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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1958-03/0008
Irma Wolff - Küentzle:

Wattfgtäflec Ötinntcungen

In allen jugendlichen Altersstufen, als Kind,
Backfisch oder junges Mädchen wurde ich zur
Erholung ins badische Oberland nach Müllheim
oder nach Schliengen geschickt. Das starke
Wachstum, blasses Aussehen und Appetitlosigkeit
machten den Eltern und dem Hausarzt
Sorge. Während der Besuch bei den Großeltern
ein ungebundenes Kinderleben auf dem Lande
mit sich brachte, ging das Leben in Müllheim bei
Onkel und Tante in anderer Weise vor sich. Da
mußte man öfter seine Sonntagskleider anziehen;
Besuche mit den Großen wurden gemacht, Einladungen
innerhalb der großen Sippe angenommen
. Der große Garten brachte eine Fülle guten
Obstes. Ein Spielplatz schloß sich an ihn an.
Welch herrliches Paradies. Vornen, unter den
Tannen, wurden die von zu Hause nachgeschickten
Schularbeiten verfertigt — oder auch nicht.
Der getreue Anselm fuhr uns, in flottem Trapp
im Break nach Badenweiler, wo wir im offenen
Becken neben dem Marmorbad schwimmen
lernten. Die Heimfahrt nach Müllheim dünkte
uns in rasendem Tempo zu verlaufen. Viel, viel
später fuhr ich dann mit dem gerade neu eröffneten
Bähnle, das uns glücklich machte. Onkel
Ernst Blankenborn hatte sich bei dessen Gründung
sehr verdient gemacht und wurde daraufhin
Ehrenbürger von Badenweiler.

Manchmal wurde ich als Kind Bekannten
mitgegeben, die nach der Schweiz reisten und
mich in Müllheim absetzten. Die Großmutter
erwartete mich dort mit der Schliengener Chaise,
auf dem Bock der freundlich blickende Kutscher.
In ruhigem Trapp ging es die Pappelalle hinunter
bis zur Landstraße, an schönen Nußbäumen
vorbei. Links grüßten das Dörfchen Hach
und die hoch gelegene Kirche von Auggen das
ferienselige Kind. Jubel erfüllte das Herz der
kleinen Reisenden, wenn die Reben begannen
bis zur Landstraße herunterzureichen, denn nun
war Schliengen nicht mehr fern. Schliengen, das
bedeutete Spiel und Freude und Geborgenheit,
immer von neuem auszulotendes Geheimnis.
Schon war der hochgelegene Kirchhof erreicht,
rechts das ehemalige Gasthaus „Krone" am
Hollenbach, und dann lag der frühere „Baslerstab
", das Haus des Großvaters, ein Haus mit
reicher Geschichte, vor uns. Damals wohnten in
dem Teil, in dem heute die Post untergebracht
ist, die Großeltern, vorne die jungen Leute,
Onkel Fritz und Tante Minna. Wie still war es
damals; kein Auto raste am Haus vorbei. Wenn
ein Wägelchen kam, guckte groß und klein und
lief an die Fenster. Bei der Ankunft sagte die
Großmama zur jungen Hilfe: „Gepäck auf Nummer
17!", denn die Zimmerzahlen des „Baslerstabes
" waren zum Teil übernommen. In Nr. 18
war die Feier meiner Taufe gewesen, zu der der
Pfarrer aus Auggen herübergekommen war, eine
Feier nach Markgräfler Art, bei der wahrscheinlich
auch hundertjähriger Wein getrunken
wurde.

Was konnten die Großeltern im Lauf der
Wochen den aufhorchenden Kindern nicht alles

erzählen! In ihrer Jugend war Großmutter auf
der Durchreise vom heimatlichen Kaiserstuhl
nach der Schweizer Pension, begleitet von ihrem
Vater im „Baslerstab" eingekehrt, um dann mit
der Schnellpost nach der Schweiz weiterzufahren.
Es war die Zeit, da die Eisenbahn nach Basel
gebaut wurde. Schliengen war Zentrum des
Bahnbaus, wo Ingenieure, Angestellte, Arbeiter
untergebracht waren.

Schon früher war Schliengen Durchgangsstation
der Pferdepost, ähnlich wie die Müll-
heimer „Post". Im Jahre 1830 hatte der Besitzer
Walz Rekurs eingelegt, weil er kein Gastwirtsrecht
auf das ihm zugehörige Gasthaus „Schlüssel
" bekommen hatte. Er hatte zwei Dependan-
cen, außer dem „Schlüssel" noch die ehemalige
Wasserburg „Entenstein", das spätere Andlaw-
sche Schlößchen. Ich hörte damals viel von den
Schwierigkeiten des Bahnbaus: von den vielen
Sprengungen zur Überwindung des Isteiner
Klotzes. Später hörte ich, daß für das gefährlichste
Teilstück des Bahnbaus Schliengen—
Rheinweilef, eine Strecke von nur IV2 Stunden
Weges, 1700 Kubikruten Bruchsteine benötigt
worden waren. 1848 war man bis Efringen gelangt
, 1851 bis Haltingen, 1855 bis Basel. Die
Eröffnung der Bahn wurde mit einem Festessen
in der „Krone" eingeleitet. Nach der Eröffnung
des Badischen Bahnhofes in Basel verödete das
Leben in Schliengen. Walz starb. Die Großmutter
zeigte mir noch das idyllische Grab des alten
Besitzers neben der Kirche, das in den letzten
Jahren leider verschwunden war.

Mein Großvater war der einzige Sohn seines
Vaters Johann Georg. Dieser war lange Jahre
Bürgermeister in Obereggenen gewesen. Als er
von seiner Ausbildung im Welschland zurückgekehrt
war, sah er die aussichtsreichen Möglichkeiten
im Weinhandel und begründete 1847 sein
Geschäft. Im Jahre 1848 war er Mitglied der
Bürger- und Bauernwehr gegenüber den Aufständischen
. Bei seinen Geschäftsreisen lernte er
in einem Freiburger Hotel seine spätere Frau
(sie war am Kaiserstuhl beheimatet) kennen, die
dort kochen lernte. Er sagte im Alter: „Ich vertrug
es nicht, daß alte und spitze Weiber mir
kochten!" Die Ehe wurde glücklich. Großmutter
war eine treue Pflegerin, denn Großvater war
seit Beginn der Ehe oft krank. Der Landarzt
Kußmaul in Kandern, der später so berühmt
wurde, hat ihn behandelt.

Großmama kochte vorzüglich. Die Lieblingsgerichte
ihrer Enkelkinder waren Dampfnudeln,
Spätzle und Obstkuchen. Großvater übernahm
das Haus, weil er mit seinem Geschäft Anschluß
an die neue Bahn haben wollte; es ist in diesem
Jahr (1958) hundert Jahre im Besitz der Familie.

Der Reiz des Hauses war für uns unendlich
groß: die verschiedenen Anbauten, die alten
Keller und die Riesenfässer, die Treppe mit den
Jahreszahlen 1624 und 1635 boten immer wieder
neue Verstecke. Vom Eßzimmer des Hauses
führte eine Treppe gleich in den Keller. Es

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