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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1958-08/0010
Wie gesagt: der Kobold kam auf seine Kosten,
weil er, kurz vor Bruchsal, den Redeschwall der
Alten, der sich über den Prälaten ergoß, dergestalt
vernahm, wie er noch keines Weibes
Mund hatte sprechen hören, und seine Frau,
dachte er, könne es doch auch; doch sie sei, selbst
im heftigsten Erguß — etwa, wenn er mit einer
Schnapsfahne heimkomme —, eine Flöte gegen
die Orgel der Alten. So müßten wohl, dachte er,
die Gardinenpredigten geklungen haben, mit
denen sie ihren Franzjosef und die zehn Kinder
auf den Stufen ihres Heranwachsens bei der
Stange gehalten habe.

Wer den Hebel einen Gimpel nenne — hörte
der Kobold und meinte, jetzt drohe die Alte
hinter seinem Rücken dem Prälaten mit dem
knochigen Zeigefinger ihrer Rechten — sei wohl
ein studierter Grasaffe, selber ein langohriger
Gimpel, der glaube, die Weisheit der Welt stecke
allein in seinem gelehrten Quark, dem griechischen
, lateinischen oder gar dem hebräischen
Kram; sie könne und müsse die Geschichten vom
Hebel lesen, weil sie jedesmal neu wirkten, frisch
seien, weil in ihnen etwas geschehe und man
froh werde mit dem, was sich tue, zufrieden,
auch fromm und ehrfürchtig und tüchtig obendrein
; ob er vom Zundelfrieder erzähle, dem
Lausedieb und seinen Gesellen, den klugen Richter
oder den schlauen Husaren auftreten lasse,
dem Dickwanst ein Rezept gebe, sich von seinem
überflüssigen Fett zu befreien, ob er im seltsamen
Spazierritt dartue, wie lächerlich der
wirke, der es allen Leuten recht machen wolle,
ob er im Kannitverstan den Tod erscheinen, den
Schneider von Pensa im fernen Rußland sein
alemannisches Herz bezeugen lasse, ob er dartue,
wie im „Unverhofften Wiedersehen" eine fünfzigjährige
Treue gelohnt werde, ob er erleben lasse,
wie während des Krieges 1796 — sie, die Gretl
Schöpflin sei damals fünfundvierzig gewesen, und
der Franzjosef habe dem Schöpflin-Hofe zu Durlach
vorgestanden, dem Gütlein bei Karlsruhe,
das nun der Hanspeter bewirtschafte, ihr Zweiter
, indes sie dort auf dem Altenteil sitze — also,
ob der Hebel erleben lasse, wie eine Schweizer
Mutter 1796, als die französische Armee nach
dem Rückzüge aus Deutschland jenseits hinab
am Rheine lag, ihren Sohn suchte, der es bei den
Franzosen zum General gebracht und eine Vornehme
als Frau heimgeführt hatte: stets sei sie
mit dem Hausfreund im Geheimnis des Zwie-
sprechens, das trotz allem Bewegten, eine wohltuende
Ruhe atme. Und daß sie, die Gretl
Schöpflin, außerdem Europa kenne, danke sie
ihm ebenfalls, dem Hebel; sie brauche nur der
Geschichte des Herrn Charles zu gedenken, in
der ein polnischer Fuhrmann auf . der Straße zwischen
Moskau und Petersburg das Wunder der
Güte an der Französin und ihren Kindern wirke
und dem Laffenvolk der Gegenwart sage, was
Gemeinsamkeit der abendländischen Völker vermöge
!

Der Karlsruher Kobold grinste in sich hinein,
weil er nur noch die Alte hörte und merkte, daß
es dem Markgräfler Schalk nicht ungelegen sein
mochte, an so unpäßlichem Morgen derartige
Lichtlein gesteckt zu bekommen.

Da inzwischen Bruchsal aufgetaucht war, das
am Austritt des Saalbachs aus dem Kraichgau
in die Rheinebene liegt, das Rokoko-Schloß aus
dem Wunder seines Parkes winkte und die Alte
bat, sie wolle das Stück Weges „Zum tanzenden
Bären" gehen und nicht fahren, hielt der Fuhrmann
. Er sprang vom Bock, griff der Bäuerin
unter den Arm, daß sie nicht stolpere und wunderte
sich, wie gewandt sie, auf der sicheren
Straße stehend, dem Prälaten die Hand gab und,
sich verabschiedend, meinte: sie danke für die
Fahrt, und wenn er etwa dem Hausfreund begegnen
sollte — er, als ein geistlicher Herr und
Stellvertreter des Herrgotts — möge er ihn grüßen
und ihm sagen: daß sie, die Gretl Schöpflin,
mit sechsundsiebzig noch laufe als eine Vierzigerin
und sich freue an dem, was um sie
wachse und reife, danke sie nächst dem unermüdlichen
Herrgott, der allein mehr vermöge als
alle Pfarrer der Welt zusammen, dem Johann
Peter Hebel und seinen Geschichten, die, gründlicher
zu lesen, sie ihm, dem stattlichen Rat
oder was der Herr sonst darstelle, dringlichst
empfehle!

Dann ging sie.

Der Kobold von Karlsruhe aber und der
Markgräfler Schalk blitzten sich einen Augenblick
an. Sie lachten heimlich und sahen, wie
die Alte, den Regenschirm in der Rechten, ein
geflochtenes Zweihenkelkörbchen links tragend,
auf den beschleiften Halbschuhen, im dunklen
Kleid, dem bunten Schultertuche und der geblümten
Schürze, der Kopfkappe und ihren
roten Halsbändern tatsächlich gleich einer Vierzigerin
verschwand.

Da habe, schmunzelte der Karlsruher, als er
auf seinen Bock zurückstieg, die Exzellenz aus
einer sonderbaren Morgenpredigt vernommen,
wer der Johann Peter Hebel sei, und der Prälat
erwiderte, abermals mundartlich: der Herrgott
spinne tatsächlich seltsame Dinge, und der
Mensch müsse sich soviel Freude als möglich zu
verschaffen suchen; es wechsle mit dem Leben
wunderlich, und die Gretl Schöpflin sei tatsächlich
, wie sie in der Bruchsaler Sonne weghusche,
eine Gesandte aus dem Ewigen!

Die Fahrt von Bruchsal nach Speyer blieb
ohne eine Begegnung, abgesehen von einem
Zigeunerwagen. Er kam aus der Stadt des Kaiserdomes
und strebte mit seinen schwarzäugigen
Insassen, einem jungen Weibe, drei Kindern und
dem struppigen Kerl, der flatternden Haares
seinen knochendürren Rappen zügelte, auf
Bruchsal zu.

Die Predigt der Gretl Schöpflin hatte dem
Hebel, dem es zeitlebens wundersam gewesen
war, seinen Tagen etwas Vagabundisches beigemischt
zu sehen, so wohlgetan, daß er die
Schmerzen vergaß, Gustave Fecht, die vertraute
Freundin leibhaft vor sich sah und ihr erzählte,
wie ihn die Bäuerin zurechtgerauft habe.

Ja, Gustave Fecht, die ihm das liebste Erinnern
an die acht Lörracher Vikars jähre blieb —
vor dreißig, fünfunddreißig Jahren war die hoch-

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