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Prof. Dr. W. Zentner:
Johann Peter Hebel, der Sohn des badischen
Oberlandes, hat sich zunächst, nachdem ihn der
Ruf des Markgrafen in die Landeshauptstadt
beordert hatte, nur schwer und widerstrebend in
die „Sandwüste" der Rheinebene schicken können
. Allein je länger er in Karlsruhe weilte,
desto stärker wurde dem unermüdlichen Spaziergänger
und Wanderer bewußt, daß auch die
nähere und weitere Umgebung der Residenz
manche Reize barg, die ihn wie der oft genossene
Blick vom damals noch rebenumsäumten Hang
des Turmbergs bei Durlach anzuheimeln und zu
immer wiederholten Besuchen zu ermuntern vermochte
. Vor allem die Briefe an seine Gustave
Fecht in Weil enthalten eine Fülle reizender
Schilderungen aus Karlsruhes landschaftlicher
Umgebung und dort verbrachten Lebensstunden,
die bestimmt nicht zu den verlorenen im Dasein
des naturfreudigen Dichters gezählt haben.
So hören wir am 3. Oktober 1802 aus dem
Munde des Zweiund vierzig jährigen:
„Während Sie, teuerste Freundin, zwischen
den vollen Reben und Bäumen herumwandeln,
gehe ich fast alle andern Tage anderthalb Stunden
weit ins Ettlinger Feld, wo neu entdeckte
römische Ruinen aufgegraben werden, und ziehe,
wenn ich unbesehen und unbeschrien kann, eine
saftige Rübe aus, um doch auch etwas vom
Herbstsegen zu genießen. Aber auf dem Heimweg
esse ich zu Rüppurr ein Butterbrot zu einem
Schöppchen Wein an dem Tisch, wo Erzherzog
Carl den Plan zum Rückzug machte im Herbst
1799 während des zweiten Koalitionskrieges, und
stelle Betrachtungen über die Hinfälligkeit der
frienschlichen Dinge an. Wo sind jene Gebäude
hin, zu welchen noch die Fundamente in der
sumpfigen Ettlinger Allmende liegen? Wo Österreichs
Ruhm und furchtbarer Einfluß? Sehen Sie,
daß ich neidig bin? Wie ich's drehe? Jetzt wäre
ich auf dem rechten Chapitre, wenn ich an jemand
anders als an Sie schriebe".
Die im Briefe erwähnten römischen Ruinen
waren am 20. September 1802 vom Sohn eines
Ettlinger Maurers entdeckt und der Fund nach
Karlsruhe gemeldet worden. Die Ausgrabungen,
welche auf die Spuren einer ehemaligen römischen
Villa stoßen ließen, geschahen unter der
Leitung von Friedrich Weinbrenner. Die „Carls-
ruher Zeitung" Nr. 162 vom 9. Okt. 1802 bringt
darüber einen ausführlichen Bericht aus der
Feder des Hebel befreundeten Prof. Wucherer,
eines Amtskollegen am Gymnasium.
Ein Lieblingsaufenthalt des Dichters, den er
vor allem an Sommervormittagen aufzusuchen
pflegte, war das nahe Beiertheim. Mehrere der
schönsten Briefstellen nehmen Bezug auf diesen
Ort. So erfährt Gustave Fecht am 20. Mai 1807:
„Gewiß: meine heilige Zeit, mein schöner großer
Feiertag, wo ich näher als sonst bei Gott und bei
allem Guten bin, dauert von Ostern bis Pfingsten
. Denn in dieser Jahreszeit, wo draußen alles
blüht, haben wir auch die Blüte der ganzen
Kirche und Religion in den Sonntagsevangelien.
Aber ebenso fromm und gerührt kann ich auch
sein, wenn ich den ganzen Sonntagmorgen in
Beiertheim im Hirschen, im Grasgarten unter
den Bäumen im Freien bei einem halben Schöpp-
lein Roten und Butterbrot in der Sonntagsstille,
unterbrochen von Glockengeläut und Bienen-
sumsen, sitze und im Jean Paul lese".
Als der Wirt Andreas Marbe an der Alb in
allmählichem Ausbau das „Stephanienbad" errichtete
, zu dem man von Karlsruhe aus auf
einem von Hofgärtner Hartweg im englischen
Geschmack angelegten Spazierweg wanderte,
wofern man nicht vorzog, den am Ettlinger Tor
bereitstehenden Stellwagen zu benützen, wurde
Hebel dort ein häufiger Gast. Doch geben wir
dem Dichter selbst das Wort: „Nun hören Sie
meine Neuigkeit! Ich habe vor vierzehn Tagen
wieder im Wasser gebadet, nämlich im fließenden
. Ohngeachtet des Zahnwehs? Freilich! Denn
diesem hab' ich soviel abgemerkt, daß es von
Nässe und Kälte nicht abhängt. Auch hat es mir
wohlgetan. Aber nicht gefallen. Die Alb ist keine
Wiese. Deshalb bade ich seitdem in einem Kasten,
warm. Es ist dies Jahr eine gar schöne Einrichtung
dazu, welche dem Unternehmer schon
3000 fl. kostete, in einer recht angenehmen
Gegend zwischen Wiesen und entfernten Waldungen
, eine halbe Stunde von hier. Da bin ich
nun alle Tage und werde wieder mit der vornehmen
Welt bekannt, von der ich mich seit
Jahren fast ganz ausgeschlossen hatte. Ich erneuere
wie einer, der lange in Amerika gewesen
ist, alte Bekanntschaften mit Personen, die ich
seit zehn Jahren, als ich aufhörte, Kasino und
Konzert zu besuchen, nicht mehr gesehen habe . .
Übrigens muß ich Ihnen von dem Bad noch
sagen, daß es im Beiertheimer Bann ist und daß
neulich der Schulz einem Geheimen Rat eine
Ohrfeige gab, weil er über die Matten lief. Seitdem
ist alles erlaubt". Das Beiertheimer Bad
blühte und gedieh. Fünf Jahre später konnte
Hebel der Freundin melden: „Ich habe Ihnen
schon lange nichts mehr von Beiertheim gesagt.
Dort ist jetzt ein ganz neues Leben los. Viele
Leute logieren draußen, die das Bad mit gutem
Erfolg kurmäßig brauchen, und kommen in die
Stadt spazieren, wie wir aus der Stadt aufs Land.
Alle Sonntag ist draußen große Tafel, woran ich
viel Vergnügen finde. Wem es einfällt, geht hinaus
und findet unangemeldet Platz. Hofkavaliere
und gemeine Leute, wer das Geld dazu in der
Tasche hat, Männer, Weiber und Kinder sitzen
untereinander. Bis man abgespeist hat, sind die
Galerien und der Tanzsaal angefüllt. Letzten
Sonntag speisten 54. Gewöhnlich bleibe ich bis
abends neun Uhr. Wenn man nur immer Geld
genug hätte!"
Bis in seine späten Jahre hinein feierte Hebel
mit einigen Freunden ein „Frühlingsfest". Auch
dieses hatte seinen Schauplatz in Karlsruhes
Umgebung, und zwar in Ettlingen, für das der
Dichter ebenso wie für das Albtal eine Vorliebe
hegte. Über dieses Fest berichtet der Dreiundsechzig
jähr ige: „Ich habe schon im Jahre 1816
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