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Eine Schale Nuß und Brot
Und die Freunde in der Runde.
Ein Krug Wein noch tut uns not
Für die gute Abendstunde.
Ein Tabak mag auch nicht fehlen
Zu Gespräch und schweigsamsein.
Weiter braucht es nichts als Seelen,
Die sich gern der Stille weih'n.
Für ein Stündlein oder drei
Geht die Zeit, die nie vergeht,
Weil sie aus dem Einerlei
In den Herzen stillesteht.
Walter Franke
in Weimar an, Vater Herder mit dem kleinen
August an der Hand, während Karoline den
Zweitgeborenen noch auf dem Arm trägt. Der
Empfang ist sehr herzlich, der Großherzog selbst
mit Goethe zusammen ist beim Willkomm des
neuen Konsistorialrats anwesend. Die alten
Freundschaftsbande von Straßburg her sind bald
wieder geknüpft, und Herder glaubt sich an der
rechten Stelle, wo er dichterisch und kirchlich
nach seinen Gaben wirken kann. Aber Karoline
überwacht mit einiger Eifersucht das treuherzige
Einverständnis ihres Gatten mit Goethe und
glaubt, als Herder so ganz in seinem neuen Aufgabenkreis
aufgeht, ihr würde die ihr zustehende
Liebe durch diesen Freundschaftsbund vorenthalten
. Mit scharfem Auge beobachtet sie Goethe
und die Frauen um ihn und bedeutet ihrem
sittenstrengen Gottfried die Leichtfertigkeit dieses
Umgangs des Herrn Geheimen Rats, und wo
immer sie kann, sät sie Zweifel und Mißtrauen
gegen den am Hof so mächtigen Goethe. Und
Herder seinerseits muß allmählich mit leiser
Bitternis feststellen, daß sein einstiger Schüler
Wolfgang Goethe weit über ihn hinausgewachsen
ist. Als er gar erkennen muß, daß sich Goethe
eng mit dem Friedrich Schiller in Jena verbündet
, schlägt seine Freundschaft zu ihm in kühle
Abneigung um. Karoline hat erreicht, was sie
wollte: Gottfried schließt sich wieder enger an
sie und die Familie an, und die beiden bilden
einen stillverschworenen Bund gegen die beiden
Größeren. Goethe und Schiller belachen bisweilen
diese unlösbare „Zweieinigkeit" der Gatten.
Aber im Herderschen Hause wachsen auch die
Sorgen: Gottfried ist nicht immer bei bester
s Gesundheit, und die Kinderzahl — wirklich
nach Karolinens Wunsch fast immer Buben —
vermehrt sich stark. Der Großherzog hat seinem
Konsistorialrat daraufhin trotz knapper Kasse
ein Kindergeld zugesichert, auf das Herder aber
erst großzügig verzichtet, aber nach Jahren will
er es plötzlich rückwirkend vergütet haben. Diese
Forderung, die Goethe seinem alten Freunde zulieb
selbst bei Hofe vorträgt, bringt, den Fürsten
in peinliche Verlegenheit, und Karoline steht
nicht an, bei ihrem Gottfried — ganz zu Unrecht
— Goethe als den Mann zu bezichtigen,
der ihm diese Summe vorenthalten will. Herder
bekommt dann das Geld doch ausbezahlt, und
Goethe setzt es sogar beim Großherzog durch,
daß Herder nach ihm eine Italienreise unternehmen
darf und in den Adelsstand erhoben
wird. Auf dieser Reise scheint Herder noch einmal
aufzuleben und gesund zu werden; er
schreibt sehr beglückte Briefe an seine Karoline,
die jedoch nicht aufhört, sich bei ihrem fernen
Gatten über einen Mann zu beklagen, der ihr
das Leben sauer mache. Auch dieser Vorwurf
ist unberechtigt, denn Goethe — und den meint
sie mit dem Mann — hat sich in Herders Abwesenheit
väterlich der Familie angenommen.
Vor allem das Verhältnis Goethes zu Christiane
Vulpius erregt Karolinens heftiges Ärgernis,
und sie berichtet dem heimgekehrten Gatten mit
hitzigen Worten von diesem „Skandal". Herder
eilt in heiligem Zorn zu Goethe, der sich schon
auf das Wiedersehen mit dem alten Freund aufrichtig
gefreut hatte, aber der hat statt eines
Dankes und Grußes nur einen vernichtenden
Vorwurf gegen Goethe bereit, worauf sich der
Geheime Rat umkehrt und keine Antwort mehr
gibt. Das war die letzte Begegnung der beiden
einstigen Freunde. Wenige Tage darauf wird
Herder von seinem alten Leiden doppelt heftig
befallen. Noch steckt er voll Ideen, und sein
Geist ist lebendig, und er wundert sich, daß sein
Leib nicht mehr kräftig genug ist. Aber seine
Seele, die aufgespalten war zwischen der
Freundschaft zu Goethe und der Liebe zu
Karoline, und die sich in kleinlichem Unmut
verzehrt hatte, hatte seinen Körper zersetzt, und
nach zwei Monaten schied er aus dem Kreis
seiner Familie, noch nicht ganz sechzig jähr ig.
Karoline hat eine eingehende Lebensbeschreibung
ihres Gatten aus vielen Briefstellen, Aussprüchen
und Niederschriften zusammengestellt.
Man liest sie nicht ohne Wehmut und ohne den
spürbaren Eindruck einer unbewußten Entschuldigung
an ihren Gottfried für ein im Grunde
doch verfehltes Leben eines großen Mannes
neben einer kleinen Frau, die, statt ihm in die
große Welt zu folgen, ihn allzu sehr in ihre
kleinliche Welt hinabgezogen und gebannt hat.
Als sie sich die Schriftstücke zu dieser Biographie
zusammensuchte, kam ihr ein Büchlein in die
Hand, das sie kurz zuvor von Goethe als Gruß
aus ihrer Väter Heimat überkommen, aber unbeachtet
beiseite gelegt hatte: die von ihm im
Frühling des Sterbejahres Herders rezensierten
alemannischen Gedichte Johann Peter Hebels.
Sie legte sie auch jetzt wieder unmutig weg, wie
sie ja oft im Leben viel Edles und Gutes auf die
Seite geschoben hatte.
So steht am Ende der Flachsland für eine
Nachfahrin doch nochmals das Doppelte fest wie
in den frühesten Generationen: Die Erhebung in
den Adelsstand und so etwas wie die Gestalt
einer Hexe — Schiller hat sie einmal treffend
Madame Luzifer genannt. Im alemannischen
Ursprungsland der Flachsland aber sind wahrer
Adel des Geistes und die schlichte Einfalt des
Herzens rein gepaart, wie sie sich in Johann
Peter Hebel widerspiegeln, aber in den Flachslands
nur in falschem Herzensdünkel gebrochen
zutage treten.
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