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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1958-08/0012
gleich, unsere Korrespondenz fortsetzen zu können
, die Adresse von ihm nach Leipzig, Berlin,
Königsberg bis Petersburg habe?"

Johann Peter Hebel lächelte.

Das waren Zeiten, denkt er, und damals
schrieb ich der Freundin noch: es sei eine eigene
Sache mit dem Büchleinmachen, wenn man es
einmal angefangen habe, besonders bei ihm; die
Besoldung lasse ihn nicht ohne Schulden auskommen
, wenn man nicht etwas nebenher praktiziere
, und er sei auch nicht angelegt, in der
Lotterie zu gewinnen, wie es ihr glücke, und der
heilige Geist, der not tue zu dem Büchlein-
Machen, schwebe auch nicht auf Befehl!

*

Da tauchte das Wahrzeichen Speyers auf, der
romanische Dom, der neunhundert Jahre wechselvoller
Grenzlandgeschichte erlebte und den
Fahrenden fesselte, so oft er ihn sah, und gleich
war Gustave Fecht seinen Blicken entschwunden.

Heute werde er nicht hineingehen, in der
Raumgestaltung des Riesenbaues unterzutauchen,
dann die Krypta aufzusuchen und an den Gräbern
der acht deutschen Kaiser und denen der
Kaiserinnen, die dort ruhten, zu verweilen; er
möge bei der sonnenwarmen Wehmut des Septemberlichtes
nicht wieder erinnert werden an
das, was eine verwilderte Soldateska diesem
Heiligtum angetan habe; auch den berühmten
Domnapf wolle er nicht sehen, den eine glücklichere
Zeit jemals mit Feierwein gefüllt habe,
wenn ein neuer Bischof gekommen sei. Er werde
die Weinkneipe der Allerheiligenstraße aufsuchen
, dort wie stets, wenn er durch Speyer nach
Mannheim fahre, mit dem Fuhrmann Mittag
essen, einen Nicker machen und nachher, wenn
der Schimmel den Hafer gefressen und geruht
habe, weiterfahren!

Johann Peter Hebel sah, wie die Sonne in
breiten Strahlenbändern durch die offenen Fensterbogen
der Türme strömte, wie sie die Kreuze
auf den Spitzen und der Vierungkuppel umspielte
, erkannte wieder, daß die Stadt hinter
dem Domhügel und den Bäumen liege und der
Strom erst seinen eigentlichen Wundern entgegengleite
, den schwellenden Weinhügeln hinter
Bingen und dem, was ihnen folge!

Sein Blick ging in die Runde. Er empfand
die Weite der Landschaft zwischen den blauen
Höhen der Hardt und den Odenwaldgipfeln.
Eiche und Esche, Linde und Ahorn reichten dem
Dom bis an die Apsis, und der Stein leuchtete
rot durch das noch üppige Laub.

Der Zug der Straße, der vom Domportal aus
zur Stadt geht, atmet, ob auch die Häuser jenseits
umschränkt und behaglich liegen, die Größe,
die dem Kaisertum entsprach. Der Haß zerschlug
sie: der Dom aber blieb, und wie auch Ludwig
der XIV. gehofft hatte, die deutsche Krone zu
erben, ob er es war, der seine Soldaten deshalb
in den Haß trieb, mit dem Hammer die Eisenplatten
über den Gräbern zu zerschlagen, ob das
alte Speyer dabei verbrannte: der Sonnenkönig
bekam die Krone nicht, und der Dom blieb. Er

ist Vermächtnis, und so lange einem Volke derlei
Überlieferung lebt, stirbt es nicht!

So werde er, wenn er heimkomme und vor
seinen Bücherschäften zu Karlsruhe am Tisch
des Arbeitens sitze, schreiben, sagte Hebel und
schwieg in sich hinein: er freute sich, daß ihm
vor wie nach die Kraft des inneren Gesichtes
lebte — trotz dem üblen Schwindel, der ihm seit
Tagen mitunter vor den Augen flirrte.

Der Fuhrmann wußte den Weg, und der Wirt
der Weinkneipe „Zum silbernen Hahn" katzbuckelte
die zehnstufige Treppe unter dem vorhängenden
eisernen Kneipenzeichen, dem ange-
silberten Hahn, herunter, sobald er den Wagen
sah und den erkannte, der in ihm saß.

„Ja, ja", sagte der Prälat, da er ausgestiegen
wTar und dem Vierschrot die Hand geschüttelt
hatte. „Da bin ich, Hahnenwirt! Speyer ist
Speyer, und das Dasein der Toten seiner Grüfte
ist unser Dasein. Es wird von ihnen ernährt,
wie es aus ihnen aufsteigt, und ihr Ende ist erst
gekommen, wenn unser Wille sich von ihnen
abwendet".

*■

Es bedarf keines Wortes, das Mittagsmahl,
seine Schoppen, den Nachtisch zu loben oder
darzustellen, wie brüderlich der Fuhrmann es
sich am Tische des Prälaten schmecken ließ,
indes der Schimmel vor dem Wagen unter einer
der Straßenlinden den Hafer aus der hölzernen
Krippe nahm.

Die Siesta hielt der Hausfreund in dem Sessel,
den der Wirt an den Tisch gerückt hatte. Ein
anderer Gast war nicht da, und der Fuhrmann
setzte sich in die Wagenecke und nickte ein.

Stiller könne es auch, dachte Hebel, aus dem
Wirklichen in das Schleierhafte des Halbschlafes
verschweber^d, bei der Panzeit Theokrits nicht
gewesen sein! (Schluß folgt.)

K. Schäfer: (Schluß.)

1870—1871

Auch dieser Krieg brachte für viele Menschen
das Los der Ausweisung. Am 4. September 1870
kündigte ein Telegramm vom Bahnhof Basel die
Ankunft von 200 Ausgewiesenen in Schliengen
an. Das Bezirksamt Lörrach bat darum, sie
speisen zu lassen.

Als es sich in den ersten Juliwochen gezeigt
hatte, daß das Land einem Krieg entgegengehe,
erließ am 18. Juli der badische Frauen verein, der
unter dem Protektorat der Großherzogin Luise
stand, einen Aufruf an seine Mitglieder. Es wird
zwar im ersten Satz dieses Aufrufes das übliche
Mittel der Menschen angewandt, die Verantwortung
für ihr eigenes Versagen und Übeltun Gott
zuzuschieben: „Durch Gottes unerforschlichen
Ratschluß soll, so hat es den Anschein, auf die
Tage des Friedens eine Zeit der Drangsal, des
Krieges folgen". Doch fährt der Aufruf fort: „In
schwerer Zeit werden gewiß alle unsere Vereins-

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