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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1958-08/0018
von großer Sprachmächtigkeit, gelingt fast stets
der Aufstieg ins Allgemeingültige künstlerischer
Aussage, — Reich bleibt in den Bezirken einer
zwar ehrlichen und daher wertvollen, aber im
Range entschieden tiefer stehenden Heimat- und
Volksschriftsteller ei; Hebels Material ist das
Volksleben seiner Gegenwart, er benützt es als
Folie, hinter der allgemeine Gedanken aufscheinen
, — Reich sieht in die Vergangenheit
und beklagt die Veränderung, seine Absicht ist
mit der Schilderung erfüllt. Hebels Sprache und
Stil sind kräftig, unmittelbar, transparent — bei
Reich müssen sich Schlichtheit und Treue mit
epigonenhafter Reflexion und gefühlvoller Glattheit
versöhnen. Dem Dichter Hebel in etwa
ebenbürtig und gleichzeitig ganz er selbst ist
Lucian Reich in seinen Zeichnungen zum „Hieronymus
". Sie sind in Empfindung und Stil wahrhaft
und echt und nicht von der gefälligen Süße
derjenigen des gleichzeitigen Ludwig Richter,
was Manier an ihnen ist, wird man dem Zeitstil
bzw. der Feder des Lithographen zuschreiben
dürfen.

Lucian Reich ist 1889 wieder nach Hüfingen
zurückgekehrt, wo er am 2. Juli 1900 gestorben
ist. Er verbrachte sein letztes Lebensjahrzehnt
anscheinend in Dürftigkeit. Heinrich Hansjakob
berichtet in „Verlassene Wege" (Stuttgart 1908)
von einem Besuch bei Reich am 21. Juni 1900:

Ehe ich heute meine Reise fortsetzte, besuchte ich
noch einen alten Ehrenmann, der einst in Rastatt
mein Zeichenlehrer war — den Maler und Volksschriftsteller
Lucian Reich. Im dritten Stocke eines
kleinen Häuschens, über dessen schmale Treppe ich
mich förmlich hinaufzwängen mußte, traf ich ihn.
Er war hocherfreut über meinen Besuch, der drei-
undachtzigj ährige Greis, in dessen Zügen Bitterkeit
und Biederkeit sich die Waage halten. Er kommt seit
Jahren nicht mehr aus seiner Stube und unter die
Menschen, und sein einziges Kind, eine Tochter,
pflegt ihn.

Hansjakob schildert sodann kurz Lebensgang und
Leistung des Malers. Über die Entstehung des
„Hieronymus", den er „Reichs bestes Buch und
eines der besten Volksbücher überhaupt" nennt,
schreibt er:

Reichs Jugendfreund, der Lithograph Heinemann,
welcher heute auch noch in Hüfingen lebt, war sein
Mitarbeiter und zeichnete die Bilder auf Stein. Der
Fürst von Fürstenberg gab den beiden einen Vorschuß
, um die Herausgabe des Werkes zu ermöglichen
. Dasselbe mußte in Kommissionsverlag genommen
werden, da sich kein Verleger fand, der es
übernahm. Trotzdem es sehr gut ging, blieb, nachdem
die fürstliche Kasse ihren Vorschuß wieder
erhalten und — nicht sehr fürstlich — auch genommen
hatte, dem Autor und seinem Lithographen
ein Defizit. Ähnlich oder nicht viel besser erging es
dem wackeren Lucian mit seinen späteren Werken.

Zu Reichs Tätigkeit als Zeichenlehrer und zu
seiner damaligen Lage weiß Hansjakob zu sagen:

Ich erinnere mich noch gar wohl an den stillen,
ernsten, sinnigen Zeichenlehrer, wie er von Schüler
zu Schüler ging und jedem mit Rat und Tat beistand
... Der bescheidene Mann konnte es trotz
wiederholter Bitten nie auch nur zu den Rechten
eines Reallehrers bringen. Er blieb Hilfslehrer mit
einem Höchstgehalt von 116 Mark monatlich und
ohne Anspruch auf Witwen- und Waisenversorgung
und Pension. Und als er schied, bekam er guttatsweise
einen Ruhegehalt von monatlichen 71 Mark
und 50 Pfennig. Von dem sollte der Biedere leben,

und er lebte noch elf Jahre in Armut und Entsagung.
Aber bitter hat er's empfunden und bitter mir heute
darüber geklagt, daß er kaum zum Leben habe und
seine Tochter mittellos zurücklassen müsse. Wie hat
Napoleon I. gesagt? „Um arm zu sterben, genügt es,
ein braver Mannn zu sein!" Wie hat Lucian Reich
sein ganzes Leben hindurch nur für Ideale gelebt!
Wie hat er in seinen Büchern geschwärmt für Fürst
und Vaterland, für Volk und für Volkstum, für
Wahrheit und Recht! Und heute treffe ich ihn in
einem armseligen, einsamen Stüblein mit einem

Gnadengehalt von 71 Mark und 50 Pfennig____ ich

versprach ihm, für seine Besserstellung Schritte zu
wagen. (S. 76 ff.)

Hansjakobs Vermittlung hatte Erfolg, kam aber
nurmehr Reichs Tochter zugut, denn Reich selbst
starb wenige Tage nach dem Besuch seines ehemaligen
Rastatter Schülers. Dr. Robert Feger

3mfel, .öroflel, SinF unö ©tau...

Vom Fenster meines Schlafzimmers hat man
keine weite Schau. Zu jeder Jahreszeit aber sind
Vögel da, die mich unterhalten und erfreuen. Im
Winter sind die Meisen besonders häufig; stets
besucht mich die Haubenmeise, die gleich der
Tannenmeise sehr zutraulich ist. Buchfink und
Grünling sowie das Goldhähnchen sind auch
dauernd anwesend; im vergangenen Winter sah
ich indessen nur zwei Bergfinken.

In den Monaten Mai und Juni ist das Vogelkonzert
überwältigend. Ich stand, als die Dämmerung
dem Morgenlicht wich, am offenen Fenster
und sah sogleich eine Amsel, ein Rotkehlchen
und einen Buchfink; sie sangen unermüdlich
. Hoch über uns schwebte ein Bussard, dessen
Gefieder in der Sonne glänzte, während Baum
und Buschwerk noch im Schatten lagen. Im Verlauf
dieses einen Morgens sah oder hörte ich
noch den Grauspecht, den großen Buntspecht, die
Rabenkrähe, den Eichelhäher, die Singdrossel,
das Goldhähnchen, Kohl-, Tannen-, Blau- und
Sumpfmeise und den lustigen Kleiber. Wie
gewaltige Himbeeren saßen zwei Dompfaffen im
schwarzgrünen Eibenbusch, die Mönchsgrasmücke
jubelte und der Grünling wollte auch zeigen, daß
er singen konnte. Ganz unermüdlich ist der
Gartenrotschwanz mit seiner weißen Stirn; beim
Nachbar schmetterte ein Zaunkönig sein Lied
und ließ der Zilpzalp (Weidenlaubsänger) seine
zwei Töne fallen. Wenn ich nun berichte, daß im
Lauf des Nachmittags noch Hausrotschwanz und
Girlitz beobachtet werden konnten, und daß ein
Spatz nach Futter suchte, dann ist unsere Liste
beendet. (Soeben höre ich noch den Flötenruf
des Pirols und den rilelodischen Kuckucksruf.)

Gern hätte ich noch die Schwalben angeführt;
aber die geteerten Straßen, das Schwinden der
bäuerlichen Betriebe und der Vogelmord in
Italien mindern leider ihre Bestände. Gefährlich
sind den Vögeln auch die Katzen, besonders wenn
es sich um herrenlose, stets hungrige Tiere handelt
. Vor allem die Erdsänger sind der Katze
ausgesetzt. — Iltis, Marder und Igel, denen man
auch nachsagt, sie würden die Eier der Singvögel
verzehren, sind beinahe ausgestorben. — Feind
Nr. 1 ist also die Katze! E. Scheffelt

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