal die Truppe lag
und er sich eingeladen
zu Tisch vom lieben Regiment
— Vom Leib- und Seelenregiment! —
die Herren Kameraden.
Da war's, da wurde windenweh
dem alten Offizier a. D.
beim lustigen Gläserheben!
Die andern rüstig und gesund
und er, ade, ein kranker Hund —
Herrgott, heißt das denn Leben?
Man blies den Hirsch im wilden Forst —
da ließ der stolze Widerborst
die hellen Tränen fließen,
und wie die Letzten fortgemußt,
da packte ihn die irre Lust,
sich aus der Welt zu schießen.
Als er allein am Tische saß,
hier auf der Stelle, da geschah's
beim Abschied ins Manöver. —
Und auch der Geist darf nicht hinaus,
es haftet im verwünschten Haus
der tote Leinenhöfer.
„Unheimlich!" — Nein! — Ich sehe gern
in seiner Uniform den Herrn
so durch die Zimmer schweben.
Ich ziehe nur, wenn er mich heißt.
Als Dichter kann man ohne Geist
zuletzt einfach nicht leben!
(Mit Erlaubnis des Dichters abgedruckt.)
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