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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1958-06/0014
seines eisernen Vorrates: einen Schloß Reinharts-
hausener Hartenheimer Heiligenberg, der, im
tiefsten Frieden, zehn Mark gekostet hatte. Es
sei, setzt die Sage hinzu, eine feierliche Handlung
gewesen.

Hernach versteckten Vater und Sohn ihren
Schatz in dem bereits enttrümmerten Keller der
Hausruine so, daß er vor amerikanischen Andenkensuchern
sicher war.

Als diese dann abzogen und Engländer den
Rheinahschnitt übernommen hatten, holten die
stillen Betreuer das Brückenmännchen heraus
und zeigten es den Beuelern. Von diesem Tage
an waren auch sie wieder zuversichtlich, und
ihre Grielächer gewannen die Oberhand. Sie ver-
anlaßten, daß man nicht lange nachher die
125jährige Weiberfasnacht feierte, jener Beueler
Wäscherinnen zu gedenken, die 1821 mutig genug
gewesen waren, eigene Wege des Maskierens zu
gehen. Es wird hier nur deshalb des tollen
Treibens gedacht, weil die Grielächer seinen Tag
benutzten, den Steinkerl wieder ins Öffentliche
zu führen. Sie trugen ihn in feierlichem Zuge —
der Himmel weiß, woher sie Trommeln, Hörner
und Flöten, Masken und Narrenfahnen holten —
an den Rhein, setzten ihn dort auf einen Sockel
und machten ihm ihre Reverenz. Da solle er,

sagte der Redner, vom Frühjahre an durch eine
gärtnerische Anlage gehegt, warten, bis er auf
der neu zu erbauenden Brücke die alte Stellung
einnehmen und über den Strom hin jeden Griesgram
und Mucker einladen könne, sich an seinem
Hinterteile zu ergötzen, gleichgültig woher er
stamme, ob er aus Newyork komme, aus London
oder Paris, aus Rom oder Moskau!

Der Glaube an die Ewigkeit, der dem Kerl
gleich bei der Brückenweihe vor dem Ende
seines Jahrhunderts aus dem Gesicht gestrahlt
hatte, behielt recht: er steht tatsächlich auf der
inzwischen errichteten zweiten Brücke, allerdings
nicht mehr so hoch wie auf der ersten, und wer
ihn sieht, sagt sich: wenn die Gewalthaber hüben
und drüben, diesseits und jenseits des Ozeans
bei schwierigen Fällen die Art des unverderblichen
Steinkerles pflegten, wäre das Leben
erträglicher; wahrscheinlich bauten die unentbehrlichen
Brücken zwischen Ufern und Völkern
sich dann von selbst; jener unmißverständlichen
Gebärde folge nämlich am Rhein auch heute noch
gern der Augenblick, in welchem der Auffordernde
und der Geforderte, der Mann mit dem
blanken Hinterteile und der des wütenden
Blickes sich beseligt die Hände reichten und
sagten: „Was zanken wir uns? Ja — die Welt ist
schön, wenn wir einig sind!"

Franz Schneller:

i>em JJnbefcfytüectm'7 (3mft Oanbzn sum 60. (Ü*ebuct6tag

Der Juni ist der Juno und der Jugend geweihte
Monat. Der Mond der Rose. Und der
Monat, der Ernst Sander das Sprungbrett in diese
Welt stellte. Erstaunt erfuhren wir, daß in diesem
Jahr der Dichter und der Meister der Übertragung
von Prosakunstwerken in unsere Sprache
das Alter erreicht hat, von dem der japanische
Maler Hokusai einmal sagte, es) habe ihn offenbar
werden lassen, was Zeichnen heißt.

Daß Ernst Sander seine Jahre zählt, als ob
er befürchten müßte, eines davon zu verlieren,
nimmt keiner von uns an. Viel eher wird er
seine zahlreichen Bücher zählen, sein Geld und
die Tulpen seines Gartens. Die Jahre? Nein.
Denn wer so jung ist wie er, den wir den Unbeschwerten
zu nennen gewohnt sind, der braucht
nicht rückwärts zu schauen, um abzuschätzen,
wieviel Weg nach vorn ihm wohl noch gegönnt ist.

Die Zeitungen haben seines Geburlstages als
eines bemerkenswerten Datums gedacht und auch
die Regierung sandte ihm, obwohl sie planmäßig
erst vom 65. an Glückwünsche sendet, ein Telegramm
, davon überzeugt, seinetwegen eine Ausnahme
machen zu müssen.

Wie wird er diesen Tag wohl begonnen haben?
Sicherlich wie alle andern, weil er gewohnt ist,
noch vor dem ersten Hahnenschrei aufzustehen
und sich an die Arbeit zu machen.

Balzac könnte gesagt haben: Übersetzen ist
Erschaffen zu zweien. Auf Ernst Sander trifft
dies jedenfalls zu. Denn nur wenigen „Übersetzern
" ist es vergönnt, die Verwandlung einer

Fremdsprache in die eigene so vollkommen vorzunehmen
. Bei den meisten kommt beim gleichen
Versuch das anderssprachige Kunstwerk im
eigenen Sprachgut um. Bei ihm aber entsteht es
in jener Zone zwischen klarem Verstand und
heiliger Erleuchtung, wie es sein soll.

Doch nicht diese Kunst allein stellt ihn in die
vorderste Reihe deutscher Publizisten. Wer ihn
wirklich kennen lernen will, muß seine Romane,
seine Erzählungen und Gedichte lesen. Sie reichen
von der knappen Skizze bis zum epischen
Werk von weitem Atem. Vielleicht war es der
lange, vertraute Umgang mit den Meistern der
französischen und englischen Literatur, der es
ihm erleichterte, seine eigenen Gaben voll zu
erkennen, sie zu gebrauchen und in so vorbildlicher
Weise zu ordnen, daß beispielsweise ein
Buch entstand, wie sein letzter großer Roman
„Ein junger Herr aus Frankreich". Er hat sich
darin selbst gefunden und in verschiedenster
Gestalt ausgelebt.

Sicherlich wird an seinem Geburtstag sein
nicht geringstes Geschenk sein, sagen zu können:
ich habe Leser, die sich als meine Freunde fühlen
. Sie verstehen mich in dem, was andere in
mir nicht sehen können. Und sie bringen mir
ein Gefühl entgegen, das uns beiden teuer ist.
Daß er ihren Umgang nicht so pflegen kann, wie
er es eigentlich möchte, verbietet ihm die eigene
Reife, die Absonderung verlangt für die Entstehung
seines Werkes. Selbst der Freundschaft
bleibt der kleine Gifttropfen nie erspart, den die

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