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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1958-06/0012
Die stille Stadt hallte wider vom Lärm der
Bohrhämmer und Schweißer, und die Zahl der
Neugierigen, die kamen, zu betrachten, wie da
Männer in schwindelnden Gerüsten hingen und
nicht abstürzten, stieg täglich.

Ein Jahr nach dem Baubeginn wölbte sich
zwischen den schlanken Türmen der Pfeiler ein
stählerner Bogen. Er überspannte die 450 Meter
der Strombreite, wie wenn er das Stück eines
leicht und kühn hingeschlagenen Kreises zwischen
Himmel und Erde wäre. Gewiß fehlte es
nicht an Nörglern, die meinten, die Steuerlast
werde unerträglich, und eine einfache Brücke
wäre ebenso gut gewesen. Doch der Rat ging
seinen Weg. Er sah nicht rechts oder links, sondern
dachte nur daran, das Werk zu vollenden.

In einer seiner Bau-Sitzungen beriet er allerdings
, wie es möglich werde, den Beueler Geizkragen
einen Denkzettel zu geben, eine Antwort,
welche in die Jahrhunderte gehe, und es geschah,
daß einer der Herren, ein Spaßvogel, dem Oberbürgermeister
, neben dem er saß, ein Geheimnis
ins Ohr flüsterte: es sei die Antwort auf seine
Frage!

Der Oberbürgermeister, dem als einem geborenen
Rheinländer, trotz dem doppelten „Dr."
vor seinem Namen, ein Kobold im Nacken saß,
lachte laut auf ob dem geflüsterten Rate seines
Nachbarn. Er legte jedoch gleich den rechten
Zeigefinger über die wieder geschlossenen Lippen
, ileigte sich zur Linken und flüsterte dem
nächsten Stadtrat das Geheimnis ins Ohr, und als
auch der lachte und den Schweigefinger auf den
Mund legte, war es, als kicherten alle Kappenträger
des Rheinischen Narrenschiffes durch den
ehrwürdigen Saal. Der Oberbürgermeister bat,
das Geheimnis von Ohr zu Ohr weiterzugeben
und nicht zu verraten: dann werde es wirken und
am Tag der Brückenweihe den Gästen künden,
wie man zu Bonn von den Beueleren denke.

Am nächsten Morgen suchte der Oberbürgermeister
, ein Freund der Kunst, den schon erwähnten
Bildhauer auf, einen Meister seines
Faches. Die Werkstatt hing voller Masken. Doch
der Oberbürgermeister betrachtete sie — gegen
seine Gewohnheit — nicht einen Augenblick. Er
sprang dem Bildhauer, sozusagen, mit seinem
Auftrage in die Morgenträume, und der lachte
verschmitzt, als er hörte: das Kerlchen mit dem
vorgestreckten Hinterteil und der herabgelassenen
Hose sei aus einem Trachytblock des
Drachenfels zu hauen; es müsse künstlerisch
hochwertig sein, aber unmißverständlich wirken;
er solle die Stelle in Goethes „Götz von Berli-
chingen" nachlesen, dürfe jedoch niemandem
verraten, um was es gehe; so nur könne er überraschen
; und das wolle Bonn!

Der Bildhauer entledigte sich seines Auftrages
, wie der Oberbürgermeister es erwartet
hatte, und als — zwei Jahre vor dem Ende des
19. Jahrhunderts — der Tag kam, an welchem
die Brücke dem Verkehr zu übergeben war,
drängten nicht nur die Bonner, sondern auch die
Beueler heran, in dem mächtigen Steinwerk eine
der ersten Bogenbrücken des Rheines zu bewundern
.

Die Sonne stand in ungetrübtem Blau, und
der Rhein schwamm wie leuchtendes Silber. Der
Beueler Gemeinderat hatte sich durch die Fähre
übersetzen lassen, und die Herren standen in
schwarzen Gehröcken, steifen Kragen und Zylindern
und hörten, wie der Oberbürgermeister,
auf einem Podium des linken Rheinufers stehend,
die Brücke als Sinnbild des Verbindens zweier
Ufer pries. Der Bau — jedes Wort war verständlich
—, sei dem Opfergeist der Bonner Bürgerschaft
und der Kunst baufroher Werkleute zu
danken; er lobe den Tag als Geschenk rhein-
ländischen Schöpfergeistes, der sich in ihm ein
Denkmal gesetzt habe; es stehe würdig neben
den anderen Bauwerken der Stadt — dem Münster
, der Universität, dem Poppelsdorfer Schlosse
— und künde Kindern und Enkeln den Eifer
einer Bürgerschaft, welche die Zeichen der Zeit
verstanden habe; auch der letzte Nagel der
Brücke sei Gabe der Heimat; er — das Oberhaupt
der Musenstadt des Rheines — danke den
Bürgern, vor allem jedoch den Erbauern, den
Ingenieuren und Werkleuten der Troisdorfer
Hütte; die Welt strebe zu großen Formen, und
wer aufgeschlossen im Leben schaffe, der wisse,
daß es unmöglich sei, rückwärts zu schauen und
mit Mitteln der Väter den Forderungen des
Fortschreitens zu entsprechen, das die Stunde
bedinge!

Die Beueler waren trotz ihren Zylindern und
steifen Kragen spitzhörig genug, zu verstehen,
wen er meinte; aber sie lauschten unbewegten
Gesichtes.

Der Redner schloß mit dem Gedanken: wie
die Erfindung der doppelten Buchführung durch
Fra Luca Pacioli im Jahre 1494 eine der schönsten
Taten des menschlichen Geistes sei, denen
des Kopernikus und des Kolumbus vergleichbar,
so stelle die Brücke zutiefst ein Wunder der
Berechnung dar; auch ihr gehe es um die neue
Ordnung im Kosmos!

Dann schnitt er das Seil durch, welches den
Eingang der Brücke versperrte und forderte die
Festversammlung auf, ihm zu folgen: die Brücke
habe die Gleichgewichtsprobe bestanden; nun sei
sie dem Verkehr übergeben; das glückstrahlende
Lächeln des Rheines sage ihm, wie bedeutend
dieser Augenblick sei, und drüben, vor dem
Beueler Bogen, warte eine Überraschung besonderer
Art!

Langsam schritt er voran, und die Ratsherren,
die Bonner sowohl wie die Beueler, folgten ihm.
Zylinder und Gehröcke blinkerten schwarz, die
weißen Stehkragen prangten, wohingegen die
Uniformen der Husarenoffiziere, die Talare der
Universitätsprofessoren und der „Wichs" der
Studentenverbände — alle waren der Einladung
des Oberbürgermeisters gefolgt —, dem Gleichmaß
des Bürgerlichen die bunte Pracht schenkten
. Die Fahnen des Reiches, die Preußens, der
Provinz und der Stadt wehten an hohen Masten,
die Girlanden aus frischem Tannengrün umrankten
das Eisenwerk der Fachwerkbogen und
ihrer Kämpfergelenke. Man ging bedachtsam,
spürte hinter sich das Schwergewicht der Stadt,
auf der anderen Seite aber den fast ländlichen

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