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ihm versicherte, er brauche an jenem nichts zu
ändern.
Ja — er ist und bleibt ein Glied der Dreivölkerecke
, in der er, der Alemanne, sich selber
verwirklichen mußte und muß, und stets gegen
die ständig wechselnde Mode in Politik und
Geschmack.
Nein: der frohe Ernst und die gefaßte Heiterkeit
seines Wesens verboten es ihm, dem nun
höchsten Vertreter der gleichsam von ihm geschaffenen
evangelischen Landeskirche, protestierend
durch das mühevolle Leben zu gehen. Die
mancherlei bitteren und schweren Stunden versucht
er durch einen klugen Scherz zu erleuchten
. . . Immer noch, wiewohl es, seit dem Fortsterben
so vieler Freunde, einsam um ihn ist —
einsam oft, wie es dem Tat-Menschen Napoleon
auf der Ozean-Insel gewesen sein mag, den dort
1821 der Tod von seinem Magen- und Darm-
Leiden erlöste.
Der Wagen fuhr behaglich.
Der Kutscher wußte, daß der Prälat sich
nicht wohl fühlte, der Schimmel gehorchte dem
geringsten Zügeldruck.
Hin und wieder tauchte rechts oder links
zwischen den Pappeln an schmalen Feldwegen
eine Unrathalde auf, und Hebel sah, wie dort die
Rauschkräuter blühten: Nachtschatten und Bilsenkraut
, Stechapfel und Teufelszwirn, auch
Tollkirsche und Zaunrübe. Noch streiften die
Schwalben über die abgeernteten Äcker; aber
sie schienen sich zu sammeln, und den Dichter
überkamen jene Abschiedsgedanken, die den
namenlosen Burschen seiner Geschichte „Kannit-
verstan" hinter dem Sarge des Amsterdamers
befallen.
Er lüftete einen Augenblick den Hut, wischte
mit der Rechten über die Stirn und murmelte:
nein, diese Geschichte, die eigentlich Ausschau
halte nach dem Mitmenschen, könne er jetzt
nicht gebrauchen; er wolle froh zur Prüfung
nach Mannheim kommen!
Indem fuhr der Wagen an einer Bäuerin vorbei
, die trotz ihrem schneeweißen Haar, zuversichtlich
, fast schlank, daherging. Johann Peter
Hebel ließ halten und fragte die Frau, wohin
sie wolle!
Der Kutscher kannte die Eigenarten seines
Fahrgastes und war gleich abgestiegen. Da die
Frau nach Bruchsal wollte, mußte er ihr in den
Wagen helfen; denn die Exzellenz hatte ihm aufgetragen
, über Bruchsal auf Speyer und von dort
nach der Mittagsrast gen Mannheim zu fahren.
Spätnachmittags wolle er bei dem Direktor Nüß-
lin, dessen Wohnung er kenne, absteigen!
Der Kutscher war mit seinem Schimmel bald
wieder im Trott, nur daß er sich jetzt an dem
Gespräch zu ergötzen hatte, welches hinter seinem
Rücken aufstieg, wie wenn das ungleiche
Paar während gemeinsamer Kinder jähre miteinander
gespielt hätte.
Der Prälat und die Bäuerin führten es mundartlich
.
Die Bruchsaler Straße habe es an sich, zumal
an einem Septembermorgen, der den Herbst als
Säftekocher zu neuem Leben wirken und ihn
dartun lasse, daß der Tod, der sich hier und da
durch ein sinkendes Blatt melde, nur Maske sei;
hinter ihr vollbringe das All seine geheimnisreichsten
Wandlungen; wöchentlich einmal gehe
sie mit ihren sechsundsiebzig Jahren den Weg
hin und zurück; zu Bruchsal sei ihre jüngste
Tochter verheiratet, führe ihrem Manne, dem
Wirt „Zum tanzenden Bären", das Haus, und die
freue sich, wenn sie komme und ihr helfe. Fast
immer begegne ihr auf dem Wege der Herrgott
in irgend einer Gestalt, begleite sie eine Weile
zu einem Morgenschwatz oder lade sie gar, wie
es heute wieder geschehen sei, in den Wagen.
Deshalb verstehe sie nicht, wie jemand an der
Güte Gottes oder der der Welt verzweifeln
könne!
Der Kutscher hörte einmal die Alte, dann
den Prälaten, und als der, wie wenn ihn der
Markgräfler Schalk plötzlich in seiner hartnäckigsten
Art gepackt hätte, die wortgewandte
Alte fragte, ob sie auch lesen könne und schreiben
, staunte der Kutscher zum andernmale.
Sie habe, sagte sie, mit den zehn Kindern,
die ihr der Herrgott geschenkt habe — sieben
Buben und drei Mädchen, die lebten, verheiratet
seien und wirkten — reichlich üben müssen, und
ihr Mann, der Franzjosef, der vor sechs Jahren
als Dreiundachtziger fortgegangen sei, habe es
auch gekonnt; ohne diese Kunst, von der Däm-
linge behaupteten, sie habe der Teufel erfunden,
hätten sie es kaum vermocht, das Gütchen durch
die tollen Zeiten der Jahrhundertwende zu
bringen!
Der 'Fuhrmann spannte die Ohren, als er auf
des Prälaten Frage, was sie außer der Bibel und
dem Betbuch lese, die Alte sagen hörte, am liebsten
sei ihr der Kalender, den der Hebel herausgegeben
habe, der Direktor des Karlsruher
Gymnasiums gewesen und nun Exzellenz sei, in
der Kammer sitze und die Landeskirche leite
und deshalb wohl keine Zeit mehr habe, zu
schreiben; denn daß er sich mit seinen Titeln als
zu vornehm dazu dünke, glaube sie nicht. Das
„Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes",
wie das Büchel heiße, darein er seine Geschichten
aus den Kalendern zusammengebunden habe,
liege bei ihr neben dem Betbuche und der Bibel.
Der Kobold im Karlsruher Fuhrmann kicherte,
weil er wußte, daß der „Rheinische Hausfreund"
hinter ihm saß, die Alte aber nicht ahnte, mit
wem sie sprach. Sie war eine in sich ruhende
Welt, die es nicht notwendig hatte, die neben
ihr sitzende Welt nach Herkunft, Stand und
Geschäft zu fragen; sie war ihr einfach — der
Herrgott.
Und der Karlsruher Kobold kam auf seine
Kosten, weil der Markgräfler Schalk den Prälaten
ein geringschätziges Wort über den Hebel
sagen ließ, diesen merkwürdigen Hausfreund,
der zwar am Rheinstrome fleißig auf- und abgehe
, zu manchem Fenster hineinschaue, in
manchem Wirtshaus sitze, aber doch wohl, gemessen
an dem, was die fortschrittliche Welt
wolle, ein Gimpel sei!
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