Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1958-01/0009
7. Eine kleine Flachsland kommt

in die große Welt

Drüben aber in Reichenweier lebt durch die
achtköpfige Kinderschar des Johann Friedrich
eine hoffnungsvolle Nachkommenschaft. Wir
wissen von den vier Söhnen nichts mehr. Sind
es die Flachslands, die sich später Flaxland
schreiben und von denen einer als Offizierssohn
um die Mitte des vorigen Jahrhunderts als
württembergischer Pfarrer wieder erscheint? Ist
der Flaxland in München, der sich wieder besonders
um seine Ahnenreihe bemüht hat, ein
Nachfahre aus dieser Reihe? Nur von der zweiten
der vier Töchter des Johann Friedrich und
der Rosina Mauritii sind wir näher unterrichtet,
die noch in eine große Welt eingetreten ist. Der
Vater ist als Amtmann in Reichenweier früh
gestorben und ließ seine Rosine mit den meist
noch unmündigen Kindern zurück. Zum Glück
hatte sich die älteste Tochter mit einem Herrn
von Hesse, der bald Staatsminister wurde, in
Darmstadt gut verheiraten können und bewog
die Mutter, mit ihren Kindern aus Reichenweier
nach Darmstadt überzusiedeln. Hier fand die
noch rüstige Witwe für sich und die Kinder eine
sehr freundliche Aufnahme, ein trautes Heim
und eine für die einstige Hofratstochter angemessene
Umgebung und Gesellschaft, vor allem
im Hause des Staatsrats Merck. Rosine gefiel sich
darin, auch ihre jüngere Tochter Karoline in
diesem Kreise einzuführen, von der sie immer
deutlicher bemerkte, wie altes Flachslandblut
mit seinen Vorzügen, aber auch bedenklichen
Nachteilen in ihr pulste.

Bei einer solchen Abendunterhaltung in der
Familie Merck sollte für Karoline, die eben
20 Jahre zählte, die Entscheidung ihres Lebens
eintreten. Zu dieser Soiree war ein junger, zu
kurzem Aufenthalt in Darmstadt anwesender
Dichter, Gelehrter und Theologe, der damals
trotz seiner Jugend bereits einen bedeutenden
Namen hatte, eingeladen, Johann Gottfried Herder
. Er war als Erzieher des Prinzen von Eutin
und in Begleitung von dessen Hofmeister für
wenige Tage bei Merck abgestiegen, und ihnen,
vor allem Herder — denn der Prinz war ein
wenig verblödet — sollte der Empfang gelten.
War es die vielgerühmte Liebe auf den ersten
Blick, durch den zwei junge Herzen sich fanden?
Wie oft ist solche Liebe auf den ersten Blick
eine optische Täuschung! Die Abendunterhaltungen
wiederholten sich noch zweimal. Und ein
Abendspaziergang von Herder mit Karoline
Flachsland und ein Kuß besiegelten einen Bund
für ihrer beider Leben.

Wohl galt es für die beiden noch zu warten,
und zwei dicke Bände von Briefen überbrücken
die Sehnsucht der Liebenden innerhalb dieser
drei Jahre. Karoline empfand es wohl aus den
geistig außerordentlich hochstehenden Briefen
ihres Gottfried, daß sie ihm geistig längst nicht
gewachsen war. Aber merkte es Herder denn gar
nicht, wie wenig sie ihn wirklich verstand und
wie sie diesen Mangel hinter einer getäuschten
Traurigkeit über ihre mangelnde Bildung zu
verbergen verstand? Liebe macht blind. Diese

Korrespondenz ist uns indes gerade vqn Herders
Seite her sehr aufschlußreich: Er berichtet über
seine Tätigkeit in Straßburg, sein Bekanntwerden
mit Goethe, der zu seinen Schülern zählt
und voll Verehrung zur feurigen Größe seines
Lehrers emporblickt. Er teilt mit, wie er endlich
seine Prinzenerziehung aufgibt, weil ihm ein
besseres Angebot gemacht wird vom Grafen von
Schaumburg-Lippe, in Bückeburg Konsistorialrat
und des Fürsten Ratgeber und geistiger Betreuer
zu werden, wie er aber, dorthin übergesiedelt,
der Karoline gleich eröffnet, daß dies kleine
Ländchen auf die Dauer nie die Werkstatt seines
Geistes sein kann, sondern wie er sich zurücksehnt
nach Riga, wo er die ersten Lorbeeren
seines Ruhms geerntet hat und wo ihm -Tor
und Tür offen stehen zu einer seinem Streben
gemäßen Tätigkeit. Karoline ihrerseits, klug
genug, um auf die ehrgeizigen und hochfliegenden
Pläne ihres Zukünftigen einzugehen, läßt
durch ihre Briefe immer wieder die Freude
durchklingen auf ihre baldige körperliche Vereinigung
, und sie wolle ihm lauter Söhne schenken
, die genau so sein sollten wie der Vater.

Endlich — es war am 2. Mai 1773 — findet
in Darmstadt in der „Abendröte", jener Stunde
des ersten Kusses, die Trauung der beiden statt,
die nun auch in Bückeburg ihr Nest bauen.
Allein was wird in kurzer Zeit aus diesem Gottfried
Herder? Eben noch ein flammender Jüngling
, Philosoph und Dichter, sinkt er zum trockenen
Spießbürger herab bei diesem despotischen
Grafen Wilhelm, der, Herders Ideen gerade entgegengesetzt
, nur das Steckenpferd militärischer
Rekrutenausbildung und des Baues einer Wasserfestung
reitet, aber für die geistigen und kirchlichen
Belange nie Geld hat. Wohl kann Herder
mit Mühe und Not eine grundlegende Reform
im verlotterten Kirchenwesen von Schaumburg-
Lippe durchführen, aber diese Beschäftigung
befriedigt ihn nicht. Je gehemmter daher Gottfrieds
Wirken in seinem geistlichen Berufe nach
außen hin ist, umso mehr sucht er den Ausgleich
im eigenen Hause und Karoline ist des sehr
zufrieden, zumal auch schon die ersten beiden
Buben ankommen. Und in der frommen Gräfin
Maria, die in allem das Gegenstück ihres Gatten
ist, finden sie eine mütterliche Freundin, ja
einen „Engel". Als aber diese edle Frau, nachdem
sie zum Leidwesen des Grafen nur ein
Mägdlein zur Welt bringt und sie bald darauf
mit ihrem Neugeborenen stirbt, da ist auch für
Herder nicht mehr des Bleibens in dieser engen,
kleinbürgerlichen Welt.

8. Die große und die kleine Welt

Der nunmehrige Geheime Rat von Goethe zu
Weimar war es gewesen, der seinen früheren
Lehrer aus Straßburg dem Fürsten empfohlen
hatte, und Herder nimmt dies Angebot mit
Freude an, obwohl bereits Verhandlungen mit
der Universität in Göttingen wegen einer etwaigen
Versetzung dorthin im Gange sind. Aber
Herder und wohl auch Karoline hängen mehr an
der Ausübung des geistlichen Amtes als an einer
Professur. So kommen sie an einem Herbsttag

7


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1958-01/0009