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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1958-08/0008
Theodor Seidenfaden:

Jb\z lefete Ketnflon / eine Gc^wung

Der 9. September des Jahres 1826 begann mit
einem Morgen, an dem die Sonne sich dergestalt
schnell aus dichtem Nebel rang, daß die
Schöpfung schon um die siebte Stunde nichts
war als ein Offenbaren reifer Güte. Johann Peter
Hebel, der Prälat, Exzellenz und Mitglied der
Ministerialsektion für Kirche und Schule, auch
der badischen Kammer, gewesener Professor der
Dogmatik, der hebräischen Sprache und Direktor
des Gymnasiums, saß trotz seinen Unpäßlichkeiten
schon seit sechs Uhr dreißig in dem Wagen
, der ihn von der Landeshauptstadt aus nach
Mannheim zu fahren hatte. Der Direktor des
dortigen Lyzeums, sein ehemaliger Schüler
August Friedrich Nüßlin, der ihm nun der vertrauteste
Freund war, erwartete ihn, am zehnten
September das herbstliche Schlußexamen
seiner gerühmten Anstalt abzunehmen.

Die Pappeln der Landstraße, die zu Karlsruhe
begann, wo der Markgräfler bereits seit dreißig
Jahren der Ämter wegen wohnen mußte, waren
silberne Wächter der Fernträume dieser Jahreszeit
. Die Süße des Nachsommers wehte um die
Chaise, den zweirädrigen Wagen, dessen Verdeck
zurückgeschlagen war. Der Prälat, dem an seinen
Titeln nichts, alles aber an dem lag, was sich
Johann Peter Hebel nennen durfte, der zu Basel
geborene, in Hausen, sechs Wegstunden weiter
fort, aufgewachsene Kleinbauern- und Weberssohn
, der Gestalter der alemannischen Gedichte,
der Geschichten des Rheinischen Hausfreundes
und der Schulbibel war, empfand die wohlausgewogene
Schönheit als Geschenk. Die ihr innewohnende
leise Wehmut entsprach durchaus
seinem Wesen: sie war ohne Krampf und ließ
ihn das Daheimsein in der Natur nach einer
unruhigen Nacht doppelt wohl empfinden.

Gewiß waren ihm weder äußere noch innere
Stürme erspart geblieben.

Er ist sich ihrer bewußt: er, in dessen Wiegenzeit
die letzten Schlachten des Siebenjährigen
Krieges lärmten, den als Knaben lebendige
Nachrichten vom Zuge der Russen gegen die
Türken und vom Nordamerikanischen Freiheitskriege
bewegten, der als Lörracher Präzeptorats-
vikar erlebte, wie die Kaiserin Maria Theresia
und Friedrich der Große, die unerbittlichen Gegner
, starben, wie bald hernach der Glutschein
der französischen Revolution über den westlichen
Himmel flammte!

Das sah er, indes der Wagen, den der gute
Schimmel des ihm seit Jahren vertrauten Fuhrmannes
zog, behaglich daherfuhr. Auch dies vergegenwärtigte
er sich: daß er als Karlsruher
Professor die Wirbel der napoleonischen Kriege,
den Brand Moskaus, die Leipziger Schlacht,
Napoleons Flucht und Sturz von hohen Stelzen,
seine Wiederkehr und Niederlage bei Waterloo,
die Verbannung auf die Insel im Atlantischen
Ozean, westlich des schwarzen Erdteiles, das
Wiedererwachen des Vaterlandes und das Glück
zu erleben hatte, das sein Großherzog den
Badenern mit der Verfassung schenkte — er, als
erster deutscher Fürst. Im Verfolg dessen

schickten die Wähler auch ihn, den Markgräfler,
der sich mühsam genug dem geradlinigen Karlsruhe
, der Residenzstadt, eingefügt hatte, in die
Kammer und zwangen ihn, politische Reden zu
halten.

Die Schockschwerenöter!

Verborgene Gedanken und innere Tapferkeit
sind ihm lieber als das Lärmige; sie allein haben
die Kraft, zu ihrer Stunde gleich einem lodernden
Blitz aus dem Himmel zu brechen; er, der
Freund Theokrits, des bukolischen Dichters, der
um 270 vor der Geburt des Christ auf Kos und
Sizilien, den seligen Inseln, oder im weltweiten
Alexandria, der glänzendsten Hafenstadt des
Altertums, lebte und die hellenische Anmut kurz
vor ihrem Erblassen noch einmal aufleuchten
ließ, der jene Hirtenlyrik schuf, darin die Flur
mit dem grünen Teppich, der murmelnde Bach,
die sonnige Luft und die Kuhreigen sich dem
Wort der dorischen Mundart, der wohlklingenden
, schenken. Er, Hebel, liebte das stille Wandeln
mit dem Hehren, dem Namenlosen dieses
Alls, dieses mit Gott Wandeln, nicht aber das
Beredte, das zutiefst stumm ist.

Er wird auch diesmal die Prüflinge nach dem
Dichter fragen, dem die Mittagsstunde zittert,
die Pan schlafen und die Syrinx schweigen heißt,
der Thyosis vom verschmachtenden Daphnis
singen, mit rollendem Kreisel das zaubernde
Mädchen die Liebe des Dalphis beschwören läßt.
Er wird feststellen, ob der Freund — denn er
ist der Lehrer des Griechischen —, verstanden
hat, die feine Art bewußt zu machen, in der
Theokrit zeichnet. Ihm jedenfalls bleibt es unvergeßlich
, mit dem Worte des Dichters, den
auch der Weimarer, den Goethe liebt, zu sehen,
wie der Geißhirt dem Schäfer ein Holzgefäß
schenkt und auf ihm der greise Fischer erscheint,
dem die Sehnen am Halse schwellen, im Weinberge
nebenan jedoch ein Knabe kauert, aus
Halmen die Grillenfalle flicht und zwei Füchslein
Trauben naschen!

Das Unendliche kann sich nur im Endlichen
offenbaren. So war es schon bei der Mutter, Gott
habe sie selig, der lieben Frau Ursula, die ihm,
dem Dreizehnjährigen, auf dem Wege zwischen
Basel und Hausen im Fuhrwerk eines Bauern
starb, nachdem sein Vater schon 1761, zwölf
Jahre zuvor, fortgegangen war. Der Mutter Art,
die Welt anzuschauen, glich der des Theokrit,
obwohl der studiert und sie unstudiert war. Ihr
dankt er das, was sich Stätigkeit der Seele nennt,
das Besinnliche, äußerlich gemessen scheinende
Verhalten-Sein, dem es gelingt, die inneren
Stürme in einem Objektiven zu bändigen und
sie auf diese Art fruchtbar zu machen — übrigens
mit kargem Humor, der sozusagen unter
der Haut lächelt, weil er, Hebel, sich als Glied
der leid vollen Welt fühlt, nicht als einer ihrer
Herrscher!

Die Exzellenz kennt den Dichter Johann Peter:
dieses besondere Menschentum, das ihn erst dem
Prälaten-Amte zustimmen ließ, als die Behörde

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