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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1958-09/0004
Ernst Sander:

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Badenweiler zeichnet sich durch eine seit
Römerzeiten berühmte Thermalquelle und durch
eine landschaftliche Umgebung aus, die, bei bestrickenden
Einzelheiten, als Gesamt von in sich
ruhender, klassischer Vollkommenheit ist. Mit
Fug und Recht hat Rene Schickele sie in einem
seiner liebenswertesten Bücher als „Himmlische
Landschaft" bezeichnet. Man hat das sanft ge-
hügelte Vorland des Schwarzwaldes vor sich,
dann die weite Rheinebene und als Hintergrund
den edel geschwungenen Gipfelzug der Vogesen.
Ein gesegnetes Klima leiht Formen, Farben und
Flora dieser Landschaft einen Abglanz des
Südens, der sich in keiner anderen Gegend so
weit nach Mitteleuropa hinein erstreckt wie hier:
man spürt den „römischen Hauch", den Stefan
George dem Rhein nachsagt. Nie sieht der
Schauende sich der ungebärdigen „Natur" gegenüber
, dem Wildwuchs, der chaotischen Formlosigkeit
, dem Drohenden des Ungestalteten, sondern
er weiß sich in eine arkadische Kulturlandschaft
versetzt. Der wohlige Reiz des vom Menschen
Bewältigten (in dem sich andeutet, daß das
Dasein bei gutem Willen durchaus zu bewältigen
ist), die stete Nähe aller guten Gaben der Erde,
des Weines, des Obstes, des Korns, und überdies
der Blumen und Bäume, leiht dieser Landschaft
etwas Kunsthaftes. Das gilt für das südliche
Baden und gilt für das Elsaß, die beide, wie die
Nordkantone der Schweiz, vom gleichen Volksschlag
bewohnt werden: den Alemannen, deren
Sprache, ein selbständiges Idiom neben dem
Schrifthochdeutschen gleich dem Plattdeutschen,
in mannigfachen Abwandlungen am West- wie
am Ostufer des Rheins und, nach Süden hin, bis
fast zum Gotthard gesprochen wird.

Die Landschaft um Badenweiler, das „Mark-
gräfler Land", ist gelegentlich mit der Provence,
mit Italien verglichen worden, was freilich ihre
Sonderheit, ihr wahres Wesen nur streift — wie
denn der erste gültige Widerhall, den jene Landschaft
in der deutschen Literatur gefunden hat,
ein Gedicht des Romantikers Justinus Kerner,
mit den Zeilen anhebt:

Sei mir gegrüßet, Badenweilers Au,

Ein Stück Italiens auf deutschem Grund...

Dem sei, wie ihm wolle: bedeutsamer dürfte
es sein, in der oberrheinischen Landschaft die
ideale Landschaft der europäischen Mitte zu
begreifen — als dasjenige Gebiet, das Frankreich
und Deutschland verbindet und das überdies an
die freie Schweiz grenzt, an das drei Rassen und
drei Sprachen umfassende politische Gebilde mithin
, in dem das erhoffte geeinte Europa seit
Jahrhunderten in kleinem Maßstab verwirklicht
worden ist, und das in seiner Verfassung die
lebensfähigen Elemente des mittelalterlichen
„Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation"
getreulich bewahrt hat, welche Feststellung
Ricarda Huch zu danken ist.

„Nach Avignon ist es nicht weiter als nach
München, nach Marseille nicht weiter als nach
Berlin" — mit dieser gutgelaunten verkehrstechnischen
Feststellung deutet Rene Schickele
einen der Gründe an, die ihn zur Übersiedlung
gerade nach Badenweiler bewogen — Rene
Schickele, der, als Elsässer geboren, sich als
Franzose fühlte, in deutscher Sprache schrieb,
aber als Europäer dachte und handelte. Hier, in
dieser Landschaft, der Kelten, Römer und Alemannen
ihr Gepräge gegeben haben, fand Rene
Schickele (nach Benno Reifenbergs Wort „ein
erregter Mensch, von dem Erregung ausging")
nach Jahren der Unruhe, des Wanderns, des
Schweifens und Reifens für ein Dezennium das,
was ihm als Heimat galt und gelten mußte. Es
war keine Zufallswahl; denn alle Gegebenheiten,
geographische, ethnologische, politische, optische
und menschliche, trafen hier zusammen und
sprachen mit lebendigen Stimmen zu seiner
Substanz. Ihm folgte die ihm als Mitarbeiterin
und Mitstreiterin verbundene Annette Kolb, und
„im Bunde der Dritte" war Wilhelm Hausenstein,
der, Alemanne und Europäer, Schickele und
Annette Kolb seit langem menschlich und geistig
nahe, oftmals als Gast bei beiden weilte und der
„Gruppe in Badenweiler" zugezählt werden muß.

Auf diese Weise war das kleine Badenweiler
für eine Reihe von Jahren, vom Ende des ersten
Weltkrieges bis zum Hereinbrechen des Nazismus
, nicht nur der Aufenthaltsort dreier bedeutender
Schriftstellerpersönlichkeiten, sondern zugleich
die reinste und geistigste Pflegestätte des
europäischen Gedankens auf deutschem Boden.
Das nun freilich darf nicht so verstanden werden,
als habe sich dort eine Manifeste schleudernde
Propagandazentrale aufgetan. Die Wahrung und
Förderung dessen, was Rene Schickele, Annette
Kolb und Wilhelm Hausenstein als geistiges und
politisches Ziel vorschwebte, fand zwar einen
Niederschlag in dem, was sie an Literarischem
und Polemischem veröffentlichten, wirkte sich
jedoch vor allem durch ihr lebendiges Beispiel
und die ausstrahlende Kraft ihrer Individualitäten
aus. Wie Benno Reifenberg berichtet, hat
Schickele es abgelehnt, sich aktiv politisch zu
betätigen. Die streitbare Annette Kolb hat in
ihren politischen Bemühungen und Unternehmungen
, die bereits vor 1914 einsetzten, vor
allem nur deswegen geringe praktische Erfolge
gehabt, weil sie, Aristokratin in äußerer Erscheinung
und Lebensstil, sich einzig an Diplomaten
hielt — diese nun aber sind, wie ein kluger
Zergliederer anmerkt, in unserer Zeit das
schwächste Glied in der Kette internationaler
Beziehungen. Einzig Wilhelm Hausenstein, dem
nach Art und Wesen dem Anschein nach am
wenigsten dazu Geschaffenen, darf eine stille und
fruchtbare aktive politische Tätigkeit nachgerühmt
werden, als er die Bundesrepublik als
deren erster Nachkriegs - Botschafter in Paris
vertrat.

Es wäre eine reizvolle Aufgabe, zu untersuchen
, auf welche Weise diese und jene schöpferische
Persönlichkeit dazu gelangte, sich an einem
bestimmten Orte anzusiedeln; auf welche Weise
menschliche Bindungen, freundliche Zufälle, das

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