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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1958-06/0013
Ausgang in das Tal der Siegmündung und zu den
Dörfern der ansteigenden Hänge, und der Strom
und seine Ufer spielten um die Blicke der
Schreitenden. Sie wunderten sich, wie lebendig
die Brücke im gewohnten Landschaftsbilde
schwang, ohne es zu stören, und mancher, der
mitging, sagte, eine Zeit, die Brücken dieser Art
baue, sei jung und überwinde die Streitfragen,
welche Ufer und Völker entzweiten!

Vor dem Beueler Einfallbogen der Brücke
aber blieb der Oberbürgermeister stehen. Er
gebot einem Maurer, der dort auf einer Leiter
wartete, das Linnen von dem Steinbilde zu entfernen
: dem Schmuckstück, das dieser Teil der
Brücke trage.

Als der Maurer das graue Tuch abnestelte
und zunächst die obere Hälfte hob, sah man das
grinsende Gesicht des steinernen Kerles, der nach
Beuel blickte, wohingegen, sobald der Maurer
auch die untere Hälfte entfernte, die Beueler
Gemeinderäte — die Bonner hatten sie in die
vordere Reihe gebeten —, das vorgestreckte
Hinterteil mit der heruntergelassenen Hose
sahen. Die Offiziere klemmten das Einglas ein
und lächelten überlegen, die Universitätsprofessoren
verzogen die Gesichter, und die Studenten
mußten sich zwingen, nicht aufzuwiehern.
Die Bonner aber klatschten in die Hände und
riefen: das sei die rechte Antwort auf das Gerede
der geizigen Nachbarn; wer sehen könne, verstehe
, was gemeint sei!

Die Beueler standen, was verständlich ist,
zunächst zornrot und wußten sich nicht zu helfen,
bis plötzlich ihrem Bürgermeister der erlösende
Einfall kam. Er winkte mit der Hand und hub,
da man ringsum schwieg, an zu sprechen: die
Beueler dankten sehr für diese Einladung; sie
erinnere an ein Wort des Götz von Berlichingen;
bedauerlich sei nur, ihr nicht folgen zu können,
zu tun also, wozu der windige Kerl, der offenbar
einen Bonner darstelle, auffordere; er hänge zu
hoch, und der hochweise Rat von Bonn könne
unmöglich, da ja die Brücke dem Verkehr dienen
solle, ständig eine Leiter für die Beueler zurechtstellen
. „Demnach bleibt uns nichts", schloß er
mit erhobener Stimme, „als zu verzichten, wie
Bonn auf unsere Taler verzichtet hat".

Da lachte die Festversammlung zum andern
Male auf, und der Oberbürgermeister von Bonn
bot dem Beueler die Rechte und sagte: so wasche
eine Hand die andere, und weil sich zeige, daß
Beuel nicht minder witzig sei als Bonn, lade er
den Gemeinderat ein, mit ihm und den übrigen
Gästen im Ratskeller einen dreißigjährigen
Rüdesheimer zu tringen; den habe er für diese
Stunde bereit stellen lassen; er lösche den Zorn
und versöhne die gegensätzlichen Ufer!

So ging man, nun aufgeräumt und in schallender
Lustigkeit über die Brücke zurück, und es
war, als triebe ein Schwärm unsichtbarer Narren
den schwatzenden Zug. Selbstverständlich stieß
man auch mit dem Bildhauer an, dem Schelm,
der den Spruch des Götz so lebendig in Stein
geprägt hatte, und man sagt, die Versammlung
habe sehr lange um den Rüdesheimer gesessen
und die Brücke gefeiert.

Der windige Kerl aber hing tatsächlich wie
für ewige Zeiten an der Beueler Seite, und wer
ihn sah, mußte über seine Art lachen, selbst
dann, wenn graue Regenwolken das Rheintal
bedrängten und ihre Schauer das blanke Hinterteil
hinunterrauschen ließen. Er überstand selbst
jenen gefährlichen Augenblick, in welchem die«
Brücke — es war im März 1945, als die deutschen
Soldaten vom Ende des zweiten Weltkrieges sich
vor den Amerikanern über den Rhein zurückzogen
— gesprengt werden mußte; denn der
Beueler Strompfeiler, auf welchem er stand,
blieb wie die rechtsrheinische Ausfahrt unversehrt
.

Da er im Laufe der 47 Jahre, die seine Brücke
erlebte, eine gewisse Berühmtheit, auch über
Deutschland hinaus, erlangt hatte und im Bäde-
ker, dem Reiseführer mit dem hellroten Lederbande
stand und die Amerikaner diesen beim
Einzug in die zerstörten Städte benutzten,
geschah es, daß manch einer von ihnen versuchte,
den Grinsenden aus seiner Umklammerung zu
lösen; er wäre jenseits des großen Wassers ein
bedeutsames Andenken gewesen: einen Steinkerl
mit so unmißverständlicher Gebärde gebe es
selbst in Amerika nicht!

Doch die Maurer vom Ende des 19. Jahrhunderts
hatten sehr gut gearbeitet, weshalb er
stehen blieb, unentwegt die zertrümmerte Brücke
und den Rhein sah, der wehnlütig genug zwischen
den übel hergerichteten Ufern dem Meere
zuströmte.

Als man dann, im späten Sommer, die Fahrrinne
zu erweitern — die Schiffer wollten ihr
Werk wieder beginnen —, aufs neue sprengen
mußte, geriet der scheinbar Unerschütterliche
doch unter den Schutt. Zwischen ihm aber entdeckte
ihn der Sohn eines Beueler Gastwirts,
der, veranlaßt durch seinen Vater, einen Sammler
von Kostbarkeiten rheinländischen Lebens,
in den Trümmern herumkletterte und suchte.

Was er zuerst sah, war natürlich das blanke
Hinterteil.

Indes der Beueler vorsichtig, als gelte es, Porzellan
zu bergen, Stein um Stein und ein Zementstück
nach dem anderen weggeräumt hatte,
grinste ihm schließlich das Gesicht entgegen. Da
war er glücklich und wußte, daß ein Kerl solcher
Art, was sich an Schrecknissen auch begebe, nicht
untergehen könne. Er hob ihn auf seine Arme
und trug ihn heim, und als der Gastwirt ihn sah
— so berichtet die Sage —, umarmte er den
Sohn und den Steinernen zugleich und behauptete
: nun gehe, trotz allem, ein neues Leben an,
und jeder, der anders denke und den Kopf in
den Sand stecke, solle sich von dem Brückenmännchen
darüber belehren lassen, wie es am
wirksamsten geschehe: mit dem blanken Hinterteile
gegen Nörgler, Geizhälse, Politiker und
ähnliches Gelichter!

Abends stellte er in der Baracke, welche er
und seine Familie bewohnten — das Eigenheim
und seine behaglichen Schenkräume waren vernichtet
—, zwei brennende Kerzen vor den Wiedergefundenen
. Dazu trank er mit dem Sohne
und seiner Frau eine der zehn kostbaren Flaschen

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